Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Überversorgung schadet nicht

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Die Kassenärtzliche Vereinigung Bayern verhindert, dass Kinderärzte sich dort niederlassen können, wo sie wollen und es die Eltern fordern

Von Gerhard Wilhelm

Der Landkreis Freising hat derzeit acht Kinderärzte. Acht für einen Landkreis, der den geringsten Altersdurchschnitt (40,6 Jahre) in Deutschland hat und dafür bekannt ist, dass vor allem junge Familien zuziehen. Acht bei einer Bevölkerungszahl von knapp 167 000 Menschen, wovon 30 777 jünger als 18 Jahre sind. Wer sich die Verteilung der Arztpraxen auf der Karte ansieht, kann eine Konzentration in der Kreisstadt (6) und im Süden (je eine Praxis in Neufahrn und Moosburg) feststellen. Und der Norden? Der ist eine kinderarztfreie Zone. Und was sagt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) zu dieser Ungleichverteilung? Nichts. Sie stellt nur fest, dass der Landkreis mit 113,6 Prozent überversorgt ist. Er braucht also keinen zusätzlichen Kinderarzt. Und so dauerte es Jahre, bis eine Gemeinde wie Hallbergmoos, die im Durchschnitt noch jünger ist als der Landkreis, eine eigene Praxis bekommt. Dabei ist es im Grunde keine eigene Praxis, sondern nur eine Dependance eines Freisinger Kinderarztes - der erkannt hat, dass eben doch Bedarf besteht.

Es geht auch anders. Der Landkreis Traunstein hat knapp 169 000 Einwohner bei einem Altersdurchschnitt von 44,4 Jahren (28 573 unter 18 Jahren) - und 21 Kinderärzte, wobei laut KVB ja eigentlich elf völlig reichen würden. Der Versorgungsgrad liegt bei 148,6 Prozent. In Traunstein kommen 2597 Kinder auf einen Arzt, in Freising sind es 3847.

Eigentlich sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen dafür Sorge tragen, dass eine Über- und Unterversorgung vermieden wird, gerade auf dem Land. Dafür gibt es sogar gesetzlichen Zulassungsbeschränkungen für Vertragsärzte. Die Zahnärzte haben sich dem übrigens seit 2007 entzogen. Irgendwie sonderbar wirkt es dann, wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen vorgeben, sich für "die Wahrung der Freiberuflichkeit, die Niederlassungsfreiheit, das Recht auf freie Arztwahl" einsetzen zu wollen.

Im Endeffekt sorgt die KVB nur dafür, dass innerhalb der Ärzteschaft Besitzstände gewahrt werden. Wer früher da war, wird vor Konkurrenz geschützt. Wo bleibt da die freie Marktwirtschaft, die Niederlassungsfreiheit und das Recht der Eltern, sich einen Arzt aussuchen zu können, wenn es in einem Radius von 25 Kilometern Entfernung vielleicht nur einen gibt? Was spricht gegen eine gewisse Überversorgung? Sollte es nicht den Ärzten selbst überlassen bleiben, ein wirtschaftliches Risiko einzugehen? Ein guter Doktor spricht sich unter Eltern schnell herum. Natürlich kann es sein, dass andere Praxen dadurch Patienten verlieren. Eine gesunde Konkurrenz hat aber noch niemanden geschadet. Sie ist eher qualitätsfördernd, was gut für die Eltern und die kleinen Patienten ist. Die Überversorgung regelt sich dann rasch von alleine.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2015
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