Boxer aus Olching:Von der Chemo zum Champion
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Nach der Diagnose geben die Ärzte Michael Manzau nur noch ein Jahr zu leben. Gut zwei Jahre später hat er nicht nur den Krebs bezwungen. Über einen, der immer wieder aufsteht.
Von Carim Soliman, Olching
Wer zum Training nach Geiselbullach ins Manzau Boxing Fitness fährt, wird schon mal von einem leisen Schnarchen begrüßt. Das Studio von Michael Manzau liegt am Gewerbegebiet im Norden Olchings, neben Maschinenlager und Terrassenbaufirma. Anpackerromantik, ein bisschen wie Rocky eben, drinnen hängt dann aber nur ein Filmposter und keine Rinderhälfte. Das Schnarchen gehört Manzaus Hündin Meggy, die den Ruhestand an ihrem Platz gleich neben dem Tresen genießt. "Sie war von Anfang an dabei", erzählt er, "jetzt ist sie schon eine ältere Dame, deshalb auch die Windel." Ausführungen über körperlichen Grenzen im Alter, ausgerechnet von Michael Manzau.
Draußen an der Fassade seines Studios hängt seit neustem nicht nur Meggys Konterfei, die für das Firmenlogo Modell stand. Ein Banner über dem Eingang gratuliert "unserem Michi" zum Titel. Mit 53 Jahren stieg Manzau Ende Juni bei den World Boxing Foundation Amateur Masters Germany noch einmal in den Ring - zum ersten Mal seit 25 Jahren und zum ersten Mal überhaupt für einen Boxkampf. Als junger Mann hatte er einige Kämpfe im Kickboxen bestritten, das war's. Und jetzt: Boxeuropameister im Schwergewicht. Der Weg dorthin war schwierig, einerseits ganz wörtlich. Vor Nervosität konnte er beim Einlauf in die Halle in Amberg kaum einen Schritt vor den anderen setzen. "Ich dachte die ganze Zeit nur", sagt er und zeigt unter den kleinen, runden Tisch, an dem er sitzt, "hoffentlich sieht niemand, wie meine Füße zittern."
Wenn Michael Manzau erzählt, dann mit vollem Körpereinsatz. Das breite Kreuz wankt vor und zurück, die gebräunten Arme schwingen durch die Luft, in ihrer ganzen Spannweite, bei der einem ganze bange werden muss, wenn man ihm im Ring gegenübersteht. Optisch entspricht er ganz dem Bild des Kampfsportlers: Von oben bis untern tätowiert, Irokesenschnitt, Statur im Kühlschrankformat. Einschüchternd wirkt er deshalb nicht. Dafür strahlen die perlweißen Zähne zu oft zwischen Kinn- und Oberlippenbart hindurch, vor allem dann, wenn er wieder über sich selbst lacht. Zum Beispiel, als es um seine Einlaufmusik geht. "Die hatten da alle Gangsterrap und Bumm und Krawall. Ich hatte einen Song aus einem Film mit Bud Spencer." Und sowieso: Neben den vielen Tribal Tattoos findet sich, auf seiner linken Wade, auch eine Micky Maus.
Angst vor dem Fight hatte er keine, sagt er. Er war im Vorhinein so aufgeregt, weil er es einfach nicht mehr erwarten konnte. Er wollte endlich loslegen. Endlich in den Ring steigen, endlich seinem Gegner gegenüberstehen, es sich endlich beweisen. Nicht nur, dass er jenseits der 50 noch boxen kann. Sondern, dass er noch lebt.
Als Manzau vor zweieinhalb Jahren zum Arzt ging, soll es ein Routinebesuch werden. Seine Frau hatte ihn zur Darmspiegelung überredet, selbst wäre er nicht hingegangen. "Wir waren am Abend vorher noch beim Volkstheater und ich hätte so gerne was gegessen. Aber vor so einer Untersuchung darfst du das ja nicht. Fast wäre ich nicht hingegangen." Er ging doch und bekam die Diagnose. Speiseröhrenkrebs. Der erste Arzt, sagt Manzau, gab ihm noch ein Jahr.
"Das haut dich von den Füßen", beschreibt Tom Manzau den Moment, als ihm sein Vater davon erzählt. Der Junior, heute 28, ist dem Senior wie aus dem Gesicht geschnitten. Auch seine einnehmende Art hat er geerbt und die Disziplin. Neben seinem eigentlichen Beruf als Maurer, den Beruf, den auch Michael Manzau gelernt hat, arbeitet Tom im Studio. Und er trainiert hier, Boxen, versteht sich. Was aus dem Studio wird, war eine der ersten Fragen, die ihm durch den Kopf schossen, als er die Hiobsbotschaft vom Krebs seines Vaters hört. Man könnte sich darüber wundern, wüsste man nicht, was das Studio den Manzaus bedeutet - und was sie dafür geopfert haben.
