Süddeutsche Zeitung

Freisinger Gastronomie:Not macht erfinderisch

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Die Gäste des Cafés Botanika sind in Folge des Corona-Lockdowns ausgeblieben, Ausstellungen im Schafhof wurden abgesagt. Wirt Joaquin von Dehn versucht nun mit kleinen Open-Air-Konzerten und ausgewählten Köstlichkeiten einen Neuanfang

Von Alexandra Vettori, Freising

Man wird derzeit keinen Gastronomen finden, der zufrieden mit seiner wirtschaftlichen Lage ist, da ist Joaquin von Dehn keine Ausnahme. Doch der Mann, den alle nur Kim nennen und der seit drei Jahren Wirt des Cafés Botanika im europäischen Künstlerhaus "Schafhof" ist, sieht in der Not auch eine Chance: "Es ist die Gelegenheit, etwas Eigenes, Neues aufzuziehen." Was das ist, davon haben die Freisinger an den vergangenen Wochenenden einen ersten Geschmack bekommen: Leckeres Essen im zauberhaften Schafhofgarten, danach kleine Open-Air-Konzerte, und das alles in dieser ganz besonderen Atmosphäre, die der Hügel im Nordwesten Freisings bietet, auf dem vor genau 200 Jahren der bayerische König Max I. Joseph einen Musterstall für seine kostbaren Merinoschafe bauen ließ.

Vor Jahren ist Joaquin von Dehn schon einmal im Schafhof gewesen, da war noch alles Baustelle, lief die Sanierung für die neue Funktion als Künstlerhaus. Von Dehn hatte damals mit seinem Cateringbetrieb eine hippe Hochzeit hier ausgerichtet. Der Ort habe ihm ausnehmend gut gefallen, erinnert er sich, "da ein Café...", habe er sich in einer stillen Sekunde gedacht. Und nicht träumen lassen, dass er später genau das machen würde, 2017 nämlich. Da hatte von Dehn München gerade den Rücken gekehrt, war aufs Land nach Au gezogen, bezeichnenderweise ebenfalls in einen alten Schafhof, und begonnen, den 600 Quadratmeter großen Gemüsegarten zu bewirtschaften. Er war ins Zweifeln geraten, an seinem Leben mit dauerndem Vollgas und an seinem auf Film-Events spezialisierten Catering-Geschäft. "Irgendwann kam der Moment, als mir klar wurde, hinter dem Produkt stehe ich nicht mehr, sei es der Rucola im Winter, die Tomaten oder das Hühnchen aus Brasilien, und ich hatte die Erkenntnis, die Seele ist weg, es ist alles nur noch Masse", erzählt er. Und als er von der Ausschreibung der Gastronomie im Schafhof hörte, bewarb er sich - erfolgreich. Heute kommen im Café Botanika alle Salate und Kräuter, Kohlrabi, Brokkoli, Spinat und mehr aus des Wirtes Garten, der Saft von der hofeigenen Streuobstwiese.

Die Corona-Beschränkungen haben dem Traum fast ein Ende bereitet. Im Lockdown habe es finanzielle Hilfen gegeben, die Mitarbeiter waren in Kurzarbeit, doch beim Hochfahren stiegen die Kosten, die Gäste aber blieben rar. "Die ersten Wochen waren eine Katastrophe, alle Veranstaltungen vom Künstlerhaus waren abgesagt", erzählt von Dehn freimütig. Und so hat er das neue Event-Konzept entwickelt, an den Träger des Künstlerhauses, den Bezirk Oberbayern, geschickt - und Wohlwollen geerntet. "Es geht um unser Überleben und um das Wohlergehen der Freisinger", sagt von Dehn mit einem Lächeln, schließlich sei der Schafhof ein kulturelles Gemeingut der Ortsansässigen, "alle waren hier zum Schlittenfahren".

An diesem Samstag setzt von 20 Uhr an Flamenco-Gitarrist Ricardo Volkert die Konzertreihe fort. Dazu werden spanische Spezialitäten wie Tapas und Paella serviert. Die Wetterprognose schaut gut aus, und so stehen die 160 Sitzplätze, die nach aktuellen Corona-Regularien erlaubt sind, zur Verfügung. Die Konzerte sind derzeit noch gratis, die Künstler lassen den Hut herum gehen, alle seien froh, wenn sie einfach wieder auftreten könnten, sagt von Dehn. Das Programm für den Freitag kommender Woche steht noch nicht ganz, am Samstag, 11. Juli, spielen Titus Waldenfels aus München und Petra Levi aus Freising Western Swing und Blues mit Gitarre, Geige, Banjo und Foot Bass. Dazu gibt es ofenfrische Pinsa, die Urform der Pizza. Bis jetzt ist die neue Kulturinitiative im europäischen Künstlerhaus zu Freising gut angelaufen, voriges Wochenende waren jeden Abend rund 100 Leute da.

Joaquin von Dehns Arsenal an Ideen ist damit aber noch nicht ausgeschöpft. Vorträge würde er gerne anbieten, zu Lebensberatung, Philosophie oder Postwachstums-Ökonomie, "Themen, die einen gewissen Halt geben beim Paradigmenwechsel für die Zukunft". Die erste Zusage hat er gerade bekommen, von Rüdiger Dahlke, Arzt, Autor und einer der Väter der ganzheitlichen Medizin.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2020
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