Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Mit dem Rücken zur Wand

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Die Erzdiözese München und Freising sucht neue Wege, mit weniger Mitgliedern und Priestern über die Runden zu kommen

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Die katholische Kirche in der Erzdiözese München und Freising verliert laufend Mitglieder, und auch an Priestern mangelt es immer mehr. "Wir stehen finanziell fast mit dem Rücken zur Wand", sagte Generalvikar Christoph Klingan am Freitag bei einer Informationsveranstaltung in Fürstenfeldbruck. "Wir müssen uns überlegen, was wir noch machen können." Die Diözese greife bereits ihre Rücklagen an. Deshalb soll in nur einem Jahr eine Strategie entwickelt werden, die zeigt, wie die Kirche in der Diözese künftig funktionieren kann, welche Angebote unbedingt bestehen bleiben sollen und wo gespart werden kann.

Es bestehe eine "moralische Verpflichtung, die Ressourcen, die da sind, sinnvoll einzusetzen", sagte Erzbischof Kardinal Reinhard Marx. Er hat den "Gesamtstrategieprozess" in Auftrag gegeben. Er steht unter dem Motto "Wirkung entfalten - Kirche gestalten". Den "Gesamtstrategieprozess" stellte der Diözesanrat bei coronabedingt vier kleineren regionalen Veranstaltung in Rosenheim, München und Fürstenfeldbruck statt bei einer großen gemeinsamen vor. In Fürstenfeldbruck wurde die Teilnehmerzahl auf 25 begrenzt. Die Diözesanräte sollen die Informationen an die Gläubigen weitergeben.

Die Diözese lässt sich in dem Strategieprozess professionell begleiten, von der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers, PWC. Denn der Druck ist groß und die Zeit, bis Ergebnisse erzielt werden sollen, recht knapp. Generalvikar Klingan sagte: "Es ist eine Herausforderung, diesen Prozess in so kurzer Zeit durchzuführen." Schon kommendes Jahr im August sollen ein erstes Beispielprojekt umgesetzt werden. In den kommenden Jahren sollen die Ergebnisse in allen Arbeitsfeldern umgesetzt werden.

Die einzelnen Arbeitsfelder festzusetzen, ist Teil des Prozesses. Alle Katholiken im Erzbistum sollen daran mitwirken. Unter anderem mit Umfragen soll analysiert werden, welche Erwartungen die Menschen an die katholische Kirche haben.

Die Diözesanräte betrachten den neuen Prozess durchaus skeptisch, wie die Wortmeldungen nach der Vorstellung des Konzepts zeigten. Denn bereits in der Vergangenheit gab es Prozesse in der Erzdiözese, die allerdings nicht sonderlich erfolgreich waren. Ernest Lang aus Neufahrn bei Freising etwa bezeichnete das Verfahren als "kopflastig". Klaus Schex aus Waldkraiburg fragte, ob es wohl ein "kurzer Prozess" werde. "Wir lassen den aus und machen erst beim nächsten wieder mit", habe er zu seinem Dekan gesagt, als er vom Gesamtstrategieprozess erfuhr. Wenn der Prozess Erfolg haben solle, dürfe er nicht "über die Köpfe hinweg gehen". "Wie es bei den Pfarreien ankommt, das ist auch Ihre Verantwortung", entgegnete Hans Tremmel, der Vorsitzende des Diözesanrats. "Alle müssen mithelfen." Es gehe darum "gemeinsam Kirche zu sein". Lang und Schex thematisierten auch die Rolle der Priester, die gegenwärtig außer in der Seelsorge stark in die Verwaltung der Pfarrgemeinden eingebunden sind. Da es auch an Priestern mangelt, sollen diese Klingan zufolge durch Verwaltungsleiter entlastet werden. Knapp 100 neue Stellen seien geschaffen worden. "Die Frage ist, was lassen wir dafür?", sagte der Generalvikar - die Ausgaben müssen kompensiert werden.

Auf eine Frage zur Stellung der Frau sagte Tremmel, ihm persönlich sei das Thema sehr wichtig. "Die Frauen verstehen nicht, was in der Kirche passiert, weil es nicht verstehbar ist." Themen wie das Diakonat oder die Priesterweihe der Frau würden aber sicher nicht verhandelt. Um Geschlechtergerechtigkeit soll es aber schon gehen, wie Klingan sagte: "Wir wollen, dass eine Frau im Prozess an zentraler Stelle ist, die das Thema im Blick hat."

Markus Mayer, Gröbenzeller Pfarrgemeinderatsvorsitzender, wollte nicht von Skepsis sprechen. "Es gibt aber Erfahrungen, wie Prozesse versucht wurden und wie sie gescheitert sind", sagte er auf Nachfrage der SZ. Es gelte jetzt, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Der Fürstenfeldbrucker Dekan, Pfarrer Martin Bickl, sieht so etwas wie einen Erfolgszwang: "Der Druck ist diesmal größer wegen der finanziellen und personellen Situation." Früher habe die "Überführung in die Praxis" gefehlt. Nun sei den Verantwortlichen bewusst, "dass wir uns das nicht leisten können, dass wieder nichts herauskommt".

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Quelle:
SZ vom 20.10.2020
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