Süddeutsche Zeitung

Puchheim:Auf Müll gebaut

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Führung über den "Puchheimer Geschichtspfad"

Von Karl-Wilhelm Götte, Puchheim

Dass Puchheim, also der Bahnhofs-Stadtteil auf Müll gebaut ist, klingt abwegig, ist aber eine Tatsache. München lagerte schon vor 120 Jahren gerne seinen Abfall außerhalb der Landeshauptstadt aus - auch in Puchheim. Fast 50 Jahre lang - von 1898 bis 1949 - war die sogenannte "Hausmull-Fabrik" in Betrieb. Marianne Schuon, die engagierte Vorsitzende des Vereins für Kultur, Brauchtum und Heimatgeschichte, erläuterte bei einer Stadtteilführung den Teilnehmern die Orte der Münchner Müllverwertung. Hinter dem "Harbeckhof", dem früheren Gutshof und dem damaligen Direktionsgebäude des Müll-Unternehmens an der Allinger Straße 20 befand sich im heutigen Gewerbegebiet Josefstraße die Müllfabrik.

Obwohl auch der Torfabbau und der spätere Flugplatz sowie das große Kriegsgefangenenlager ab 1914 mit schließlich 25 000 gefangenen Russen und Franzosen von Bedeutung gewesen war: Ohne die Müllfabrik wäre die Geschichte des heutigen Puchheim-Bahnhof sicherlich anders verlaufen. "Der Schornstein und Restgebäude sind in der Josefstraße noch zu sehen", informierte Schuon die Besucher der Führung. Sie und ihre Vereinskollegen haben mit zwölf weiteren Informationstafeln in Puchheim-Bahnhof den "Puchheimer Geschichtspfad" komplettiert.

Auch die jüngere Geschichte Puchheims kommt vor. So wird auch das 1999 eröffnete Puchheimer Kulturcentrum (PUC) informativ beschrieben. Johann Aichner, der heutige Ehrenvorsitzende des Vereins, hatte dieses Projekt, das mit zehn Tafeln in Puchheim-Ort begann, einst angestoßen. Der Müll, der von München 1898, als Puchheim eine Bahnstation bekam, seinerzeit per Zug angeliefert wurde, wurde in der Fabrikanlage - zumeist von Frauenhänden - an einem großen Fließband sortiert. "Metalle, aber auch Knochen und Lumpen wurden wiederverwertet", erläuterte Schuon beim Rundgang und das technisch erstaunlich ausgeklügelte System. Der Restmüll wurde dann mit kleinen Feldbahnwagen auf Gleisen im südlichen Teil des heutigen Puchheim-Bahnhof verteilt. Die "Planie", das heutige Hochhausgebiet an der Adenauer- und Kennedystraße, ist quasi auf Müll gebaut. Auch auf dem neuen Golfplatz wird auf Abfall abgeschlagen. Ebenso haben die Reihenhaussiedlungen bis zur Grundschule-Süd, die "Blumenstraßen", einen Untergrund aus Müll. "Grabe ich im Garten, stoße ich schnell auf Glassplitter", berichtete dann auch eine Bewohnerin von dort. Marianne Schoun sicher: "Das Müllgebiet reicht bis zur Zweigstraße."

Eigentümer der Müllfabrik war von 1933 bis 1949 die Familie Harbeck, die heute noch größere Flächen in Puchheim besitzt und als Bauherr in Erscheinung tritt. Puchheim-Bahnhof lebte viele Jahre vom Müll und die dort Beschäftigten siedelten sich nach und nach an. In den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts lebten rund um die Müllfabrik etwa 600 Einwohner. Die erste Gastwirtschaft entstand, eine Schule wurde gebaut und die katholische Kirche Sankt Josef 1926 aus Holz erbaut. Bis dahin mussten die Gläubigen aus Puchheim-Bahnhof zum Gottesdienst zu den "Ortlern". Die evangelischen Gemeindemitglieder der heutigen Auferstehungskirche bekamen erst 1973 ihre erste eigene Pfarrei und 1984 eine eigene Kirche an der Allinger Straße. Auch hier erklärt eine Tafel des Vereins anschaulich die Historie.

Das Gebäude der Alten Schule am Grünen Markt, die 1930 mit 61 Kindern in zwei Klassen ihren Unterricht aufnahm, soll auch nach der geplanten baulichen Umgestaltung der Puchheimer Mitte erhalten bleiben. Einst war hier das Jugendzentrum untergebracht, jetzt hat der Kindergarten "Zickzack" dort seine Räume. "Ab 1934 war dort im Keller die Hitlerjugend tätig", erzählte Schuon während der Führung. So ging es weiter von Geschichtstafel zu Geschichtstafel. Die beeindruckende Mühe, die dahinter steckt, lässt sich kaum ermessen. Wer sich eingehender mit der Geschichte Puchheims beschäftigen möchte, kann sich auf der Internetseite des Vereins unter www.buachamer.de die 22 Tafeln anschauen.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2020
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