Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 16:Ein fröhlicher Abend endet mit einer Tragödie

Lesezeit: 3 min

Nach einem Streit im Festzelt der Moosburger Herbstschau wird 1955 ein 29-Jähriger erschossen. Dabei sollte die Kugel eigentlich jemand anderen treffen

Von Gudrun Regelein, Moosburg

Es war ein heiterer Abend. Im vollbesetzten Bierzelt auf der Moosburger Festwiese ließen sich die Besucher das Festbier der Herbstschau des Jahres 1955 schmecken, eine Kapelle spielte fröhliche Musik. Um Mitternacht fiel dann plötzlich ein Schuss, der die ausgelassene Stimmung jäh beendete. Das Opfer, der 29-jährige Sebastian G., wurde ins Herz getroffen und starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Er hinterließ eine Frau und zwei kleine Kinder. Das Tragische an der Geschichte: eigentlich war die Kugel für den Bruder des Ermordeten gedacht, mit dem der Täter, der 23-jährige Josef T., zuvor eine Auseinandersetzung gehabt hatte - sie traf also einen vollkommen Unbeteiligten.

Der Moosburger Karl Bauer war 1955 noch ein Kind, er erinnert sich nicht an den Mord. Seiner 85-jährigen Tante aber sei die Tat noch heute präsent. "So, als sei das erst gestern passiert", sagt ihr Neffe. Zum damaligen Zeitpunkt lebte seine Tante in der gleichen Straße, in der auch der Ermordete mit seiner Familie wohnte. "Sie haben sich gut gekannt." Auch den Täter kannte die Tante, die damals 21 Jahre alt war, flüchtig. Sie sei zwar an diesem Abend nicht im Zelt gewesen, sagt Bauer. "Aber nur etwa eine Stunde nach dem Mord ist das wie ein Lauffeuer durch Moosburg gegangen."

"Grad schee wars im Zelt", sagte damals ein Augenzeuge dem Freisinger Tagblatt. Nur ein paar junge Burschen hätten randaliert, gepöbelt und eine Rauferei gesucht. Der Bruder des Ermordeten, Hans G., arbeitete an diesem Abend, dem 9. September 1955, als Ordner im Festzelt. Er sprach die jungen Männer an und forderte sie auf, das Zelt zu verlassen. Dann kam es offensichtlich zu einem Wortwechsel mit Josef T., dem Hans im Laufe der Auseinandersetzung eine Ohrfeige gab. Danach rannte dieser aus dem Festzelt und holte sich von Zuhause eine Pistole und ein Fahrtenmesser. Dann kehrte er zurück.

Der Täter hatte sein Opfer offenbar verwechselt

Mit nacktem Oberkörper raste er durch das volle Zelt, sprang auf einen Tisch und feuerte aus nur wenigen Metern einen Schuss auf Sebastian G. ab, der vor seiner Mass Bier saß. Wahrscheinlich hatte der Täter ihn mit seinem Bruder verwechselt, die beiden sahen sich sehr ähnlich. Sofort nach der Tat flüchtete Josef T. aus dem Zelt. Einige Moosburger Bürger nahmen dann die Verfolgung auf, auch Polizisten auf Motorrädern folgten ihm. In einem schmalen Gässchen Richtung Bahn konnte die Polizei Josef T. dann schließlich stellen. Er stand gegen einen Zaun gelehnt, hatte das Fahrtenmesser in der einen, die Pistole in der anderen Hand.

Ein Anwohner berichtete dem Freisinger Tagblatt, er habe drei Schüsse gehört. Zwei hatten die Beamten in Notwehr gegen Josef T. abgegeben, der sich vehement gegen seine Festnahme wehrte. Mit dem dritten Schuss in die Brust wollte er sich offensichtlich selber töten. Der Anwohner berichtete, dass er jammernd auf der Straße lag und nach einer Zigarette schrie. Er wurde - noch lebend - ins Krankenhaus gebracht und operiert, erlag aber kurze Zeit später seinen Verletzungen. Die Obduktion ergab, dass er an seinem Schuss, der die Leber getroffen hatte, starb.

Beamte vom Landeskriminalamt München reisten nach Moosburg, um den Tatort und das Gässchen, in dem sich Josef T. erschoss, zu untersuchen. Oberstaatsanwalt Weiß aus Landshut vernahm die Tatzeugen. Ein junger Mann, der verdächtigt war, Josef T. die Mordwaffe verkauft zu haben, wurde verhaftet. Weshalb aber Josef T. an diesem Abend so ausrastete, ist nicht bekannt. Angeblich soll er von seinen Zechkumpanen angestiftet worden sein - so lauteten zumindest die Gerüchte. Sehr wahrscheinlich ist, dass er an diesem Abend betrunken war. In Moosburg löste der Mord große Betroffenheit und Mitgefühl mit der jungen Witwe aus. Sogar die Wiedereinführung der Todesstrafe wurde gefordert.

Alle hätten darüber gesprochen, das habe alle sehr bewegt - vielleicht auch deshalb, weil ja ein Unbeteiligter getötet wurde, meint Karl Bauer. "Die Moosburger waren schockiert über die Tat." Seine Tante habe damals das Freisinger Tagblatt, das groß über den Fall berichtete, extra gekauft und aufbewahrt. Erst viele Jahre später übergab sie den Artikel an ihren Neffen. Karl Bauer, der seit 35 Jahren Infos aus der Moosburger Vergangenheit sammelt und viele Bilder und Artikel auf seine Website alt-moosburg.de veröffentlicht, hat ihn auch dort eingestellt.

Die Moosburger Herbstschau im Jahr 1955 wurde trotz der Bluttat übrigens einen Tag später wie geplant eröffnet. Allerdings blieb sie von dem tragischen Ereignis überschattet. "So lustig und froh wie vordem könna d'Leit nimma sein", sagte ein Fierant.

Alle Folgen der Serie "Tatort Region" finden Sie auch online unter sz.de/tatort

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Quelle:
SZ vom 16.08.2019
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