Süddeutsche Zeitung

Fotografie:Visuelle Kompositionen

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Das Kunsthaus stellt Werke zweier Fotografen aus, die zu Locations viel Zeit, Sachkenntnis und ein Stativ mitgebracht haben: Industrie- und Naturaufnahmen von Wolfgang Pulfer und Schwarz-Weiß-Landschaftsbilder von George E. Todd

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Ins Kunsthaus FFB sollte man Zeit mitbringen. Reichlich Muße, um sich auf die buchstäblich tiefgründige Fotografien einzulassen, die da auf zwei Etagen Raum und Zeit einzurahmen scheinen. Und wer sich in der gebotenen Ruhe auf die Bilder von Wolfgang Pulfer und die des 2016 verstorbenen George E. Todd einlässt, dem offenbart sich ein Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart - der sich beinahe ablesen lässt an den Jahresringen der Bäume oder an Autowracks der Fünfziger, die vor sich hinrosten und mit einer Patina überzogen sind, die für das Auge eines Fotografen unwiderstehlich sein muss.

Gerhard Derriks spricht im Vorwort des aufwendig erstellten Ausstellungskatalogs von "Fotografie als Kunstform". Und da mag gewiss niemand widersprechen. Zwischen Holzboden, Säulen und weißen Wänden verliert sich das Auge in den Tiefen der Landschaft. Die in der Regel weit geschlossene Blende ermöglicht eine schier endlose Schärfentiefe, die im Gegenzug zwangsläufig wachsenden Belichtungszeiten lassen sich in der Regel nur durch die Wahl eines Stativs bewältigen. Es sind nicht atemlose, nach Aufmerksamkeit heischende Reportagefotos. Menschen sind nicht zu sehen. Gleichwohl sind ihre Spuren allgegenwärtig, ob nun in einer bisweilen synchronisiert wirkenden Naturlandschaft oder in bröckelnden Ruinen.

Der Fürstenfeldbrucker Wolfgang Pulfer, 64, der in Pasing ein Fotostudio hat, arbeitet mit modernen Kameras mit Vollformatsenor oder mit Mittelformat. Seine Farbbilder bearbeitet er sehr maßvoll und printet sie selbst auf Spezialpapier aus - nichts bleibt dem Zufall überlassen. Bei seinen Landschaftsaufnahmen erschließt sich der große technische Aufwand nicht gleich beim ersten Hinsehen. Auf den zweiten Blick wird dann aber beispielsweise bei Nachtaufnahmen deutlich, dass hier mit Studioblitzen dezente und doch augenfällige Lichtakzente gesetzt worden sind - erkennbar an einem Lichtstreifen hier oder den leicht aufgehellten Baumstämmen dort. Vor zwei Wochen war Pulfer in der Lausitz, um eine ehemalige Brikettfabrik zu besuchen. Einer akribischen Recherche war die Beantragung von Fotogenehmigungen gefolgt. Der Aufwand hat sich gelohnt, die Aufnahmen wirken wie ein nostalgischer Rückblick in eines der Kraftzentren des einstigen Arbeiter- und Bauernstaats. Nicht minder sehenswerte Bilder brachte er von Exkursion zu einem alten Hotel, zu Fabrikanlagen im Ruhrgebiet oder zu den Heilstätten in Beelitz mit - all dies sind Pulfers "verlassene Orte", deren Reiz sich nur dem erschließt, der ein geschultes Auge und die entsprechende Ausrüstung mitbringt. "Ich sehe was, was du nicht siehst", heißt die Ausstellung der beiden Fotografen denn auch sinnigerweise - in Anlehnung an ein beliebtes Kinderratespiel.

Es gibt unübersehbare Parallelen zwischen dem Fürstenfeldbrucker Fotografen mit Meistertitel und dem "Meister der Graustufen" - George E. Todd. Mag sie die Farbe auch trennen, so ist der 1925 in England geborene Mitarbeiter der Airforce, der 1972 dem Ruf der DLR nach Oberpfaffenhofen folgte und nach Weßling zog, doch auch ein Künstler, der mit bedächtiger Ruhe nach dem richtigen Motiv sucht. Auch er greift neben der Kleinbildkamera zum Mittelformat. Und natürlich zum Stativ. Auch seine Fotos bilden vorzugsweise Europa oder Nordamerika ab. Todd kann auch anders, in seinem Nachlass finden sich unzählige Farbaufnahmen. Aber gerade durch die monochrome Reduzierung gewinnen seine in Analogtechnik erstellten Arbeiten an Brillanz. Die Schärfe reicht bis zum meist tief gesetzten Horizont, durchs Vorsetzen eines Rotfilters wird der Himmel beinahe schwarz, die schneeweißen Wolken heben sich klar davon ab. Dabei fressen weder die Lichter aus noch saufen die Tiefen ab. Nicht nur dem größeren Kontrastumfang der Analogfilme ist dies zu verdanken, sondern vor allem der sorgsamen Inszenierung, die den Stand der Sonne ebenso berücksichtigt wie Verschattungen durch Wolken. Wenig überraschend ist da die Erkenntnis, dass Todd sich des so genanten Zonensystems bediente, über das der renommierte US-Landschaftsfotograf Ansel Easton Adams (1902 bis 1984) ganze Lehrbücher verfasst hat. Alle Aufnahmen - vom dramatischen Wolkenhimmel über den Bergen bis hin zur urwüchsigen Holzhütte hinterm Bretterzaun - wurden viele Stunden in der Dunkelkammer auf hochwertiges Barytpapier belichtet. Die historischen "Vintage"-Abzüge werden ausgestellt, bleiben aber ansonsten ebenso im George-E.-Todd-Archiv wie die mehr als 30 000 Negative, darüber hinaus werden nach Angaben von Susanne Flesche aber noch weitere Abzüge erstellt, die in den Verkauf gehen. Die ehemalige Leiterin des Kunsthauses Kaufbeuren verwaltet den Nachlass Todds.

Dass hinter den atemberaubenden Natur- und Industrielandschaften sehr wohl ein Mensch steht und dass es auch vor der Kamera durchaus "menschelt", das wird klar, wenn man sich mit Wolfgang Pulfer unterhält. Er wirkt ernst und ruhig - und kann doch über sich selbst und die Anekdoten aus seiner "Alltagsarbeit" als Fotograf schmunzeln: In den Anfangsjahren der Digitalfotografie, also in den Zweitausendern, unterlief ihm einmal ein folgenschweres Missgeschick. Nachdem er eine Hochzeit fotografiert hatte, bemerkte er, dass die Speicherkarte defekt und keines der Fotos mehr rekonstruierbar war. Der größte anzunehmende Unfall für einen Profi-Fotografen. Auf eigene Kosten stellte Pulfer die ganze Feier noch einmal nach. Als der Auftraggeber dann die Bilder abholte, erfuhr Pulfer, dass das Brautpaar mittlerweile bereits wieder geschieden war. Aber so ist das mit der Fotografie: Sie bildet eben nur die Vergangenheit ab.

Ich sehe was, was du nicht siehst; etwa hundert Bilder, Fotokunst von Wolfgang Pulfer und George E. Todd, Kunsthaus FFB, Vernissage Freitag, 9. November, 19.30 Uhr; bis Sonntag, 16. Dezember

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Quelle:
SZ vom 08.11.2018
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