Süddeutsche Zeitung

Für Artenvielfalt:Mehr Wildnis im Garten und auf dem Feld

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In Puchheim diskutiert eine Expertenrunde mit dem Bürgermeister über Wege, wie man das Insektensterben bremsen kann. Eine Ausstellung und eine Broschüre dokumentieren den Zustand

Von Karl-Wilhelm Götte, Puchheim

Jeder weiß es. Auf der Windschutzscheibe des Autos bleiben schon seit vielen Jahren keine Insekten mehr hängen, die man früher mühsam regelmäßig wegputzen musste. Die Stadt Puchheim hat sich jetzt den Insekten und anderen Pflanzen und Tieren verpflichtet, größere Lebensräume zu verschaffen. "Mehr Arten im Garten" ist das Motto einer im Detail liebevoll gestalteten 80-seitigen Broschüre, die der Biologe und Fotograf Anton Schmid, der auch Vorsitzender der Ortsgruppe des Bund Naturschutz ist, in Zusammenarbeit mit Monika Duffner vom Puchheimer Umweltamt erstellt hat. Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) hatte vier Diskutanten dazu zum "Talk am Glashaus" - draußen am Grünen Markt - eingeladen, wie die stark bedrohte Artenvielfalt aufgehalten werden kann.

Bei Badewetter waren 20 interessierte Zuhörer gekommen, die neben dem auf dem Asphalt aufgemalten Grundriss Puchheims Platz nahmen. Ein Dutzend Blumentöpfe markierten die Stellen Puchheims, wo es schon besonders schön blüht. Daniel Wanner, im Ehrenamt Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Puchheim-Ort, zeigte in einem Bildschirm-Einspieler, wie er mit einer Drohne Puchheim von oben filmt. Die zwölf Quadratkilometer große Stadtfläche besteht aus sechs Quadratkilometern Grünfläche. Schmid führt in der Broschüre als positive Beispiele die Duftlauch-Pfeifengras-Wiese an der Alpenstraße oder die Streuobstwiese am Mondscheinweiher in Puchheim auf. Doch wie gelingt es auch in privaten Gärten die Artenvielfalt zu verbessern?

Das Artensterben müsse zurückgedreht werden, darüber war sich die Runde einig. "Jeder Gartenbesitzer baut einen Quadratmeter Blumenfläche an", warf Künstler Georg-Johann Miller umgehend in die Debatte. "Dann hätten wir schon viel erreicht." Bürgermeister Seidl stimmte dem zu, war jedoch skeptisch, weil der "Eigenheimerrasen" vor und hinter den Häusern dominiere und auch Mähroboter keinen Spielraum für Insekten lasse. "Vor der eigenen Haustür endet es bei vielen", argumentierte auch Kreisbauernobmann Georg Huber aus Puchheim-Ort. Er ist seit zweieinhalb Jahren Biobauer und vertritt etwa 900 Landwirte im Landkreis "mit vielen unterschiedlichen Interessen", wie er sagt. Das Bienen-Volksbegehren habe allen Landwirten ziemlich zugesetzt, weil sie sich ungerecht an den Pranger gestellt fühlten. Viele Menschen hätten da auch unterschrieben, weil andere, also die Bauern, Blühstreifen schaffen sollen. "Das ist eine Modeerscheinung", sagte Huber überzeugt, "ein Bewusstseinswandel ist das noch nicht."

Miller widersprach und plädierte für das Mähen mit der Sense, wusste aber auch, dass das die Ausnahme ist, weil den Menschen auch die Sensentechnik abhandengekommen ist. So blieb es in der Runde bei Appellen und Wünschen. Seidl hätte gerne etwas mehr Wildnis im Garten: "Warum nicht den Rasen länger stehen lassen?" Imker Roland Stein käme das für seine Bienen gerade recht, passiert aber viel zu selten. "Die Ernährungslage für Bienen ist in der Stadt besser", verkündete er den erstaunten Besuchern. "Die fühlen sich da wohler." Die Bienen hätten dagegen auf dem Land ein Problem, beispielsweise mit dem blühenden Raps, den sie gerne mögen. Der sei jedoch mit einem Unkrautvernichtungsmittel zuvor gespritzt worden. "Die Bauern spritzen nach dem Bienenflug", widersprach Huber. "Am nächsten Morgen ist das schon wieder abgebaut." Margit Pesch von "Unser Land" führte auch mehrere Blühflächen-Beispiele in Emmering und Eichenau auf und zeigte sich optimistischer, was die Artenvielfalt betrifft. "Wenn es Vorbilder gibt, merken die Leute, dass sich etwas tut", so Pesch. "Wir müssen in die Köpfe der Menschen kommen." Das ist sicherlich auch das Motto, um in privaten Gärten für die Insekten etwas zu tun. "Auch rund ums Haus kann jeder seinen Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt leisten", lautet die Aufforderung in der kostenlosen Puchheimer Ratgeber-Broschüre. Wie wäre es mit einem wunderbar lila blühenden Schmetterlingsstrauch?

"Mehr Arten im Garten", Ausstellung, Glashaus Puchheim, bis Sonntag, 26. Juli: 14 Uhr, gemeinsames Picknick auf der Hochzeitswiese; 15.30 Uhr Radtour zu Blühflächen in der Stadt.

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Quelle:
SZ vom 24.07.2020
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