Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in Grundschule:Alles ist improvisiert

Lesezeit: 3 min

Schnell, reibungslos, unaufgeregt: Der Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin macht in vier Stunden aus einer leeren Schule ein Quartier für hundert Flüchtlinge. Damit will er schneller sein als die Bedenken der Anwohner.

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Der Mittwoch ist sicher einer der anstrengenden Tage im Leben des Fürstenfeldbrucker Landrats Thomas Karmasin und für die Mitarbeiter seiner Behörde. Karmasin hat sich viel vorgenommen. Mit der tatkräftigen Unterstützung von rund 50 Rotkreuz- und THW-Helfern gelingt es ihm, in nur vier Stunden in einer leer stehenden, kurz zuvor erst beschlagnahmten Schule ein Notquartier für hundert Flüchtlinge aus der Bayernkaserne in München einzurichten. Obwohl Notquartier nicht ganz das richtige Wort ist.

Immerhin stehen im Hof im Handumdrehen aufgestellte Duschkabinen, es steht ein Arzt für die medizinische Betreuung bereit, und neben Feldbetten wird auch Essen angeliefert. Für jeden, der erwartet wird, sollen rechtzeitig zwei Portionen eines kalten Abendessens zur Verfügung stehen. Und es gibt sogar ein Büro in dem Mitarbeiter des Ausländeramtes die Ankommenden registrieren und erfassen. Schließlich packen auch viele Bürokraten mit an. Die Menschen sind schließlich willkommen, das sollen sie auch spüren.

Die Asylbewerber sollen nicht zusammengepfercht werden

Während der Landrat das alles koordiniert, regelt er nebenbei noch, dass jeder Flüchtling in den nächsten beiden Tagen an der Kreisklinik durchgecheckt und auch geröntgt wird. Alles offenbar kein Problem, wenn man wie Karmasin viele der Beteiligten kennt und den direkten Zugriff auf die Ressourcen hat. In einem der zwölf ehemaligen Klassenräume wird ein Büro eingerichtet und die ankommenden Mütter sollen sich bei Bedarf sogar in einer Teeküche eine Kleinigkeit für ihre Kinder herrichten können. Die Asylbewerber sollen nicht zusammengepfercht werden, sondern viel Platz haben. Deshalb werden in jedem der Räume nur acht bis neun Feldbetten stehen.

Es muss alles sehr schnell gehen, aber auch das passiert problemlos, vor allem aber völlig reibungslos und unaufgeregt. Während aus dem ersten Stock mit den letzten Möbeln auch ein klobiges Sofa heruntergetragen wird, fragt um 17.45 Uhr vor der ehemaligen Schule ein THW-Helfer, wohin die Feldbetten sollen. Erst knapp vier Stunden zuvor hatte Karmasin dem Flüchtlingskrisenstab in München um 13.30 Uhr zugesagt, bis zum Abend als Notmaßnahme in Fürstenfeldbruck hundert Betten bereitzustellen. Und er will Wort halten und er hat, wie der Landrat mit belegter Stimme beteuert, alles im Griff.

Um 15.05 Uhr beginnt die Besprechung im Landratsamt, bei der festgelegt wird, wer was macht. Um 16 Uhr treffen die ersten Helfer in der Schule ein. Es sind Mitarbeiter des Kreisbauhofs aber auch ein größerer Kreis von Behördenleitern. Schließlich ist auch Fachwissen gefragt, so berät der Bauamtsleiter bei der Aufstellung eines Behelfszaunes im Schulhof.

Alles ist improvisiert

Wie Karmasins Pressesprecherin beteuert, wird alles improvisiert. Es sei nichts vorbereitet gewesen. Nur mit der Stadtverwaltung hatte das Landratsamt bereits Anfang September vereinbart, die marode, sanierungsbedürftige Schule im Notfall zu beschlagnahmen. Im Rathaus bestand man aus brandschutzrechtlichen Gründen auf dieser Zwangsmaßnahme, um bei einem Schadensfall nicht in die Haftung genommen zu werden. Schließlich soll das Gebäude demnächst abgerissen werden. Auf den ersten Blick macht das Anwesen einen tadellosen Eindruck. Bis zum Sommer saßen hier ja noch Schüler, Beschwerden, dass diese schlecht untergebracht gewesen wäre, gab es nicht.

Kurz nach 18 Uhr, die Räume sind geräumt, kommt doch noch etwas Sand ins Getriebe. Es gibt die erste Beschwerde. Ein Mann, der sich als Wolfgang Heimerl vorstellt, gerät, wie es der Zufall will, an den richtigen, an Thomas Karmasin. Wie er beteuert, habe er nichts gegen Flüchtlinge, die müssten ja irgendwo hin. Aber man kommt hier am Abend an und dann sollen Flüchtlinge einziehen, sagt Heimerl, der gegenüber der Schule wohnt. Dabei wollte der Landrat doch schneller sein. Er wollte erreichen, dass das Haus bezogen sein sollte, bis die Bedenken ausgereift sind.

Viele Einwohner begrüßen die Hilfsaktionen

Das gehört zu den wenigen Dingen, die an diesem Nachmittag und Abend schief laufen. Man wird vor Tatsachen gestellt, die Anwohner hätten Angst, beteuert Heimerl. Die Mitarbeiter des Landrats hätten sich schon die Zeit nehmen sollen und die Nachbarn informieren müssen über das, was vor ihrer Nase passiert, erklärt der Fürstenfeldbrucker. Es wird nicht ganz klar, ob ihn Karmasins Antwort, es handle sich doch nur um einen Notlösung und die Flüchtlinge sollten doch in wenigen Wochen in den Brucker Fliegerhorst umziehen, wirklich beruhigt. Man weiß ja nie.

Das ist die einzige Beschwerde. Andere Brucker, die die Aktivitäten der zuletzt rund hundert Helfer mitbekommen, begrüßen es ausdrücklich, dass in ein leer stehendes öffentliches Gebäude Flüchtlinge einziehen. Als von der nahegelegenen Stadtpfarrkirche Sankt Magdalena um 20 Uhr die Glocken läuten, begrüßt der Landrat die Flüchtlinge persönlich in den Gemeinschaftsräumen. Zuvor weist er ihnen beim Betreten des Hauses den Weg. Er hat es schließlich geschafft. Wie erleichtert er ist, wie die Anspannung des Tages von ihm abfällt, ist ihm ebenfalls anzusehen. Karmasin strahlt übers ganze Gesicht. Aber auch die Flüchtlinge, vorwiegend junge Männer, die meist Decken, einen Schlafsack oder Plastiktüten dabei haben, wirken zufrieden. Einige rufen freundlich "Hallo, guten Tag", oder einfach nur "welcome". Karmasin ist nicht der Einzige der feststellt, dass da freundliche Leute nach Fürstenfeldbruck kommen. Leute, die zudem offenbar noch guter Dinge sind.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2176072
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.10.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.