Süddeutsche Zeitung

Bäderrichtlinie:Angst vor Schadenersatz

Was das Urteil des Bundesgerichtshofes ausgelöst hat

Von Eirik Sedlmair

Das Urteil, das viele Kommunen dazu veranlasst, ihre Badeinseln abzubauen, stammt aus dem Jahr 2017: Eine Frau aus Koblenz hatte eine Gemeinde verklagt, weil sie sich im kommunalen Freibad im Seil einer Boje verfangen hatte. Die Frau ging unter, blieb mehrere Minuten unter Wasser, das alles unbemerkt von der Badeaufsicht. Bei dem Unfall trug sie schwere Hirnschäden davon, sie ist seitdem schwerbehindert. Sie verklagte die Gemeinde, die ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sei, der Fall ging bis vor den Bundesgerichtshof. Dieser gab der Frau Recht. Die Gemeinde muss einen hohen Schadenersatz zahlen, sie haftet für den Unfall.

Der BGH kehrte in seinem Urteil die Beweislast um. Das heißt, eine Gemeinde muss nachweisen, dass sie keine Schuld an einem Unfall hat. Die Gemeinden befürchten nun, für Unfälle haften zu müssen und mit hohen Schadensersatzforderungen konfrontiert zu werden. Eine dauerhafte Badeaufsicht für ihre Seen können sie nicht gewährleisten. Wenn Badeinseln, Rutschen und Sprungtürme Teil des Sees sind, gilt der See nicht mehr nur als See, sondern als "bädertypischer Ausbau". So steht es in der Richtlinie R 94.13 der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen. Und für einen "bädertypischen Ausbau" braucht es Aufsichtspersonen.

Deswegen werden jetzt vielerorts Inseln abgebaut, Rutschen geschlossen und Sprungtürme zugenagelt. Die Kommunen wollen erreichen, dass die Seen nicht mehr "bädertypische Ausbauten" sind, sondern einfach nur Badestellen. Dann ist auch keine Aufsicht nötig, und die Kommune muss im Zweifel nicht haften.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2019
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