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Neue SZ-Serie: Älter werden - alt sein:Landkreis der Alten

Lesezeit: 4 min

Schon jetzt sind 27 Prozent der Einwohner über 60 Jahre alt. Ihr Anteil wird in naher Zukunft auf ein Drittel anwachsen. Sie benötigen in vielen Lebensbereichen eine veränderte Infrastruktur - ohne Barrieren, dafür aber mit vielen Hilfsangeboten

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Die Pyramide. Zuverlässig hat sie den Idealfall der Bevölkerungsstruktur eines Landes abgebildet. Unten viele Junge, oben wenige Alte. Doch die Menschen werden immer älter. Und weil gleichzeitig seit vielen Jahren weniger Kinder geboren werden, altert die ganze Gesellschaft. Die Entwicklung ist nicht mehr zu stoppen. Die Form der Pyramide taugt nicht mehr, um die Verteilung von Jungen und Alten abzubilden. Im Landkreis Fürstenfeldbruck liegt der Anteil derer, die 60 Jahre und älter sind, laut den vom Statistischen Landesamt erhobenen Daten Ende 2015 bereits bei 27 Prozent und wird in weniger als 15 Jahren bei einem Drittel liegen.

In absoluten Zahlen machen diese 27 Prozent 57 600 der insgesamt 213 500 Einwohner des Landkreises aus. Etwas mehr als 11 000 Einwohner, also fünf Prozent, sind bereits über 80 Jahre alt. Dass der gesellschaftliche Alterungsprozess längst in vollem Gange ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen, die der Landkreis 2009 für sein seniorenpolitisches Gesamtkonzept (SPGK) erheben ließ. Damals waren knapp 52 400 Menschen - 5000 weniger als heute - über 60 Jahre sowie 8200 - also fast 3000 weniger als heute - über 80 Jahre alt. Im Jahr 2034 werden den Hochrechnungen zufolge 71 800 Landkreisbürger über 60 und 18 300 über 80 sein. Die zunehmende Lebenserwartung wird vor allem für einen überproportionalen Anstieg der Hochaltrigen, also der Menschen über 85 Jahre, sorgen. 2029 werden es im Landkreis sechsmal so viele sein wie 40 Jahre zuvor.

Die Hochaltrigen sind zumeist Frauen. Ihr Anteil an den über 80-Jährigen betrug im Jahr 2015 61 Prozent und steigt bei den über 95-Jährigen sogar auf 84 Prozent an. Im Jahr 2015 zählte die Statistik im Landkreis 315 Personen, die älter als 95 Jahre waren. Darunter waren nur 50 Männer.

Auch innerhalb der einzelnen Kommunen hat sich die Altersstruktur seit 2009 geändert. Die damals jüngste Gemeinde, Adelshofen, gehört mit 23 Prozent über 60-Jährigen zwar immer noch zu den jüngeren Gemeinden im Landkreis, hat ihren Spitzenplatz von damals aber an Mammendorf verloren, das mit 19,9 Prozent jetzt jüngste Gemeinde ist. Ihr am nächsten kommen Landsberied (20,6), Moorenweis (22,3) Althegnenberg (22,7) und Egenhofen (22,9). Die Gemeinden mit der ältesten Bevölkerung sind Eichenau und Gröbenzell, dort ist der prognostizierte Ein-Drittel-Anteil der über 60-Jährigen mit 31,3 und 30,4 Prozent schon jetzt fast erreicht, gefolgt von Germering und Puchheim mit 29,2 und 29,1 Prozent.

Die Bevölkerung ist in den großen Kommunen im Osten des Landkreises deutlich älter als in den kleinen Gemeinden auf dem Land. Ausnahmen sind Olching - mit 24,9 Prozent an über 60-Jährigen die mit Abstand jüngste der Ost-Gemeinden - und auf der anderen Seite die kleinen Gemeinden Schöngeising und Grafrath, die schon heute 28,8 und 28,1 Prozent an über 60-Jährigen beheimaten.

