Süddeutsche Zeitung

Konzert:Brennpunkte zweier Kontinente

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Lang anhaltender Beifall für Pianist Dinis Schemann

Von Klaus Mohr, Fürstenfeldbruck

Das Publikum im Stadtsaal genießt es, dass Konzerte derzeit (fast) zu Normalbedingungen stattfinden können. So war es auch beim zweiten Abend der Fürstenfelder Konzertreihe am Samstag, den der Pianist und künstlerische Leiter der Konzertreihe, Dinis Schemann, bestritt. Anders als mit allen anderen Künstlern besteht mit Dinis Schemann eine Art Vertrautheit seitens des Publikums, seine Auftritte kehren regelmäßig wieder und sie lassen hohe Qualität erwarten. Für Schemann ist der Stadtsaal quasi eine Art erweitertes Wohnzimmer, diesmal auch daran zu erkennen, dass er einen schwarzen Pullunder auf dem weißen Hemd gewählt hatte. Schemann hat eigene Ideen und hinterfragt gängige Praxen, so zum Beispiel die Erwartung, dass ein Pianist auswendig spielen müsse. Das hat sich seit langer Zeit so etabliert, obwohl es musikalisch gesehen im Grunde keinen Unterschied macht, ob Noten aufliegen oder nicht. Schemann spielt nie auswendig - und beweist damit, dass dieser Brauch ohne tiefere Begründung fortbesteht.

Auch in der Programmwahl geht der Pianist eigene Wege: So spielte er in der ersten Konzerthälfte Werke von Ludwig van Beethoven und Franz Schubert, die nicht nur zum wichtigen Repertoire gehören, sondern dem größten Teil des Publikums auch gut vertraut waren. In der zweiten Hälfte waren dann südamerikanische Werke von Komponisten zu hören, die den Zuhörern eher weniger geläufig gewesen sein dürften. Damit ergab sich eine Begegnung verschiedener Kulturräume und Zeiten.

Zu Beginn erklang Beethovens Sonate Nr. 8 in c-Moll op. 13, deren Beinamen "Grande Sonate Pathétique" zwar vom Verleger stammt, mit dem Komponisten aber abgestimmt war. Das "Pathetische" des Werks prägt gleich den Anfang des Kopfsatzes mit den kompakten Akkorden. Schemann wählte im Grave eine intensive und in den Obertönen abgedunkelte Klangfarbe, die eine geheimnisvolle Aura vermittelte. Bedeutungsvolle Schwere war bei ihm auch im anschließenden Allegro hörbar, allerdings nicht dadurch erzeugt, dass das Pedal eine Klangfläche schuf. Vielmehr blieben die Einzeltöne, ausgehend von der Begleitung, selbständig und bildeten ein tragfähiges Gerüst. Auf dieser Basis gelangen auch die fahlen Momente als charakteristischer Kontrast aus einer anderen Welt. Aber auch für die dialogischen Stellen, an denen die Melodie mehrfach zwischen Unter- und Oberstimme wechselte, konnten sie zum klanglichen Lichtblick werden.

Franz Schuberts vier Impromptus op. 142 D 835 fasste Dinis Schemann als Teile eines größeren Ganzen auf. Vor diesem Hintergrund zog sich der erzählende Gestus wie ein roter Faden durch die vier Stücke. Dinis Schemann wählte sehr differenzierte Zugänge, so dass die klug disponierte Dynamik im ersten Stück wie eine formale Klammer wirkte. Die klare Linienführung im zweiten korrespondierte mit den figuralen Variationen im dritten Stück.

Zwei essenzielle Pole südamerikanischer Musik, nämlich die unbegrenzte Sehnsucht in den Melodien und die zündende Rhythmik, stellte Dinis Schemann sehr beeindruckend in den Mittelpunkt seiner Interpretationen in der zweiten Konzerthälfte. Eher introvertiert, dabei ganz einfühlsam, gelang der Argentinische Tanz von Alberto Ginastera, schön balanciert zwischen kantabler Melodiestimme und filigraner Begleitung, angereichert mit exotischem Reiz. Die Spannung in der Milonga in f, ebenfalls von Ginastera, ergab sich aus den kleinen rhythmischen Reibungen zwischen den beiden Stimmen.

Darius Milhaud war zwar Franzose, lebte aber eine Zeitlang in Rio de Janeiro. Wie zwei Herzen in einer Brust verhielt es sich beim Stück "Sorocaba" mit den beiden Händen. Sie folgten je eigenen harmonischen Kreisen und ergänzten sich doch trotz der leichten Dissonanzen zwischen ihnen. Sehr stark von populärer brasilianischen Volksmusik waren die vier Stücke von Ernesto Nazareth inspiriert, die den Abschluss des Konzerts bildeten. Sie waren sehr gefällig und freundlich zu den Ohren, wobei "Odeon" wie ein südamerikanischer Ragtime daherkam. "Fon-Fon" versprühte Kraft und Energie und war stets vorwärts gerichtet. Auf lang anhaltenden Beifall folgten zwei Zugaben.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2021
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