Süddeutsche Zeitung

Gröbenzell:Lücken im Infektionsschutz

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Im Betreuten Wohnen ist in der Pandemie vieles ungeregelt, was im Seniorenheim selbstverständlich wäre. So wünscht sich die Bewohnerin einer Gröbenzeller Einrichtung Corona-Tests für die ambulanten Helfer

Von Gerhard Eisenkolb, Gröbenzell

Inge Fried verbringt ihren Lebensabend in einer Senioreneinrichtung in Gröbenzell. Das Betreute Wohnen am Gröbenbach bietet ihr den Vorteil, weiter in den eigenen vier Wänden zu leben, aber jederzeit die Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes in Anspruch nehmen zu können. Das ist der Oekumenische Sozialdienst Gröbenzell, der im Haus ein Büro hat. Der Vorteil, im hohen Alter eigenständig zu leben und unter dem gleichen Dach Hilfs- und Pflegeleistungen wie in einem Seniorenheim zu haben, hat auch Schattenseiten. Offenbart doch die Corona-Pandemie, dass trotz des Zusammenlebens von vielen Senioren in einem Haus in Bezug auf den Infektionsschutz vieles ungeregelt ist, was in einem Seniorenheim selbstverständlich wäre.

Offenkundig wurde das Inge Fried an zwei Punkten. Für das Haus gibt es weder ein Hygienekonzept, wie es für Seniorenheime vorgeschrieben ist, noch Regelungen für Besucher. Lediglich Aushänge weisen darauf hin, dass auf den Fluren Masken zu tragen sind. Als die 90-Jährige kürzlich ihre Putzhilfe fragte, ob sie regelmäßig auf eine Covid-19-Infektion getestet werde, erfuhr sie zu ihrem Erstaunen, dass das nicht geschieht. Sind sie und ihre Familie doch bemüht, eine Ansteckung zu vermeiden. Deshalb besuchen sie ihre Enkelkinder zurzeit nicht. Und ihre Kinder schauen nur bei ihr vorbei, wenn zuvor durch einen Test geklärt ist, dass sie nicht infiziert sind. Diese Vorsicht sowie der Wunsch der Dame, dass das Personal des Sozialdienstes ebenfalls getestet wird, ist verständlich. Sind doch seit Beginn der Pandemie, 22 Bewohner der Pflegeeinrichtungen im Landkreis mit einem positiven Covid-19-Befund gestorben, insgesamt gab es in dieser Zeit 55 Tote.

Auf SZ-Anfrage bestätigt Sozialdienst-Geschäftsführerin Annette Koller die Darstellung der Bewohnerin der Senioreneinrichtung. Sie verweist aber darauf, dass Reihentestungen des Personals nicht in den Vorgaben für ambulante Pflegedienste vorgesehen seien. Zudem seien solche Tests nicht zu 100 Prozent sicher und würden nur den Infektionsstatus zum Zeitpunkt des Tests abbilden. "Das ist die Krux", sagt Koller. Auch der zeitliche und personelle Aufwand sowie die Anforderungen an das Testpersonal seien viel zu hoch, und daher nicht zu leisten. Stattdessen setzt Koller auf das für die ambulanten Pflegekräfte erarbeitete Hygienekonzept.

Statt Mitarbeitern und Betreuten mit Tests eine "falsche Sicherheit" vorzugaukeln, sei es effektiver, die Qualität des Hygieneschutzes zu wahren. Für den Umgang mit Senioren gibt Pflegedienstleiterin Barbara Mertens Folgendes vor: "Ich muss mit dem Gefühl arbeiten, immer ein Keimträger zu sein." Um niemanden anzustecken, haben laut Koller alle Mitarbeiter des Sozialdiensts in diesem Sommer auf Auslandsreisen verzichtet. Mit dem Ergebnis, dass es bisher weder bei den Mitarbeitern noch bei den von ihnen Betreuten einen einzigen Covid-19-Fall gegeben habe.

Im Evangelischen Pflegezentrum in Eichenau wird das Personal einmal pro Woche getestet. Dirk Spohd leitete das Haus bis vor einiger Zeit. Inzwischen ist er der Chef aller Pflegeheime der Inneren Mission in der Region München. Er bezeichnet es als kompliziert, solche Tests umzusetzen, auch weil hierzu eine Fachkraft benötigt wird. Spohd beteuert, ein Verfechter von FFP2-Masken und der AHA-Regeln - Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen und regelmäßig lüften - zu sein. "Dann sind Sie sicher", sagt er. Wer in der ambulanten Pflege mehr wolle, müsse das einfordern. Das hat der Seniorenbeirat der Stadt Tübingen getan. Auf dessen Initiative hin werden neben den Mitarbeitern von Seniorenheimen seit 1. November auch die Mitarbeiter von ambulanten Pflegediensten alle zwei Wochen getestet.

Das Gesundheitsamt rät dazu, das Personal von Seniorenheimen und deren Besucher regelmäßig zu testen. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, "dass Besucher, die krank sind oder sich krank fühlen, ihren Besuch durchführen und sich durch eine unmittelbar erfolgte Negativ-Testung in falscher Sicherheit fühlen". Das Gesundheitsamt lässt offen, ob und inwieweit für Häuser des Betreuten Wohnens Tests und Hygienekonzepte notwendig sind. Das liege in der Eigenverantwortung der Betreiber und letztlich auch der Bewohner, lautet die Antwort auf eine Anfrage.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Anette Koller. Sie bezeichnet das Dreiecksverhältnis zwischen dem Sozialdienst, der für Mieter und Wohnungseigentümer Dienstleistungen erbringt, den privaten Wohnungseigentümern und der Hausverwaltung, die die Beschlüsse der Eigentümerversammlung umsetze, als kompliziert. Daher sei vieles schwer zu regeln. So könne der Sozialdienst als Gast nicht einmal verfügen, die Haustür geschlossen zu halten.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2020
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