Gleichzeitig gibt es immer weniger Kinder. Die wenigsten leben anteilsmäßig in Germering und Gröbenzell. Dort sind nur 16,6 und 16,7 Prozent der Bewohner unter 18 Jahre alt. Die meisten Kinder und Jugendlichen gibt es demnach mit 20,3 Prozent in Althegnenberg. Der Durchschnittswert für den ganzen Landkreis liegt bei 17,6 Prozent - im Vergleich zu 27 Prozent der über 60-Jährigen. Und selbst die über 65-Jährigen sind mit 21,5 Prozent schon mehr als die unter 18-Jährigen. Bayernweit gesehen gehört der Landkreis Fürstenfeldbruck zu den bevölkerungsmäßig älteren Landkreisen. Das Durchschnittsalter im Landkreis von derzeit 43,8 Jahren wird den Statistikdaten zufolge im Jahr 2035 auf 45,2 Jahre hoch gegangen sein.

Was bedeutet das nun für den einzelnen und die Gesellschaft? Die meisten Menschen freuen sich erst einmal über die steigende Lebenserwartung. Voraussetzung ist allerdings, dass sie das Alter in gesundem Zustand genießen können. Die Zahl jener, die nach dem Berufsleben körperlich und geistig fit sind, steigt ebenfalls an. Sie reisen viel, finden aber auch im Landkreis viele Betätigungsmöglichkeiten wie ein umfassendes Kulturangebot.

Geistige Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden blieben im Alter heute länger erhalten, sagt die Berliner Altersstudie II (Base II) des Max-Planck-Instituts, die die Analyse von bereits in den Neunzigerjahren erhobenen Daten fortführt. "Heute 75-Jährige sind geistig fitter und glücklicher als 75-Jährige vor 20 Jahren", heißt es darin. Auch der fünfte Altersbericht der Bundesregierung kommt zum Ergebnis, "dass die Lebensphase Alter nicht mit Krankheit und Unproduktivität gleichgesetzt werden kann, sondern Ältere bereits heute einen großen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand erbringen". Das Leben in vielen Vereinen auch im Landkreis Fürstenfeldbruck ist gar nicht denkbar ohne das Engagement derer, die aus dem Berufsleben raus sind und sich als Rentner gesellschaftlich einbringen. Bisweilen steht gar die Existenz eines ganzen Vereins auf dem Spiel, wenn sich ein älterer Vorstand zurückziehen möchte. Die Älteren stützen auch das politische Engagement, denn viele junge Menschen finden in der Rush-Hour des Lebens zwischen beruflicher Etablierung und Familiengründung nicht die Zeit, sich auch in politischen Gremien einzubringen.

Für die Kommunen bedeutet der demografische Wandel, dass sie dafür Sorge tragen müssen, dass das Lebensumfeld in einer gealterten Gesellschaft auf solche Notwendigkeiten Rücksicht nimmt und die Infrastruktur entsprechend angepasst wird. Im seniorenpolitischen Gesamtkonzept sind einige Dinge zusammengefasst, auf die es in Zukunft im Landkreis ankommen wird: auf gute Erreichbarkeit durch den öffentlichen Personennahverkehr, auf eine gute und wohnortnahe ärztliche Versorgung der Bevölkerung, auf gut erreichbare Einkaufsmöglichkeiten, auf das Vorhandensein haushaltsnaher Dienstleistungen, auf soziale Infrastrukturangebote für ältere Menschen, auf die barrierefreie Gestaltung des eigenen Wohnumfeldes sowie des öffentlichen Raumes, auch mit Ruhebänken und öffentlichen Toiletten, auf mobile Hilfs-, Fahr- und Sozialdienste.

Ziel müsse sein, hatte Landrat Thomas Karmasin (CSU) damals in das Vorwort geschrieben, den Landkreisbürgern möglichst lange den Verbleib im vertrauten Wohnumfeld zu ermöglichen. In den Städten und größeren Kommunen im Landkreis gibt es bereits ein ganz gut ausgebautes Netz an ambulanter Unterstützung. Seniorenbeiräte regen in den Kommunen weitere Verbesserungen an, aber auch Kirchen und Sozialdienste machen den älteren Menschen unterschiedliche Angebote, vom Strickkurs bis zum Gesundheitssport, vom Gedächtnistraining bis zum Seniorenstammtisch. Viele nutzen diese Programme schon jetzt, denn gerade im Alter bleiben soziale Kontakte wichtig.

Immer mehr Menschen aber werden auch im Landkreis pflegebedürftig werden. Die Zahl der pflege- und betreuungsbedürftigen Senioren wird laut seniorenpolitischem Gesamtkonzept von knapp 4500 im Jahr 2009 auf 7800 im Jahr 2029 steigen. Ins Pflegeheime gehen die Menschen allerdings erst, wenn es gar nicht mehr anders geht.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2017
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