Süddeutsche Zeitung

Überschießende Geständnisse in Raub-Prozess:Beute wesentlich größer als angenommen

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Die beiden Angeklagten, die 2021 einen heute 93-Jährigen in Neufahrn überfallen, gefesselt und ausgeraubt haben sollen, geben am Landgericht Landshut zu, knapp 240 000 Euro gestohlen zu haben. Das Opfer selbst war von 30 000 Euro ausgegangen.

Von Alexander Kappen, Neufahrn

Es sei ein eher "atypischer Fall", sagte der leitende Ermittler der Kipo Erding, als er am Freitag von der ersten Strafkammer des Landshuter Landgerichts als Zeuge vernommen wurde. Das Haus des heute 93-jährigen Neufahrners, der im Januar 2021 von zwei Männern im Schlaf überrascht, gefesselt und ausgeraubt worden ist, sei "nicht das klassische, freistehende Einfamilienhaus, das für solche Taten gerne ausgesucht wird". Stattdessen war es eine Doppelhaushälfte in einer eng bebauten Siedlung, die noch dazu nur 500 Meter von der örtlichen Polizeidienststelle entfernt liegt. Atypisch ist aber auch der Fall an sich. Denn wie durch das überschießende Geständnis der beiden 33-jährigen Angeklagten am zweiten Verhandlungstag bekannt wurde, stahlen sie in dem Haus nicht, wie es der Rentner vermutet hatte und wie in der Anklage stand, 30 000 Euro Bargeld, sondern knapp 240 000 Euro.

Zum Prozessauftakt hatte der Verteidiger eines der beiden Angeklagten überraschend ein Geständnis seines Mandanten angekündigt. Das brachte nun seinen Mitangeklagten unter Zugzwang, der daraufhin Zeit bekam, darauf zu reagieren. Am Freitag legte er nun ein umfassendes Geständnis ab. Der 33-Jährige saß 2019 schon mal in Frankfurt in Haft, ehe er in den Kosovo abgeschoben wurde. Von dort kehrte er im Januar 2021 nach Deutschland zurück und wollte eigentlich nach Stuttgart, "weil es dort mehrere albanische Firmen gibt, bei denen ich gehofft habe, vielleicht Arbeit ohne eine Arbeitserlaubnis zu bekommen".

Zunächst habe er jedoch bei einem Bekannten in München Station gemacht. Dieser war laut des Angeklagten mit dem inzwischen verstorbenen Neffen des Opfers befreundet, der alkoholabhängig war und wohl erzählt hatte, dass sein Onkel große Bargeldbeträge im Haus hat. Demnach ging die Tat von dem Bekannten aus, der auch ein Drittel der Beute bekam. So berichtete der erste Angeklagte, der am Freitag aussagte und zugab, er habe den zweiten Angeklagten sozusagen angeworben. Beide hätten ihren Lebensunterhalt mit Diebstählen bestritten.

Der Bekannte war zunächst auch im Fokus der Ermittler, aber es gab wohl nicht genug Anhaltspunkte für seine Beteiligung. Durch die Geständnisse der beiden Angeklagten - das zweite und nahezu deckungsgleiche lag in schriftlicher Form vor und wurde verlesen - änderte sich das jedoch. Der Bekannte wurde inzwischen festgenommen und am Freitag als Zeuge vorgeführt. Auf Rat seines Anwalts verweigerte er jedoch eine Aussage.

Das Opfer will "ein Messer oder einen Dolch" gesehen haben

Der 93-jährige Geschädigte, der am Freitag ebenfalls aussagte, blieb bei seiner Version, die Einbrecher hätten ihm "ein Messer oder einen Dolch" vor den Hals gehalten und gesagt, er solle ruhig sein, dann passiere ihm nichts. Das habe er so wahrgenommen durch das Licht einer Straßenlaterne, die ins Haus geleuchtet habe. Der Angeklagte, der über ein Fenster im ersten Stock ins Haus einstieg, sagte, er habe nur zwei Schraubenzieher dabei gehabt. Diese seien aber bei der Begegnung mit dem Opfer im Rucksack verstaut gewesen, er habe nur eine bronzefarbene Taschenlampe in der Hand gehabt.

Vorsitzender Richter Ralph Reiter deute an, es spreche im Zweifel einiges dafür, "dass man sich vom Einsatz eines Messers oder gefährlichen Gegenstands nicht ganz überzeugen kann". Auch seien die Angeklagten "nicht sehr rabiat" vorgegangen und hätten das Opfer nicht misshandelt, wie der 93-Jährige selbst bestätigte. Er konnte sich nach der Tat selbst von den Fesseln befreien und die Polizei rufen. Dass die Beute wesentlich größer war als ursprünglich angenommen, kam erst durch die Geständnisse heraus. Der Geschädigte sagte, die zusätzlichen rund 200 000 Euro hätten wohl seiner 2009 verstorbenen Frau gehört. "Sie hat nur gesagt, dass es viel Geld ist, aber ich habe nie nachgeschaut."

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