Süddeutsche Zeitung

Eichenau:Unflätiger Senior

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Amtsrichter verurteilt 79-Jährigen wegen Beleidigung

Von Ariane Lindenbach, Eichenau

Mehr als 70 Jahre ist ein 79-Jähriger straffrei gewesen. Doch seit etwa fünf Jahren muss sich der Münchner immer wieder vor Gericht verantworten. An diesem Mittwochmorgen sitzt er wegen Beleidigung und versuchter Nötigung auf der Anklagebank. Der Immobilienbesitzer soll Nachbarn in Eichenau, denen er zuvor eines seiner Häuser verkauft hatte, durch Zuparken ihrer Einfahrt am Wegfahren gehindert haben. Und sie mit einer sogenannten Formalbeleidigung - einer Beleidigung, die für sich steht und nicht erst durch den Kontext dazu wird - in ihrer Ehre herabgewürdigt haben. Am Ende verurteilt ihn der Vorsitzende nur wegen der Beleidigung und verhängt 6000 Euro Geldstrafe gegen den Angeklagten.

Es ist bereits der zweite Termin, zu dem der Angeklagte, diesmal mit Anwalt, in dieser Sache ins Amtsgericht kommt. Jetzt sagt er zu den Vorwürfen gar nichts. Der Anklage zufolge hat er im Februar die neuen Eigentümer seines früheren Hauses beleidigt. Und sie im Mai durch Zuparken ihrer Ausfahrt vorübergehend am Wegfahren gehindert, was rechtlich als versuchte Nötigung gewertet wird.

"Er war schon sehr aggressiv", erinnert sich ein unbeteiligter Zeuge an die Situation, als er im Februar mit seinen neuen Nachbarn und Besitzern des früheren Hauses des Angeklagten vor deren Garage vorfährt und dort auf den 79-Jährigen trifft. Seiner Schilderung nach nennt dieser seine Nachbarn "Arschlöcher" - als diese sich das verbitten, wiederholt der Angeklagte seine Beleidigung noch mal. Auf die zugeparkte Einfahrt seiner Nachbarn angesprochen, sagt der Zeuge: "Das gab es öfter."

Die geschädigten Nachbarn berichten die Situation ganz ähnlich. "Er hat sich uns zugewandt und sich über die Arschlöcher beschwert, die ihre Garage nicht weißeln", sagt der Mann. Und bestätigt die Wiederholung durch den Angeklagten. Wie genau der zeitliche Ablauf im Mai war, als er eines Sonntagnachmittags mit seiner Frau und dem Auto wegfahren wollte und die Einfahrt durch ein Fahrzeug des Angeklagten zugeparkt war, weiß der Geschädigte nicht mehr so genau. An den springenden Punkt, die über eine Nötigung entscheidende Frage - nämlich ob das Fahrzeug des Angeklagten auch noch in dem Moment ihre Einfahrt zugeparkt hatte, als sie wegfahren wollten - kann er sich nicht erinnern.

Seiner Frau geht es genauso. Sie erzählt, dass sie am späteren Mittag das parkende Auto bemerkte und deshalb die Polizei rief. Die kontaktierte den Angeklagten, irgendwann war das Auto dann weg. Die Aussage der Zeugin lässt ahnen, dass die Geschichte ein Vorspiel hat. Vom Richter gefragt, ob sie zuerst mit dem Angeklagten gesprochen habe, erklärt sie: "Ich habe mehrmals versucht mit ihm zu reden, das ist nicht möglich. An dem Tag nur über die Polizei."

Also beschränkt der Richter die Anklage auf die Beleidigung und lehnt die Rücknahme des Einspruchs ab. Weder er noch der Staatsanwalt zweifeln an der Schuld des Angeklagten. Der Verteidiger plädiert auf Freispruch, schließlich sei es "die Zielrichtung nicht unbedingt als beleidigend zu sehen" gewesen. "Arschloch ist eine Formalbeleidigung", erklärt der Richter in seiner Urteilsbegründung. Solche Titulierungen erlaubten keine nette Interpretation.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2018
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