Süddeutsche Zeitung

Missbrauchsskandal:Kardinal Wetter gibt die Ehrenbürgerwürde zurück

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Auf Wunsch einer großen Mehrheit des Freisinger Stadtrats legt Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher dem Kleriker den Verzicht nahe. Der will keinen Streit um seine Person.

Von Kerstin Vogel, Freising

Kardinal Friedrich Wetter ist nicht länger Ehrenbürger der Stadt Freising. Wie Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher am Donnerstag zu später Stunde im Stadtrat mitteilte, hat der Kirchenmann die Ehrenbürgerwürde nach einem Gespräch mit ihm zurückgegeben, mit der Begründung, dass sich niemand seinetwegen streiten solle. Das Gespräch hat bereits Ende Juni stattgefunden. Der Kardinal setzt damit einen Schlusspunkt hinter eine Debatte, die der Stadtrat seit März 2022 überwiegend hinter verschlossenen Türen über die beiden Ehrenbürger - Kardinal Wetter und Papst Benedikt - geführt hatte.

Am 20. Januar 2022 hatte die Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl ihr vom Erzbistum in Auftrag gegebenes, viel beachtetes Gutachten zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker öffentlich gemacht. In dessen Folge ermittelte die Staatsanwaltschaft bekanntlich auch gegen die früheren Erzbischöfe Kardinal Joseph Ratzinger, später Papst Benedikt, und Kardinal Wetter - wegen des Verdachts der Beihilfe.

Wetter und Ratzinger wurde in dem Gutachten im Umgang mit Tätern und Opfern Fehlverhalten in mehreren Fällen vorgeworfen, für die Linken-Stadtratsfraktion so gravierend, dass sie im März 2022 den Antrag stellte, die Betreffenden zu bitten, ihre Ehrenbürgerwürde zurückzugeben. "Der Stadtrat behält sich weitere Schritte zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürden vor", heißt es in dem vorgeschlagenen Resolutionstext außerdem.

Im Fall des emeritierten Papstes wurde die Frage mit dessen Tod obsolet

Im Fall des emeritierten Papstes war die Frage mit dessen Ableben wenige Monate später obsolet geworden. Nach allgemeiner Rechtsauffassung erlischt eine Ehrenbürgerschaft mit dem Tod des Ausgezeichneten. Die Debatte über Kardinal Wetter aber wurde fortan hinter verschlossenen Türen geführt, alle Versuche von Linken-Stadtrat Nicolas-Pano Graßy, über das Thema öffentlich zu beraten, scheiterten. Ein ums andere Mal wurde darauf verwiesen, dass der Schutz der Persönlichkeit hier Vorrang vor dem öffentlichen Interesse habe.

Gleichwohl hatte die Linken-Fraktion mit ihrem Antrag Erfolg, wie Oberbürgermeister Eschenbacher jetzt im Stadtrat öffentlich machte: Obwohl die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I. mit Bekanntgabe vom 21. März 2023 abgeschlossen und alle Verfahren eingestellt worden seien, habe der Stadtrat am 20. April nicht öffentlich beschlossen, Kardinal Wetter zu bitten, die ihm verliehene Ehrenbürgerwürde zurückzugeben: "Obwohl Kardinal Wetter juristisch kein Vorwurf gemacht werden konnte, hat sich der Stadtrat mehrheitlich und nach intensiver Diskussion auf diesen Beschluss verständigt unter Rücksichtnahme auf das Leiden der Missbrauchsopfer." Dem Vernehmen nach war es durchaus eine große Mehrheit, die dieses Vorgehen am Ende befürwortet hat.

Der OB wurde mit der Einleitung weiterer Schritte beauftragt

Er sei mit der Einleitung der weiteren Schritte beauftragt worden, so Eschenbacher weiter. Den Beschluss und die Beweggründe des Stadtrats habe er "seiner Eminenz Friedrich Kardinal Wetter in einem persönlichen Gespräch am 30. Juni ausführlich dargelegt." Kardinal Wetter habe "umgehend eingewandt, dass es ihm ein großes Anliegen sei, dass sich niemand seinetwegen streiten solle" und erklärt, "die Ehrenbürgerwürde unter diesem Gesichts­punkt zurückzugeben".

"Unser hartnäckiger Einsatz hat sich am Ende gelohnt, Kardinal Wetter ist kein Ehrenbürger unserer Stadt mehr. Das ist der Erfolg der Freisinger Linken", betont Graßy in einer Freitag dazu verschickten Erklärung. Aus Sicht der Linken wäre es "nach dem Bekanntwerden von immer mehr Missbrauchsfällen sowie dem Gutachten dazu, welches mindestens Fehlverhalten in zahlreichen Fällen sowie mangelnde Sensibilität gegenüber den Opfern durch Kardinal Wetter aufzeigt, moralisch nicht vertretbar gewesen, wenn er weiter Ehrenbürger unserer Stadt bleibt".

Die Diskussion habe sich viel zu lange hingezogen, sagte Graßy am Freitag weiter. Trotzdem sei er froh, dass am Ende jeder Stadtrat, jede Stadträtin diese moralische Entscheidung für sich so getroffen habe. Dass Kardinal Wetter wenig Einsicht erkennen lasse, störe ihn weniger, das habe er auch nicht erwartet. Ihm sei es vor allem um ein deutliches Zeichen an die Missbrauchsopfer gegangen. Dieses habe der Freisinger Stadtrat nun gesetzt. Auch Grünen-Stadträtin Susanne Günther kritisiert, dass es fast anderthalb Jahre bis zu einer Entscheidung gedauert hat. Natürlich wäre ihr ein klares Statement im Sinne der Missbrauchsopfer lieber gewesen. Man habe jedoch eine "Lösung gefunden, die für alle passt".

Oberbürgermeister spricht von einem "schwierigen Sachverhalt"

Nicht ganz glücklich ist dagegen der Oberbürgermeister mit der Entscheidung. Er nannte es am Freitag "einen sehr schwierigen Sachverhalt, da man auf der einen Seite unbestritten der Betroffenheit über den Missbrauchsskandal Ausdruck verleihen will, auf der anderen Seite aber auch einen Grund hatte, Kardinal Wetter mit der Ehrenbürgerwürde auszuzeichnen". Wetter habe sich ja nicht darum beworben, sondern die Stadt habe ihm diese Würde verliehen, "weil sie von seinem Wirken über Jahrzehnte hin bis heute profitiert", so Eschenbacher: "Ich persönlich hätte es dann auch ehrlicher gefunden, den Sachverhalt klar abzuwägen und ihm die Ehrenbürgerwürde dann gegebenenfalls per Beschluss zu entziehen."

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