Süddeutsche Zeitung

Jeder macht, was er will:Freiheitsdrang bei den Wählern

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Eine Wahlanalyse: Unabhängige Gruppierungen legen zu, etablierte Parteien dagegen verlieren, eine Ausnahme sind die Grünen - und die Freisinger Mitte.

Von Kerstin Vogel

Eines steht fest: Sieger und Verlierer sind bei der Kommunalwahl 2014 im Landkreis Freising so leicht zu identifizieren wie selten zuvor. Verloren haben nahezu überall CSU, SPD und Freie Wähler. Gewinner sind neben den Grünen vor allem die Freisinger Mitte - und mit ihr diverse andere, teilweise neue Wählergruppierungen, die unabhängig von den Parteien agieren und für viele Bürger zunehmend eine wählbare Alternative sind.

Auf dem Land ist das Phänomen längst bekannt. So gibt es Orte wie Wang oder Wolfersdorf, in denen zur Gemeinderatswahl überhaupt nur noch freie Listen und Wählergemeinschaften aus den einzelnen Ortsteilen antreten. In Hörgertshausen gibt es zwar die Freien Wähler, außerdem aber nur noch eine Liste mit dem schönen Namen "Zukunftsprogramm Gemeinde Hörgertshausen". Auch die Bürgermeister im Landkreis werden zunehmend von Wählervereinen gestellt - immerhin zehn Rathäuser konnten ihre Vertreter im ersten Wahlgang erobern. Das gelang den klassischen "Freien Wählern" lediglich in drei Gemeinden, in nur vier weiteren wurde am 16. März der CSU-Kandidat gewählt.

Neu ist 2014, dass die Unabhängigen langsam auch die größeren Gemeinden und Städte erobern: Ob das die "Bürger für Eching" oder die "Bürger für Neufahrn" sind, denen die Wähler auf Anhieb jeweils drei Gemeinderatssitze bescherten, oder in der Stadt Moosburg die "Unabhängigen Moosburger Bürger", die sich nach sechs Jahren Pause erneut mit einer Liste zur Wahl gestellt hatten und künftig ebenfalls drei Stadträte stellen.

Einen besonders deutlichen Erfolg konnte die "Freisinger Mitte" (FSM) für sich verbuchen. Nicht nur, dass der erst 2012 aus der Freisinger CSU-Fraktion hervorgegangene Wählerverein in Freising selbst stolze elf Sitze im Stadtrat erringen konnte und damit jetzt stärkste Fraktion ist. Der neuen Gruppierung gelang außerdem das Kunststück, aus dem Stand und ohne über nennenswerte Strukturen im restlichen Landkreis zu verfügen, sieben Sitze im Freisinger Kreistag zu erobern.

Damit ist die Stadt Freising zum einen wieder durch ihren Oberbürgermeister in dem Kreisgremium vertreten. Das war seit dem altersbedingten Rückzug von Dieter Thalhammer (SPD) und der Wahl von Tobias Eschenbacher (FSM) im Jahr 2012 nicht mehr der Fall gewesen. Außerdem stellt die Domstadt - auch Dank der Freisinger Mitte - nun 23 der 70 Kreisräte und erhält damit das ihr zustehende Gewicht. Ansonsten ist der Norden des Landkreises in dem Gremium erneut überproportional gut vertreten, ein Phänomen, das darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Wahlbeteiligung auf dem Land oft um einige Prozentpunkte höher liegt als im eher städtisch orientierten Süden des Landkreises. Außerdem wählt die Hallertau traditionell sehr bewusst, das heißt, dass hier oft die "eigenen" Leute auf den Listen weit nach vorne gehäufelt werden. Aus den Nordgemeinden sind 27 Kandidaten im neuen Kreistag, aus dem Süden gerade mal acht.

