Süddeutsche Zeitung

Freisinger im Krisenmodus:Radeln statt Schwimmen

Lesezeit: 4 min

Beim SV'77 Neufahrn halten sich die Sportler derzeit mit alternativen Übungsformen fit und trainieren auch gemeinsam im Videochat. Nagelpflegerin Claudia Moharitsch verschickt Anleitungen als Fotos und Videos. Bei der Beratungsstelle Prop läuft derzeit viel über Telefonate.

Von Birgit Grundner und Gudrun Regelein, Neufahrn/Freising

Die harten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie treffen auch die Menschen im Landkreis auf den unterschiedlichsten Ebenen. Für manche bedeuten sie nur Einschränkungen in ihrem Freizeitverhalten, die meisten haben aber konkrete Sorgen - ob es nun um Gefahren für die eigene Gesundheit, um die schwierige Betreuung der Kinder oder die Rettung des eigenen Geschäfts oder Unternehmens geht. Die Freisinger SZ gibt in einer Serie Einblicke in das Leben der Menschen im Krisenmodus.

Die Schwimmer

Praktisches Training ist derzeit eher was für die Harten: Ein paar Aktive des Schwimmvereins SV'77 Neufahrn haben sich dieser Tage in einen See oder auch in einen Gartenpool gewagt. "Aber ohne Neoprenanzug ist das aktuell von den Temperaturen her nicht zu empfehlen", sagt Vorsitzender Markus Kaitschick.

Passen würden die Temperaturen im Freizeitbad "Neufun", das allerdings wegen der Corona-Pandemie "bis auf weiteres" geschlossen ist. Mitte März wurde dicht gemacht. Damit sitzt auch der Verein im wahrsten Sinne "auf dem Trockenen". Den Trainingsbetrieb hatte er zu dem Zeitpunkt allerdings ohnehin bereits eingestellt. Dafür wurden andere Trainingsmöglichkeiten kreiert, damit die Schwimmer trotzdem fit bleiben, bis sie wieder ins Schwimmbad zurück können.

Kraft- und Konditionstrainer Andreas Freymann versorgt die Sportler jetzt mit Trainingsplänen für daheim. Die Schwimmer "treffen" sich auch online und trainieren dann per Videochat gemeinsam. "Viele sind aktuell auf Laufen oder Radfahren als Ersatz für das Konditionstraining umgestiegen", berichtet Kaitschick weiter.

Auch die Terminkalender werden jetzt erst einmal überarbeitet: Alle Wettkampfteilnahmen bis Mitte Mai wurden bereits abgesagt. Die Kreis-Nachwuchs-Meisterschaft am 26. April im Freisinger "Fresh" wurde vorerst auf Spätsommer oder Herbst verschoben. "Sofern sich die Lage bis dahin normalisiert hat, werden wir den Wettkampf dann ausrichten", sagt der Vorsitzende. Andernfalls müsse man die Veranstaltung ersatzlos streichen.

Im Juni würde der Schwimmverein im Neufun eigentlich sein Pokalschwimmen veranstalten. Momentan "beraten wir noch", berichtet Markus Kaitschick. Alles hänge jetzt davon ab, wie es nach den Osterferien insgesamt weitergehe: "Aktuell sieht es meiner Ansicht nach, ohne pessimistisch wirken zu wollen, eher nach einer Absage aus." Höchstwahrscheinlich gestrichen werden muss nach Ansicht von Kaitschick auch die geplante Sportwoche in den Pfingstferien in Italien. "Es ist zwar schade, die 40 Schwimmerinnen und Schwimmer freuen sich schon seit Weihnachten darauf, aber mir als Vorstand geht die Gesundheit meiner Mitglieder vor", sagt er.

Folgen hat die Corona-Pandemie wohl auch für alle, die sich dem Schwimmverein mit seinen aktuell 300 Mitgliedern gerne noch anschließen möchten. Die Warteliste ist immer lang, wird normalerweise über das Jahr "abgearbeitet" und dann in Herbst wieder geöffnet. Das werde sich ebenfalls verzögern, ist Markus Kaitschick überzeugt. Mittlerweile stehen zwar nur noch wenige Namen auf der Liste. Aber derzeit gebe es keine Möglichkeit, die Betreffenden zum Probetraining einzuladen und zu sichten.