Die Justiz kommt dem Traum vom eigenen Studio in die Quere
"Es war immer mein Traum, selbst eins zu haben", sagt Michael. Schon in der Schule begeistert er sich dort für Sport. Er macht alles von Leichtathletik bis Tischtennis, später kommt er über Filme zu Fitness und Kampfsport. "Damals liefen solche Sachen wie Conan der Barbar" Mit seinem Stiefvater ist es damals "nicht ganz so lustig", erzählt er. Sein leiblicher Vater war kurz vor seiner Geburt gestorben, auch andere Familienmitglieder verliert er früh. Schicksalsschläge und negative Erfahrungen spielt Manzau herunter, sie sind "nicht lustig", "unschön" und wenn es hochkommt "ätzend". Seine Krebserkrankung war ätzend und der Grund, weshalb er sein erstes Boxstudio schließen musste.
Nach der Schule und seiner Maurerlehre arbeitet er in allen möglichen Jobs am Bau. 2006 verdient er schließlich genug und mietet einen Kellerraum des Studios "Happy Fitness" in Fürstenfeldbruck an. Abends, nach der Arbeit, gibt er dort Trainingsstunden im Boxen und Thaiboxen. Es ist der erste Schritt zum eigenen Laden. "Aber dann", sagt Manzau, "musste ich weg." Fünf Jahre muss er "weg", so lautet das Urteil damals. Er muss hinter Gitter, weil er Marihuana geschmuggelt hat. Mit den Drogen habe er keinen Cent verdient, beteuert er heute noch, die Fahrten seien lediglich ein Gefallen für einen Spezl gewesen. Eine Ausrede soll das allerdings nicht sein. "Ich habe Scheiße gebaut, ganz klar."
Aber selbst im Gefängnis gibt er seinen Traum nicht auf. Während Besuchen oder in Briefen habe er mit seinen Kindern nach Namen für das Studio gesucht. Wieder in Freiheit und mit einem Erbe von 40 000 Euro, macht er sich 2013 auf die Suche nach einem geeigneten Objekt. Schließlich findet er die Räumlichkeiten in Geiselbullach. Jeden Cent steckt er am Anfang hinein, verkauft sein Motorrad und gibt seine Wohnung auf, lebt einfach im Studio. "Die ersten drei Jahre waren hart", erinnert sich Tom Manzau. Wenn er aus der Zeit erzählt, von Problemen beim Bau, von der Suche nach Ausstattung und Kundschaft, erzählt er in der "Wir"-Form. Dabei ist er damals keine 20 Jahre alt. Auch Michael Manzaus Frau Franziska Sirtl arbeitet nebenher im Studio, erzählen die beiden, sie kümmert sich um das Büro. Manzau Boxing Fitness ist ein echter Familienbetrieb.
Inzwischen läuft der Laden. Kampfsportbegeisterte gehören ebenso zur Kundschaft wie Leute, die sich einfach fit halten wollen, an Geräten oder im Zirkeltraining, auf der Hantelbank oder am Sandsack. "Die Leute, die herkommen, sind super", schwärmt Michael Manzau, "wir sind eine echte Community." Erst kürzlich hat sich das Studio noch einmal erweitert. Manzau hat die benachbarten Räumlichkeiten angemietet, ist dorthin durchgebrochen - und das zwischen zwei Lockdowns.
Er gewinnt gegen seinen Gegner, aber auch gegen den Krebs und seine Folgen
Risiken haben Michael Manzau nie von einer Entscheidung abgehalten, eher im Gegenteil. Deswegen hat er während der Pandemie in sein Geschäft investiert, obwohl er es während der nächsten Welle womöglich hätte dicht machen müssen. Und deswegen hat er mit 53 Jahren seinen ersten Boxkampf bestritten, nach zwei Jahren Überlebenskampf. "Ich wollte nach dieser Scheiße einfach noch mal kämpfen", sagt er. "Ich habe das für mich gemacht und als Motivation für andere."
Als Manzau im Juni 2022 den Gürtel der WBF in die heiße Luft der Sporthalle reckt, hat er fünf harte Runden mit einem jüngeren Gegner hinter sich. Aber das war der leichte Teil. Viel schwerer war die Chemotherapie, als sie ihm Gift in die Adern pumpten, das die Krebszellen angriff, aber auch seinen restlichen Körper, den er all die Jahre zuvor gestählt hatte. Die Operation, die ihn ein gutes Stück seiner Speiseröhre und drei Viertel seines Magens kostete, weshalb er nur wenige Happen auf einmal schafft und stündlich essen muss. Danach die Wochen im Rollstuhl.
Heute liegt der Gürtel, goldene Schnalle auf blauem Grund, in einer Vitrine im Eingang des Studios aus - bis auf Weiteres. Michael Manzaus nächster Gegner steht schon fest, ein Australier. "Er lebt nur noch für mich, um mich zu besiegen, hat er neulich am Telefon gesagt", Manzau und lacht. Die Vorfreude auf den nächsten Fight ist ihm anzusehen. Noch halten die Füße still.