Klar ist, dass die Wählerwanderung zu den freien Listen die etablierten Parteien treffen musste, irgendwoher müssen die Stimmen für die neuen Gruppierungen ja kommen. Vor allem die Freien Wähler führen die Konkurrenz durch die neuen - noch etwas freieren Wähler in ihren Wahlanalysen als Erklärung an - sicher nicht ganz zu unrecht. Denn es gibt wohl nur ein bestimmtes Potenzial an Wählern, die keine etablierte Partei wählen und ihr Kreuz nicht einfach bei CSU, SPD oder Grünen machen. Also haben hier die Freien Wähler sicher Federn lassen müssen.

SPD und CSU dagegen singen einmal mehr den Startbahn-Blues. Sie würden einfach nicht als Gegner der geplanten Flughafenexpansion wahrgenommen, klagen beispielsweise die Genossen; ähnliches ist von den Christsozialen zu hören - dabei hatten die sich im Wahlprogramm der Stadt Freising sogar zu der Behauptung verstiegen, sie seien die erste Freisinger Partei gewesen, bei der die Ablehnung einer dritten Startbahn im Parteiprogramm gestanden habe.

Und natürlich haben die Grünen auch bei dieser Kommunalwahl davon profitiert, dass viele Menschen in und um Freising Angst vor der dritten Startbahn haben. Das belegt die Landratswahl mit den stolzen 23,78 Prozent für Grünen-Kandidatin Birgit Mooser-Niefanger ebenso deutlich wie das Ergebnis für den Freisinger Stadtrat, wo die Grünen erneut neun von 40 Sitzen erobern konnten - und das bei insgesamt acht angetretenen Gruppierungen. Oder die Kreistagswahl speziell in Marzling: Die Mehrheit hier wählte grün - und irgendwie sind all diese Ergebnisse ja auch durchaus folgerichtig.

Warum sollte ein Bürger der Stadt Freising oder des Landkreises, dem der immer weitere Ausbau des Flughafens langsam zu nah kommt, nicht die eine Partei wählen, die schon immer und auf allen Ebenen mit dagegen gestritten hat? Das aber sind nun einmal die Grünen - und umgekehrt ist es nun einmal so, dass die CSU-geführte Staatsregierung die Expansion im Erdinger Moos befürwortet. Das macht es manch einem Betroffenen schwer, in Freising einen Kandidaten mit christsozialem Parteibuch zu wählen.

Positiv bleibt nach dieser Kommunalwahl festzuhalten, dass sich die rechten Parteien völlig aus den Stadt- und Gemeinderäten verabschiedet haben - tatsächlich haben es NPD oder Republikaner nicht einmal mehr versucht und auch vor ominösen Neugründungen an diesem Rand des politischen Spektrums blieb der Landkreis Freising dankenswerterweise verschont.

Gar nicht zufrieden sein kann man dagegen mit der Frauenquote, die sich nach dieser Wahl in den Stadt- und Gemeinderäten darstellt. Von 422 gewählten Mandatsträgern sind 314 männlich - das entspricht fast 75 Prozent. In Gemeinden wie Wang oder Gammelsdorf sitzt nicht eine einzige Frau im Gemeinderat. Lediglich die größeren Gemeinden wie Eching, wo von 24 Gemeinderäten immerhin zehn Frauen sind, oder die Stadt Freising, wo es im Stadtrat 15 zu 25 steht, hübschen das Bild ein wenig auf - und hier hat sich die Frauenquote im Vergleich zur Wahl vor sechs Jahren auch jeweils etwas verbessert.

Zu diesem Bild passt, dass es mit Susanne Hoyer in Langenbach bis jetzt auch nur eine Bürgermeisterin im ganzen Landkreis gibt. Mit Anita Meinelt (CSU) hat in Moosburg bei der Stichwahl am 30. März zwar eine weitere Frau die Chance auf das Amt, doch an der erbärmlichen Quote, dass nur zwei von 24 Gemeinden von weiblicher Hand regiert werden, ändert das auch nicht mehr viel.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2014
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