Die Nagelpflegerin

Claudia Moharitsch hätte ihren Beruf in den vergangenen Wochen in neuer Umgebung und bei bester Verpflegung ausüben können. Ihr Nagelstudio in Mintraching ist seit beinahe vier Wochen geschlossen. Aber manche Kundinnen wollen offenbar auch in Corona-Zeiten nicht auf perfekte Fingernägel verzichten und entwickeln fantasievolle Ideen: "Auf einen Kaffee" wurde Claudia Moharitsch zum Beispiel schon eingeladen, und quasi nebenbei könnte sie doch auch einen Blick auf die Nägel werfen. Solche Angebote lehnt sie aber entschieden ab: "Das ist in meinen Augen Schwarzarbeit", sagt sie. Wenn das Geschäft geschlossen sei, könne sie auch keine Hausbesuche machen oder trotzdem in ihrem Studio Kundinnen empfangen. Das sei schließlich "nicht Zweck der Sache", betont sie: "Man soll ja Abstand wahren und Infektionsketten möglichst verlängern, aber wenn wir alle heimlich arbeiten, machen wir das Gegenteil, und die Schließzeiten dauern länger als gedacht."

Also gibt es derzeit keine "Wellness für Hände und Füße" wie sonst vom Profi, sondern nur "Do-it-yourself-Wellness" mit Anleitung etwa für modellierte Nägel. Claudia Moharitsch stellt jeder Kundin auf Wunsch einen Satz Feilen zur Verfügung, damit sie "die Wartezeit überbrücken" kann. Wer Hilfestellung braucht, bekommt Fotos mit Anleitung oder ein kurzes Video zugeschickt.

Es ist ein Notbehelf für beide Seiten. Da geht es nicht nur ums Geschäft. Claudia Moharitsch vermisst ihre Kunden ganz einfach. Viele kennt sie schon lange Jahre: "Das sind nicht nur Kunden - da stehen Menschen und Geschichten dahinter." An der nötigen Ausstattung wird ein baldiges Wiedersehen jedenfalls nicht scheitern. Sie habe ausreichend Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel, versichert Claudia Moharitsch, denn auch in ihrem Beruf sollte das alles ohnehin "nie knapp werden".

Die psychosoziale Beraterin

"Wir haben momentan viel zu tun", sagt Bärbel Würdinger. Sie leitet die psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle Prop Freising, die Anlaufstelle für suchterkrankte Menschen ist. Seit den Ausgangsbeschränkungen hat sich zwar vieles geändert, aber die Beratungen gehen dennoch weiter - zumeist aber nicht mehr im persönlichen Gespräch. Viel laufe nun über einstündige Telefonate, zu fest ausgemachten Terminen. Außerdem könne Prop inzwischen eine Online-Sprechstunde anbieten, das erledigen die Mitarbeiter im Home-Office. "Mittlerweile arbeiten wir auch pro-aktiv, das heißt, dass wir Kontakt zu bestimmten Klienten suchen und sie anrufen", berichtet Würdinger. Das seien beispielsweise depressive Menschen oder solche, die akut trinken. "Die sind total erleichtert, wenn wir uns melden, viele sind von der Fürsorge gerührt."

Um besser erreichbar zu sein, sei nun auch das Krisentelefon länger als sonst besetzt. Sie sei selber ein wenig überrascht, wie viele Anfragen es derzeit bei Prop gebe, sagt Würdinger. "Zwar ist die Zahl der Erstanmeldungen zurückgegangen, aber die Wiederanmeldung von Menschen, die uns kennen, ist sehr hoch." "Total froh" war Würdinger, als sie nach langem Suchen noch eine Plexiglaswand auftreiben konnte. Die wurde im Gruppenraum aufgebaut. Seitdem können dort wieder Einzel- oder Paarberatungen stattfinden. "Natürlich macht es einen riesigen Unterschied, jemanden persönlich treffen und sprechen zu können", meint sie. Einfach sei es derzeit zwar nicht, den Versorgungsauftrag zu erfüllen, sagt Würdinger. "Aber wir schaffen das."

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Quelle:
SZ vom 16.04.2020
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