Süddeutsche Zeitung

Kirchbergers Woche:Gefahr fürs Familienleben

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Jetzt kommt der dritte verkaufsoffene Sonntag in Freising. Kinder und Väter müssen sich alleine vergnügen, während die Mutter arbeitet.

Kommentar von Johann Kirchberger

Jetzt kommt er also doch, der dritte verkaufsoffene Sonntag in Freising. Die eher konsumorientierte Gestaltungsmehrheit aus Freisinger Mitte, Freien Wählern, CSU und FDP hat sich im Stadtrat gegen die Gutmenschen von Grünen, SPD, Linken und ÖDP durchgesetzt. Mit 18:16 Stimmen. Ja doch, nur 18:16 bei einer Entscheidung von solcher Tragweite. Sieben Stadträte fehlten, waren verreist, erkrankt oder hatten was Wichtiges zu erledigen. Und jetzt soll nicht nur im Frühjahr und im Herbst an einem Sonntag durch die Hauptstraße gelaufen werden, sondern auch am Rosentag im Sommer.

Unsereins hätte keinen weiteren verkaufsoffenen Sonntag gebraucht, denn ob man jetzt zwei- oder dreimal nicht hingeht ist letztlich egal. Eigentlich reichen nämlich 52 verkaufsoffene Samstage - wie es Guido Hoyer ganz richtig formuliert hat - um einzukaufen. Aber darum geht es gar nicht, es wird eh nur wenig gekauft, klagen die Geschäftsleute. Die Leute kommen zwar in Scharen, aber sie schauen nur, machen den Laden dreckig und unterhalten sich mit Bekannten. Gemeinsam nichts zu kaufen, das stärkt den Zusammenhalt und nach einem Stadtbummel in einem Straßencafé ein Eis zu schlecken, macht sogar Freude.

Aber darf man sich freuen, wenn die heilige Sonntagsruhe derart dramatisch gestört wird, wenn auf dem Rücken vor allem von Mitarbeiterinnen im Einzelhandel neoliberale Politik gemacht wird, wie unsere Bürgermeisterin Eva Bönig ermittelt hat. Das ganze Familienleben sei in Gefahr, Vater und Kinder müssen alleine in die Stadt gehen, dort wo sich die Mutter dreimal im Jahr fünf Stunden lang abmüht. Das ist schrecklich. Da fragt man sich nur, warum niemand von der Gestaltungsminderheit an die Menschen denkt, die in der Gastronomie arbeiten. Die sind, Familie hin oder her, jeden Sonntag im Einsatz, und nicht nur fünf Stunden. Und es gibt noch zahlreiche andere Berufe, angefangen vom Krankenhauspersonal bis hin zu den Medienschaffenden, die sonntags arbeiten.

Auch mit der Ruhe im Alter ist es vorbei

Nicht nur mit der Sonntagsruhe, auch mit der Ruhe im Alter kann es in diesen Zeiten schnell vorbei sein, wenn man nicht aufpasst. Früher gab es das Austragsbankerl, auf dem sich die Senioren niederlassen und über ihr Leben sinnieren konnten. Heute gibt es Betreutes Wohnen für freilaufende Senioren, wie Monika Gruber sagt. Ganze Heerscharen sind bemüht, ihre in Ehren ergrauten Mitmenschen in Bewegung zu halten. Es gibt Seniorennachmittage, Senioren-Treffpunkte, Altennachmittage, Wunschbäume und Faschingsbälle für Senioren, die VHS veranstaltet Kurse für Silver-Surfer, die CSU lockt mit einer Senioren-Union und in Neufahrn gibt es jetzt sogar eine Seniorenmesse. Das ist kein Gottesdienst für in die Jahre gekommene Katholiken, sondern der Versuch, der Generation 55-plus die große Bandbreite der Bedürfnisse und Lebensthemen aufzuzeigen. Also ihnen was zu verkaufen, was sie nicht brauchen.

Ja, es wird alles getan für Senioren. Nur vom Entlastungspaket zur Abfederung der hohen Energiekosten bekommen sie nichts ab. Aber wer eh ständig unterwegs ist, sich darüber hinaus warm anzieht und abends früh ins Bett geht, der muss auch nicht so viel heizen wie ein Erwerbstätiger.

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