Süddeutsche Zeitung

Maisach:Große Vergangenheit

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Maisacher SPD feiert ihr 100-jähriges Bestehen

Von Karl-Wilhelm Götte, Maisach

Die SPD muss in Bayern bekanntlich einiges aushalten. Der Wählerschwund ist enorm. Doch es gibt auch noch Ortsvereine, die sich einen gewissen Stolz nicht nehmen lassen. Einer davon ist sicherlich der in Maisach-Gernlinden, der am Wochenende sein hundertjähriges Bestehen feierte. Dazu hatte die Maisacher SPD Ludwig Hoegner als Festredner eingeladen. Er ist der Urenkel des ersten und bislang letzten bayerischen Ministerpräsidenten, den die SPD stellte. Hoegner regierte vom Herbst 1945 bis zu den ersten Landtagswahlen 1946, eingesetzt von den Amerikanern, sowie als Chef der Viererkoalition aus SPD, FDP, Bayernpartei und Vertriebenenpartei BHE in den Jahren 1954 bis 1957. Die Parteimitglieder unter den 60 Besuchern des Festakts im Pfarrsaal Sankt Vitus ließen sich gerne an die glorreichen Zeiten der Sozialdemokraten erinnern.

Über das desaströse Landtagswahlergebnis vom Oktober 2018 wollte im Saal sowieso niemand reden; lieber über die lange Geschichte des Ortsverbandes. Die Maisacher SPD war auch Anfang der Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts so stark, dass die NSDAP im Ort nur eine Randerscheinung gewesen war. Maisach war ein "rotes Dorf", wie die ehemalige Vorsitzende und heutige Ehrenvorsitzende der örtlichen SPD, Helga Rueskäfer, in einer bemerkenswerten Broschüre "100 Jahre SPD Maisach-Gernlinden" zum Parteijubiläum schreibt. Die Titelseite hat der Künstler Guido Zingerl mit einer markanten Zeichnung geschmückt. Die Nazis kamen in Maisach bei den letzten freien Reichstagswahlen im Juli und November 1932 nicht über 16 Prozent hinaus. Nach 1945 stellte die SPD bis auf vier Jahre jahrzehntelang lang fast durchgehend den Maisacher Bürgermeister. Mit Hans Wegmann, Franz Moser und Gerhard Landgraf dominierte die SPD bei den Bürgermeisterwahlen bis 2008, ehe Hans Seidl für die CSU das Rathaus eroberte. Die SPD hat momentan aber nur noch vier von 24 Sitzen im Gemeinderat inne. Waltraut Wellenstein ist Dritte Bürgermeisterin. Den Ortsverein führt seit vielen Jahren Bernhard März.

Ludwig Hoegner beschäftigte sich in seiner Festrede auch ausgiebig mit der bayerischen Verfassung von 1946, an deren Entwurf sein Urgroßvater wesentlich mitgewirkt hatte. Vieles brachte die SPD dort unter, obwohl die CSU in der Verfassungsgebenden Versammlung eine deutliche Mehrheit hatte. "Vieles davon ist bis heute nicht umgesetzt worden", kritisierte Hoegner. Er arbeitete heraus, dass zum Beispiel unter Artikel 123 zur Erbschaftssteuer formuliert ist, dass diese dem Zweck dient "Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern" oder "die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl dient (Artikel 151)." Auch der Bodenspekulation wurde schon 1946 in der bayerischen Verfassung ein Riegel vorgeschoben. So beinhaltet Artikel 161, dass die "Steigerung des Bodenwerts für die Allgemeinheit nutzbar zu machen ist". Auch die Festlegung von Mindestlöhnen (Artikel 169) wurde damals bereits verfassungsrechtlich beschlossen. Ludwig Hoegner ist 39 Jahre alt und als Vermessungsingenieur und Wissenschaftler an der TU München tätig. Erstaunlicherweise spielt er in der bayerischen SPD keine große Rolle. Er habe mal eine Landtagskandidatur angestrebt, "aber man wollte mich nicht", sagte Hoegner. Den Niedergang der SPD im Freistaat sieht er auch darin begründet, dass der Partei "die große Idee verloren gegangen ist". Die bayerische Verfassung würde einige bieten. "Klare, kurze Worte und Forderungen sind nötig", sagte Hoegner.

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Quelle:
SZ vom 04.02.2019
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