Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Auf Abstand

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Wenn im Jugendhilfeausschuss Plätze frei bleiben, hat das derzeit nichts mit Abwesenheit zu tun

Kolumne von Andreas Ostermeier

Von Politikern, die einem anderen Politiker, idealerweise aus der gleichen Partei, widersprechen, sagt man, sie distanzierten sich von dem anderen. Oft zu beobachten sind solche Absetzbewegungen unter sozialdemokratischen Parteifreunden oder Vorderleuten der Union, die sich als Männerfreunde bezeichnen. Journalisten berichten gerne über die Abstände, die Politiker von einander zu gewinnen suchen, sind das doch Geschichten über Macht, Einfluss und gekränkte Eitelkeiten. Solche Geschichten haben auch viele Leser gerne.

Von hiesigen Kommunalpolitikern lässt sich nun ebenfalls eine Geschichte über Abstände erzählen. Bei der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses im großen Saal des Landratsamts wurde sehr auf Distanz geachtet. Mitarbeiter der Verwaltung hatten bereits vor Beginn Namenszettel auf die Tische gelegt, so dass jedes Ausschussmitglied wusste, wo es Platz nehmen durfte. Zwischen den mit Namenszetteln gekennzeichneten Plätzen sollte ein Stuhl leer bleiben, erst der übernächste durfte wieder besetzt werden. Als die Sitzung begann, zeigten die Reihen von Politikern und Experten eine große Übersichtlichkeit. Schön viel Platz blieb zwischen den einzelnen Personen. Auch die Berichterstatter der Presse wurden weit auseinander gesetzt.

Der Abstand hatte allerdings nichts zu tun mit auseinander liegenden, gar polarisierten Ansichten unter den Kreisräten. Während die politische Distanzierung sich in Aussagen zeigt, gerne auch zwischen Personen, die beim Parteitag nebeneinander sitzen, war die Distanzierung im Saal des Landratsamts räumlich gemeint. Vorgeschrieben wird sie derzeit vom Coronavirus, genauer den Regeln, mit denen seine Ausbreitung gebremst werden soll. Von inhaltlicher Distanz zwischen den Kreisräten konnte keine Rede sein. Sämtliche Abstimmungen endeten mit einem einhelligen Ja (heute kommt der Kreisausschuss in öffentlicher Sitzung und lückenhafter Sitzordnung zusammen).

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Quelle:
SZ vom 26.03.2020
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