Süddeutsche Zeitung

100 Jahre Freistaat:Demokratisches Vorbild

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Elena Berger, stellvertretende CSU-Ortsvorsitzende von Mammendorf, möchte erreichen, dass die Gemeinde an den im Jahr 1949 im Ortsteil Nannhofen gestorbenen bayerischen SPD-Politiker Albert Roßhaupter erinnert

Von Andreas Ostermeier, Mammendorf

Nachdem er die Unterstützung der Soldaten in den Münchner Kasernen gewonnen hatte, rief Kurt Eisner am 7. November 1918 den Freistaat Bayern aus. Dieses revolutionären Umsturzes gedenkt Bayern in diesem Jahr, endete damit doch die seit 1180 andauernde Herrschaft der Wittelsbacher über das Land. Hundert Jahre zuvor, im Mai 1818, wurde die zweite bayerische Verfassung in Kraft gesetzt. Sie enthielt erste Grundrechte und Voraussetzungen für die politische Mitbestimmung der Bürger - freilich noch für sehr wenige von ihnen. Beide Daten markieren wichtige Abschnitte in der Entwicklung hin zum heutigen Freistaat. Doch die beiden Daten kommen zu wenig zur Geltung, findet Elena Berger aus Mammendorf.

Die 22 Jahre alte Juristin und stellvertretende CSU-Ortsvorsitzende möchte das ändern. Deshalb setzt sie sich dafür ein, dass die Gemeinde Mammendorf in geeigneter Weise einen der Väter des Grundgesetzes ehrt, nämlich den im Oktober 1949 in der damaligen Kreisklinik im Schloss Nannhofen gestorbenen SPD-Politiker Albert Roßhaupter.

Roßhaupter erscheint ihr als der Richtige für eine Würdigung, setzte sich der Politiker doch während seines Lebens für Freiheit und Demokratie ein. Auch widersetzte er sich den Nationalsozialisten, war zweimal im KZ Dachau eingesperrt. An seiner Person könne deutlich gemacht werden, welche Bedeutung Grundrechte und eine Verfassung haben, sagt Berger. Nach dem ersten juristischen Staatsexamen hat sie sich hingesetzt und einen Artikel über Roßhaupter verfasst. Den hat sie der Brucker SZ geschickt. Im Zentrum stehen die Worte, mit denen Roßhaupter am 29. April 1933 im Landtag das Ermächtigungsgesetz der Nazis ablehnte. In der Rede bezeichnete der SPD-Fraktionsvorsitzende Freiheit und Gerechtigkeit als "unvergängliche große Ideen".

Nicht zuletzt wegen dieser Rede wurde Roßhaupter von den Nazis verfolgt. Von Juni bis September 1933 war er im Gefängnis in Fürstenfeldbruck eingesperrt. Dann wurde er als Gegner der NS-Herrschaft in Dachau inhaftiert. Nach seiner Freilassung im März 1934 schlug er sich mit dem Verkauf von Gemüse durch, das er im Garten seines Olchinger Hauses angebaut hatte. Um es zu verkaufen, ging er des öfteren zu Fuß nach München.

Im August 1944 wurde er in Folge des Attentats vom 20. Juli als politischer Gefangener erneut in Dachau inhaftiert. Doch Roßhaupter ließ sich nicht brechen. Nach Kriegsende zog es ihn sofort wieder in die Politik. Zwischen 1945 und 1947 amtierte er unter den Ministerpräsidenten Fritz Schäffer, Wilhelm Hoegner und Hans Ehard als Arbeits- und Sozialminister. Der Olchinger gehörte auch der verfassungsgebenden Versammlung an, die im Dezember 1946 die bayerische Verfassung beschloss. Von Oktober 1948 bis Mai 1949 arbeitete er zudem am Grundgesetz mit.

Roßhaupter, der 1878 in der Nähe von Straubig geboren wurde, lernte Lackierer und machte zunächst Karriere in der Eisenbahn-Gewerkschaft. 1907 wurde er erstmals in den Landtag gewählt. Diesem Parlament gehörte er bis 1933 an. Als Wehrminister arbeitete er in der Regierung von Kurt Eisner mit, als Landtagsabgeordneter war er an der Ausarbeitung der Bamberger Verfassung beteiligt, die dem Freistaat zu Beginn der Zwanzigerjahre seine politische Form gab.

Berger ist es ein Anliegen, an Personen zu erinnern, die sich in besonderer Weise für den Rechtsstaat und die freiheitlichen Grundrechte eingesetzt haben. Gerade heute sei es wichtig, für die Demokratie Flagge zu zeigen, sagt die Juristin. Die Stadt München hat eine Straße, die Gemeinde Olching einen Platz nach dem Politiker benannt. Auch Mammendorf soll eine Ehrung vornehmen, wünscht sich Berger und verweist darauf, dass gerade neue Straßen angelegt werden oder in Planung sind. Mit einigen Gemeinderäten hat sie bereits über ihr Anliegen gesprochen.

Wie aber ist die junge Christsoziale überhaupt auf den längst verstorbenen SPD-Politiker gekommen? Es war Theo Waigel, der sie auf Roßhaupter aufmerksam gemacht hat. Der ehemalige Bundesfinanzminister habe ein Buch über demokratische Politiker in der Weimarer Republik gelesen, erzählt Berger. In diesem Buch wurde auch Roßhaupter erwähnt, und sein Bezug zu Olching und Mammendorf. Waigel wusste, dass Berger aus Mammendorf stammt, und er empfahl ihr, sich einmal mit diesem von den Nazis verfolgten Politiker zu befassen, der an der Entstehung mehrerer Verfassungen sowie zwei Mal am Neubeginn des politischen Lebens in Bayern mitgewirkt hat.

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SZ vom 08.09.2018
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