Süddeutsche Zeitung

Ortsgedächtnis: SZ-Serie, Folge 1:Schatzkammern der Ortsgeschichte

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In allen 23 Kommunen des Landkreises gibt es Archive. In ihnen wird aufbewahrt, was der Überlieferung wert betrachtet wird. Die SZ stellt sie in loser Folge vor.

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Wer weiß schon, dass der Landkreis über ein über Generationen aufgebautes Gedächtnis verfügt, das Interessierten offensteht. Dieses spezielle Gedächtnis befindet sich nicht an einem Ort. Es besteht aus den Archiven der 23 Städte und Gemeinden, die mehr sind als Aufbewahrungsorte für der Überlieferung wert befundene verstaubte Akten. Diese Orte sind Schatzkammern, die wie Wundertüten mit Überraschungen aufwarten. Schließlich werden hier Unterlagen und Dokumente zu dem gesammelt, wie sich die Kommunen als Gemeinwesen entwickelten und wie das Leben der Menschen, die hier wohnten, arbeiteten, sich vergnügten, geregelt und organisiert war.

Hier schlummern Schriftstücke wie das zu den Naturalabgaben, die die Althegnenberger im Oktober 1805 neben 145 Brotlaiben zur Verpflegung der Truppen des französischen Feldmarschalls Soult und seiner Armee binnen 48 Stunden mit zwei Fuhrwerken nach Landsberg schaffen mussten. Zu finden sind auch Kuriositäten wie die Anweisung nach einer Landgerichts-Visitation 1823 in Hattenhofen, den "Unfug des Gewitterläutens, der gegebenen wiederholten Verboten ungeachtet noch immer fortbestehe, zu unterlassen". Also bei einem aufziehenden Gewitter nicht mehr die Kirchenglocken zu läuten. Große Sensationen sind das nicht, aber die Geschichte des eigenen Orts zu kennen, ist identitätsstiftend. Für Heimatliebe ebenso wie für Stolz oder Scham.

In einer Serie wird die SZ Fürstenfeldbruck in nächster Zeit diese 23 Archive vorstellen. Berichtet wird über den Bestand und die Schwerpunkte der jeweiligen Sammlung, die Personen, die sie betreuen, sowie Benutzungsmöglichkeiten. Auch auf wichtige oder kuriose Dokumente wollen wir eingehen.

Satzung der Metzger

Eines der wertvollen Dokumente im Stadtarchiv von Fürstenfeldbruck ist die Handwerkssatzung der Fürstenfeldbrucker Metzger vom 31. Dezember 1761. In 47 Artikeln, die Kurfürst Maximilian III. Joseph "gnädigst" ratifizierte, werden Strafen für Fehler beim Schlachten und Verarbeiten der Tiere festgelegt sowie der Umgang mit dem Vieh oder Preis- und Verkaufsbestimmungen geregelt. Im Stadtarchiv werden auch 6000 bis 7000 Karteikarten verwahrt, auf denen für jeden Fürstenfeldbrucker, der älter als 18 Jahre war, das Ergebnis des Entnazifizierungsverfahrens durch Spruchkammern nach dem Untergang des Nazi-Regimes vermerkt ist.

Um keine falschen Hoffnungen zu erwecken, Archivalien, die älter als 150 Jahre sind, wie etwa in Türkenfeld das Verzeichnis über die Abgaben der Grunduntertanen der damaligen Hofmark aus dem Jahr 1679, sind in kommunalen Archiven die Ausnahme. Das kann auch nicht deren Anspruch sein. Schließlich entwickelten die Gemeinden erst mit dem von Maximilian von Montgelas, dem führenden bayerischen Minister, initiierten Gemeindeedikt von 1818 eine fortschreitende Verwaltungstätigkeit. Was wiederum die Überlieferung eines zunehmenden eigenen Schriftguts sowie ein wachsendes örtliches Selbstbewusstsein nach sich zog. Wie etwa das Häuser- oder Familienbuch der ehemaligen Gemeinde Steinbach von 1835, das alle Anwesen mit dem Hausnamen sowie Besitzern und Bewohnern aufführt. Solche Bücher gehören neben den Matrikeln der Pfarreien, also Tauf-, Trauungs- und Sterbebüchern, zu den wichtigsten Quellen der Familienforschung.

