Süddeutsche Zeitung

Germering/Puchheim:Mehr als 1500 Menschen streiken fürs Klima

Lesezeit: 3 min

Vor allem Schüler fordern die Politik auf, rasch und umfassend zu handeln. Sie verlangen bessere Bus- und Bahnverbindungen, mehr Fahrradständer und eine striktere Einhaltung der Baumschutzverordnung

Von Peter Bierl und Jakob Mandel, Germering/Puchheim

Am internationalen Klimastreik haben sich am Freitag mehr als 1000 Menschen vor der Stadthalle in Germering beteiligt. "Es kotzt mich an, dass die Politik nicht handelt", kritisierte Sophie Schuhmacher vom lokalen Aktionsbündnis in ihrer Rede. In Puchheim forderten Schüler konkrete Schritte von den Kommunalpolitikern, wie etwa strikte Baumschutzverordnungen zu erlassen und mehr Fahrradwege zu schaffen. Dort versammelten sich am Mittag mehr als 500 Menschen auf dem Grünen Markt, während Kirchenglocken läuteten. In beiden Städten hatte ein Aktionsbündnis aus Umweltverbänden, Parteien und Kirchen zum Protest aufgerufen.

"Es kotzt mich an", wiederholt Schuhmacher auf der Bühne. Am schlimmsten sei, dass "ein Haufen Jugendlicher" der Politik das größte und drängendste Problem der Welt aufzeigen müsse und sie dadurch erst zum Handeln zwinge. "Die Politiker sagen: Aber ihr müsstet doch in der Schule sein. Ich würde am liebsten antworten: Aber ihr müsstet doch eure Arbeit machen!", sagt sie unter Beifall und Gelächter des Publikums. Schuhmacher ist Mitorganisatorin von "Germering for Future". An einem Beispiel macht sie deutlich, wie tief das Problem in das Leben jedes Einzelnen eingreift: Schokolade. Zuerst schwärmt sie reimend, wie sehr sie Schokolade möge, kehrt dann aber in ihrer emotionalen, frei gehaltenen Rede zum Widerspruch zurück: Der Anbau der Kakaobohnen und die Milchproduktion verursachten große Kohlendioxidemissionen. Die sechs Schüler des Max-Born- und des Carl-Spitzweg-Gymnasiums plädieren für einen Verzicht aufs Auto, den Umstieg auf grüne Energien, Vermeidung von Plastikmüll und Aufforstung. Lara vom Max-Born-Gymnasium engagiert sich bei "Plant for the Planet" und stellt zum Waldsterben fest: "Wir können uns kein Weiter so erlauben." Man müsse mehr Umweltschutz und Solidarität wagen, sagt ihr Mitschüler Marjan. Er verweist darauf, wie erfolgreich Norwegen und Schottland im Klimaschutz seien - allerdings zugleich die größten Erdölproduzenten Europas. Jonas fordert angesichts schmelzender Gletscher und schlechter Verkehrspolitik "Aktionen statt Diskussionen".

Stephan, Emily und Davis vom Carl-Spitzweg-Gymnasium verlangen eine Abkehr von der Wachstumswirtschaft, eine bessere Verteilung von Lebensmitteln und Wohlstand, eine hohe CO2-Steuer und bewussten Konsum im Privaten. "Der Druck der Straße ist stärker als die Lobbys", versprechen sie.

Auf dieser Prämisse basiere das Konzept der Klimaproteste, wie der Initiator des Germeringer Bündnisses, Michael Lorenz, bei der Eröffnung der Demonstration erklärt. Die Politik habe Fridays for Future als naiv abgetan, doch dabei seien die Politiker selbst naiv, wenn sie den Klimawandel und -schutz kleinredeten. "Ergreift eure Chance, nehmt uns und den Klimawandel ernst", appelliert Lorenz an das Klimakabinett. Professor Volker Grewe von Scientists for Future schließt sich an: "Wir haben noch zehn bis 15 Jahre, um unsere Ziele zu erreichen." Er ist sich aber mit allen Rednern einig, dass das Ziel, die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen, noch zu erreichen sei, wenn man entschlossen und gemeinsam handele.

Klare Forderungen richten die Schüler von Realschule und Gymnasium auf der Kundgebung in Puchheim an die Kommunalpolitiker. In der Proklamation der Gymnasiasten werden eine strikte Baumschutzverordnung, mehr Blühflächen statt Grünanlagen, mehr Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden, eine bessere Koordination von Bus und Bahn sowie mehr Fahrradwege, Fahrradstreifen und Fahrradstraßen verlangt. "Dann schmeiße ich meinen Führerschein in den Müll", versprach Hirad Aurahman, der zusammen mit Tobias Sonneck den Katalog auf der Bühne präsentierte. Die Realschülerinnen Lilly und Charlotte forderten, Plastik zu reduzieren, mehr Fahrradständer, Car- und Radsharing, mehr Mülleimer in der Stadt und Hilfe für ein Müllkonzept an der Schule. Gymnasium und Realschule hatten den Unterricht um 11.20 Uhr beendet, um Schülern eine Teilnahme zu ermöglichen.

Mauricio und Sophie von "Plant for Planet" berichteten, dass Mitglieder des internationalen Kinder-Bündnisses weltweit bereits 13 Milliarden Bäume gepflanzt habe. "Eine Billion ist unser Ziel", sagte Mauricio. Sophie wies daraufhin, dass die Folgen des Klimawandels vor allem Menschen im globalen Süden treffen. Kinder schlürften aus Pfützen mangels sauberem Trinkwasser, Teile von Bangladesch würden im Meer versinken. Umgekehrt trage vor allem der Norden daran schuld. Im Schnitt verursache ein Deutscher neun Tonnen Kohlendioxid, ein Afrikaner dagegen nur eine halbe Tonne im Jahr.

Der Stadtrat könnte künftig bei allen Beschlüssen prüfen, welche Folgen daraus für das Klima resultieren, sagte Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) in seiner Rede. Denn der Klimawandel müsse vor Ort bekämpft werden. "Es geht um die Zukunft, in der wir leben können." Seidl ist sich sicher, dass es neue Mehrheiten für eine andere Politik gibt. Dennoch forderte er die Kinder und Jugendlichen von Fridays for Future auf: "Haltet den Druck im Kessel hoch, entwickelt Forderungen, diskutiert."

Von einem "Versagen der Politik" sprach Manfred Sengl vom Aktionsbündnis und Stadtrat der Grünen in Puchheim. Die bisher getroffenen Maßnahmen seien schwach und halbherzig und reichten "hinten und vorne nicht aus". Die Vorstellung vom permanenten Wirtschaftswachstum, aber auch das Konsumverhalten zerstörten den Planeten. "Fridays for Future hält uns den Spiegel vor." Der öffentliche Nahverkehr müsse massiv ausgebaut und das versprochene 365-Euro-Ticket eingeführt werden, die 10-H-Regelung, die den Ausbau der Windkraft behindere, müsse weg. Die schlimmsten Kohlekraftwerke müssten innerhalb von zwei Jahren, der Rest bis 2030 abgeschaltet werden, das Flugbenzin Kerosin endlich besteuert werden. Der Puchheimer CSU-Bürgermeisterkandidatin Karin Kamleiter, die die Kundgebung im Vorfeld als Aktionismus gerügt hatte, warf Sengl vor, sie stelle sich ins gesellschaftliche Abseits". Dagegen beteiligte sich in Germering die lokale CSU an der Kundgebung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4609191
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.