Süddeutsche Zeitung

Fußball als Beruf:"Ich hasse den Begriff Videoanalyst"

Lesezeit: 3 min

Scouten, Taktik, Kaderplanung: Markus Brunnschneider ist 29 Jahre alt, hat selbst nur in der A-Klasse gespielt. Jetzt arbeitet er beim Internationalen Fußball Institut und berät Topklubs.

Von Laura Dahmer, Freising

Manchmal, wenn Markus Brunnschneider in Medienberichten liest, dass Bayern einen neuen Transfer klar gemacht hat, weiß er: Da waren seine Finger im Spiel. Oder zumindest seine Daten. Wer in der Halbzeitpause eines DFB-Spiels dem TV-Experten zuhört, hört dort oft die Einschätzungen von Markus Brunnschneider. Der 29-jährige Langenbacher ist Video- und Spielanalyst beim Internationalen Fußball Institut in Ismaning, seine Arbeit findet an vielen Stellen des deutschen und internationalen Fußballs statt. Er analysiert die Spiele der Nationalmannschaft, scoutet neue Talente für den SV Darmstadt 98 und bereitet Videomaterial für Topvereine aus ganz Europa auf.

An seinem Laptop demonstriert er, wie er ein Spiel analysiert. "In diesen Situationen geht es um alle relevanten Spielepisoden und erkennbaren Muster beider Mannschaften", erklärt er und drückt auf Start. In Schnellzeit lässt er das Video ablaufen, erkennt er eine bestimmte Situation, wie einen Ballbesitzwechsel, markiert er sie mit einem Tastendruck. Unten auf einer Zeitleiste erscheint dann eine farbige Markierung für die jeweilige Aktion, zum Beispiel Konterspiel, Spielaufbau, Pass in die Tiefe. "Um eine Partie so zu bearbeiten und zu strukturieren, brauche ich etwa 25 Minuten."

Nächstes Jahr ist Brunnschneider bei der Europameisterschaft dabei

Bei seiner Arbeit im Fußball Institut ist Brunnschneider für Spiel- und Taktikanalyse, Kaderplanung und Scouting verantwortlich. Außerdem betreut er TV-Experten bei Spielen und brieft sie vor Halbzeit und Spielende, "damit sie vor der Kamera noch fundiertere Inhalte präsentieren können". Nächstes Jahr wird Brunnschneider dafür bei der Europameisterschaft im Stadion sein. Im FC Bayern Mitgliedermagazin hat er eine monatliche Kolumne, in der er die nächsten Gegner der Bayern analysiert. Außerdem arbeitet der 29-Jährige für den SV Darmstadt 98, davor war er drei Jahre für Holstein Kiel tätig. "Da lag der Schwerpunkt auf Gegnerbeobachtung."

Bei Darmstadt ist es jetzt mehr das Scouting. "Ich war schon in der letzten Transferphase dabei, Spieler zu finden." Wie das funktioniert? Brunnschneider bekommt Vorgaben vom Verein, welche Art von Spieler sie gerne verpflichten würden. "Als Grundlage verwende ich Daten, die ich über meine Algorithmen laufen lasse, über bestimmte Filterfunktionen." Sein Programm soll dann Spieler finden, die exakt den Anforderungen entsprechen, die der Verein für die Feldposition sucht. Dabei kommen eine Handvoll Spieler heraus, die Brunnschneider danach in Videos beurteilt. Erst dann gehe ein Scout ans Spielfeld und schaut sich den Spieler live an. So können Vereine weltweit scouten, ohne überall jemanden vor Ort zu haben.

Angefangen hat Brunnschneider als Filmer

"Ich hasse den Begriff Videoanalyst", sagt Brunnschneider. Es klinge nach jemandem, der alleine in seinem Hinterstübchen vorm Bildschirm sitzt. "Dabei ist es so viel mehr. Eigentlich ist der richtige Ausdruck mittlerweile: Co-Trainer Spielanalyse. Du sprichst mit Spielern, du präsentierst vor der Mannschaft, manche Trainer lassen dich mit auf dem Platz taktische Inhalte anleiten." Das war nicht immer so, angefangen hat Brunnschneiders Karriere ganz anders: Bei der U17 des FC Bayern arbeitete er während seines Sportstudiums als Filmer. "Das war eher Zufall. Bei uns an der Uni war die Stelle ausgeschrieben, durch den Hansi Pflügler aus Freising bin ich dann da reingerutscht." Dort arbeitete Brunnschneider unter anderem mit Erik ten Hag zusammen, der damals bei der zweiten Mannschaft des FCB war und heute Cheftrainer von Ajax Amsterdam ist. "Er war einer derer, von denen ich am meisten gelernt habe."

Dabei war Brunnschneiders eigene Fußballkarriere nur kurz, er hat sich nach der E-Jugend in Langenbach auf einen anderen Sport fokussiert: Luftgewehrschießen. "Für mich war dieser ganze große Fußballzirkus immer spannend. Ich fand es beeindruckend, wie viel Aufmerksamkeit dahintersteht." Beim Schießen habe er einen viel größeren Trainingsaufwand gehabt, ohne die Perspektive, jemals sein Leben damit finanzieren zu können. "Ich glaube, im Fußball kann fast jeder mit durchschnittlich viel Potenzial durch eine gute Förderung auf hohem Niveau spielen. Einfach, wenn du zur richtigen Zeit die richtigen Trainer hast und konsequent dahinter bist."

Trotzdem ist Brunnschneider großer Fußballfan. "Was gibt es da Größeres, als für deinen Verein zu arbeiten. Ich war mit fünf Jahren das erste Mal bei Bayern im Stadion, das ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben", sagt Brunnschneider lächelnd. Jetzt spricht er regelmäßig mit den Leuten, die damals so weit weg waren. "Wenn ich mit aktiven oder ehemaligen Profis zusammensitze und über fachliche Themen spreche, denke ich mir heute noch: Das höchste, was du gespielt hast, ist A-Klasse. Und jetzt diskutierst du mit jemandem, der im WM-Finale gespielt hat - wie konnte das eigentlich passieren?" Brunnschneider schaut, fernab von der Arbeit, öfter in Hallbergmoos zu. Dann aber mit einem weniger strengen Auge, bemerkt er lachend. Und manchmal spielt er dort auch selbst.

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