Süddeutsche Zeitung

Hallbergmoos:Wo der Gast nach dem Essen den Tisch mitnimmt

Lesezeit: 3 min

Im Trödelcafé auf Schlossgut Erching ist alles käuflich - vom Kuchen bis zum Sofa. Auch Filmteams und Fotografen kommen immer wieder. Ein Besuch.

Von Alexandra Vettori, Hallbergmoos

Seit zwei Jahren hat die Entrümpelungsfirma WBC ihren Sitz im Schlossgut Erching, mittlerweile ist sie vom Geheimtipp für Trödelfans zum Ausflugsziel geworden. Denn im liebevoll zugestellten Flohmarkt-Café trifft man auch Motorrad- und Radfahrer sowie Mitarbeiter von nahegelegenen Betrieben, die eine Pause einlegen. Die meisten sind Stammgäste. Auch Filmteams und Fotografen kommen immer wieder, sie schätzen die bunt zusammengewürfelte Kulisse, zu der schon am Straßenrand eine lebensgroße Marylin Monroe aus Hartplastik den Weg weist.

Für Schnäppchenjäger und Stöberer ist WBC schon lange eine Adresse, da befand sich die Firma noch in einer düsteren, muffigen Halle im Neufahrner Ortsteil Mintraching, die voll gestopft war mit Sofas, Betten, Staubsaugern, Tassen, Lampen, Schallplatten. Am neuen Standort aber gibt es das Flohmarkt-Café, das schon aus ästhetischen Gründen einen Abstecher in den kleinen Hallbergmooser Weiler Erching wert ist, abgesehen von der frischen Hausmannskost, dem Frühstück und den Kuchen, die Wirtin Elisabeth Wolff auf den Tisch bringt.

Eine Armada alter Puppen

Unter einem alten Ahornbaum direkt an der Straße ist bei schönem Wetter eine Möbellandschaft aufgebaut, in der man auch bei der zweiten Tasse Kaffee noch neue Details aus alter Zeit entdeckt: Im bambusgedeckten Pavillon steht ein Biedermeiertisch, um den sich Polsterstühle und eine Couch gruppieren, ein Kronleuchter baumelt darüber. Zwischen den Gartenstühlen aus früheren Jahrzehnten stehen ein Kanonenofen, ein altes Bügeleisen, ein Radio aus den Siebzigern, ein Gartenzwerg mit Laterne.

Auch drinnen bietet das Café dem Auge eine unüberschaubare Fülle an Eindrücken. Liebevoll drapierte Sitzecken aus allen Epochen, hier eine duftige Komposition aus Rosa und Weiß mit vielen Blümchen, dort eine Armada alter Puppen, in der anderen Ecke eine dunkle Ledercouch, ein Sekretär, alte Truhen, eine Lade mit allerlei Knöpfen, daneben ein riesiges Puppenhaus, ganz ohne Plastik, dafür mit jedwedem liebevoll gefertigten Inventar. Das Schönste: Alles, was rumsteht, kann man kaufen, von der Gabel bis zum Wandbild. "Es ist auch schon da gewesen, dass die Kunden nach dem Essen den Tisch mitgenommen haben", erzählt Peter Putz.

"Das Geschäft ist richtig explodiert"

Seit 1997 ist der heute 50-Jährige Inhaber der Entrümpelungsfirma WBC, davor hat er Roll-Container repariert und weiter verkauft. Sein Nachbar in den Hallen in Mintraching lagerte damals Reste aus Haushaltsauflösungen und verkaufte sie an interessierte Kunden weiter. "Da hatte ich die Idee, einfach mal Möbel auch in meinen Laden zu stellen", erinnert sich Putz.

1990 übernahm er den Nachbar-Betrieb samt Lastwagen und Kundenstamm, und die Erfolgsgeschichte begann. Am Anfang, sagt er, sei alles nur rein und raus gegangen, "es war nichts dekoriert und hergerichtet". Trotzdem herrschte rege Nachfrage, "das Geschäft ist richtig explodiert, hat sich innerhalb kurzer Zeit verdreifacht".

Eine Autowäsche als Entschuldigung

Als die Kündigung kam, zog er 2010 an den Rand des Ismaninger Ortsteils Fischerhäuser, weit ab vom Schuss, ein Eindruck, der sich durch Straßenarbeiten anfangs noch verstärkte. Doch die treuen Kunden folgten über Stock und Stein. "Wir haben sie zum Teil mit dem Unimog aus dem Dreck gezogen und als Entschuldigung dann die Autos gewaschen", erinnert sich Putz an diese Zeit.

Trotzdem eröffnete sich eine ganz neue Perspektive, als Julia Selmayr, Mitinhaberin des Schlossguts in Erching, auf ihn zukam. In den zum Gut gehörenden Gebäuden haben seit Jahren eine Künstlerin sowie eine Bildhauerin und Steinmetzin ihre Ateliers, ein kreativer Trödelshop wäre der Atmosphäre förderlich, so ihre Idee. Putz fuhr zu seinen "Mädels", wie er seine Frau Elisabeth Wolff liebevoll nennt, unterbreitete ihr die Idee und fand Zustimmung. So wurde vor zwei Jahren erneut gepackt - und das Trödel-Café, möbliert aus dem Fundus, entstand.

"Die Leute wollten sitzen bleiben und schauen, und da haben wir das Café gemacht", sagt Peter Putz. Vom Café aus geht es in eine große Halle, auch dort steht aus oder schon wieder in Mode Gekommenes. Dazu alte Motorräder, Schlitten, Schränke und Kisten. "Es gibt Kunden, die wollen in einen Karton reinschauen und was finden, und es gibt Kunden, die wollen Ambiente. Wir bieten für alle was", sagt Putz mit zufriedenem Lächeln.

"Der Nachfolger wird gerade angelernt"

24 Angestellte hat er inzwischen, zu seinem Geschäftsfeld gehören nicht nur die Trödelhalle und das Café in Erching, die Haushaltsauflösungen und Umzüge, sondern auch ein Winterdienst, ein Shuttleservice, Kranken- und Personentransporte. "Vielfältig ist untertrieben", sagt er selbst. Noch fünf Jahre möchte Peter Putz so weiter machen, dann will er runter fahren.

"Ich habe 30 Jahre lang Vollgas gegeben, das reicht", sagt der Vater zweier Kinder. Mit dem Trödelparadies im Schlossgut soll es aber trotzdem weiter gehen, wie er verspricht, "der Nachfolger wird gerade angelernt". Geöffnet ist das Trödelcafé Donnerstag und Freitag von 10 bis 18 Uhr und Samstag von 9 bis 13 Uhr.

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SZ vom 05.09.2015
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