Ausbruch der Cholera

Lange blieb es den Gemeinden überlassen, ob und wie sie ihre Dokumente aufbewahrten. Beispiele solcher Relikte aus den Anfängen der Verwaltungstätigkeit sind: die Meldung des Bezirksamtmanns Wimmer über den Ausbruch der Cholera in Egenhofen 1874; die Selbstverpflichtung von Bürgern aus Adelshofen, Nassenhausen und Pfaffenhofen, 1844 das Kapital für einen Schulfonds zur Finanzierung des Unterrichts der Jugend durch Arme Schulschwestern aufzubringen; die amtsärztliche Bestätigung der erfolgreichen Pockenschutzimpfung des zweijährigen Türkenfelders Johann Evangelist Hoerdinger im Juni 1853; ein Protokollbuch zur Prüfung des Bieres und des Brotes bei den Puchheimer Wirten und Krämern von 1857 bis 1863; das Geheiß des Prinzregenten von 1907, der Siedlung im Unteren Allinger Moos den Ortsnamen Eichenau zu geben; ein Verzeichnis der von 1914 bis 1922 in Hattenhofen ausgestellten Radfahrkarten, die wie ein Führerschein mitzuführen waren; 1914 ein Zeugnis über die Untauglichkeit eines Pferdes aus Jesenwang für den Kriegseinsatz; Dienstbotenregister und Verzeichnisse über ausgewiesene Bettler; ein Stimmzettel zur Volksabstimmung über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich von 1938 (Moorenweis).

All das ist überliefert, obwohl erst das Archivgesetz von 1989 in Bayern Kommunen dazu verpflichtete, eigene Archive zu schaffen, neben den bestehenden Staats-, Kirchen-, Adels-, Wirtschafts- oder Universitätsarchiven. Das geschah, um auf Dauer die Verfügbarkeit des wichtigsten kommunalen Schriftguts zu gewährleisten. Damit wurde die systematische Dokumentation der jüngeren Ortsgeschichte zum kulturpolitischen Anliegen. Die Archivalien sollten nicht nur im Bestand dauerhaft gesichert werden. Ebenso wichtig war es, deren Nutzung und Auswertung zu ermöglichen.

Zwei Archivpfleger im Landkreis

"Es geht darum, nicht nur im Hier und Jetzt zu leben, sondern es vorausschauend zu ermöglichen, in größeren Zusammenhängen zu denken und Dinge zu verknüpfen." So umschreibt die ehrenamtliche Kreisarchivpflegerin Birgitta Klemenz die Wirkkraft kommunaler Archivpflege. Das hier verwahrte Schriftgut bezeichnet sie als "Fundament einer Gesellschaft". Die Historikerin ist Dritte Bürgermeisterin in Fürstenfeldbruck und arbeitet als Archivarin im kirchlichen Bereich. Sie kennt also beide Seiten, die Archivarbeit und die von Verwaltungen. Klemenz und der weitere Kreisarchivpfleger Stefan Pfannes sehen sich als Ansprechpartner und Ratgeber für die Betreuer der kommunalen Archive, aber nicht als deren Kontrolleure oder Aufpasser.

Klemenz bezeichnet die Archivarbeit im Landkreis als beispielhaft. Für sie ist es kein Manko, dass mit Ausnahme der der beiden Städte Fürstenfeldbruck und Germering Ehrenamtliche die Archive betreuen. Dass die Unterlagen inhaltlich systematisch erfasst, geordnet und verzeichnet werden, damit Gesuchtes über Fundbücher leicht auffindbar ist, ist in kleineren Gemeinden nicht gewährleistet.

Der systematische Aufbau einer Sammlung weckt oft neue Begehrlichkeiten. So werden in Gemeindearchiven in Stahlschränken in abgeschlossenen Räumen nicht nur Verwaltungsakten, Sitzungsprotokolle oder Urkunden verwahrt. Viele Kommunen verfügen auch über eine zeitgeschichtliche Sammlung, Schulunterlagen, ein Zeitungsarchiv, Vereinssammlungen, Fotos, Plakate, Bücher und Veröffentlichungen über den Ort, Facharbeiten und Deposita. Letztere sind Unterlagen oder Nachlässe, die Privatpersonen oder Einrichtungen dem Ortsarchiv zur dauerhaften Aufbewahrung überlassen. Auch das ist ein Glücksfall, schließlich sind diese Dinge nirgends so sicher und besser zugänglich für die Nachwelt zu erhalten.

Die meisten der in diesem Beitrag genannten Beispiele sind den Unterlagen für eine Ausstellung von Birgitta Klemenz über die kommunalen Archive im Landratsamt im Jahr 2010 entnommen. Damals war der "Archivkurzführer des Landkreises Fürstenfeldbruck" vom Landratsamt in zweiter überarbeiteter Auflage herausgegeben worden.

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