Süddeutsche Zeitung

Neufahrner Einsatzkräfte:An der Grenze zum Notruf-Missbrauch

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Heuer hatte die Feuerwehr Neufahrn schon 70 Fehl- und Falschalarme. Jetzt veröffentlicht der Kommandant einen Appell.

Von Birgit Grundner, Neufahrn

Eine Taube wird von Raben angegriffen. Aus dem Wasserhahn kommt kein warmes Wasser mehr, die Betroffene spricht von einem Notfall und verlangt sofortige Hilfe. Vor einer Garage liegt ein allenfalls mittelgroßer Ast, der eigentlich nicht schwer wegzuziehen wäre. Selbst in solchen Fällen greifen die Neufahrner offenbar immer häufiger zum Telefon und alarmieren die Feuerwehr, obwohl keine wirkliche Gefahr für Menschen, Tier, Umwelt oder Sachwerte besteht.

Da werde dann sogar die "Grenze zum Tatbestand des Notruf-Missbrauchs erreicht und überschritten", sagt Kommandant Reinhold Kratzl. Nachdem die Feuerwehr heuer schon 70 mal nach Fehlalarmen und auch "durch Unachtsamkeit ausgelöste Brandmeldeanlagen" ausgerückt ist, wendet er sich jetzt mit einem offenen Brief an die Bevölkerung. Er appelliert an alle, verantwortungsvoll mit Notrufen umzugehen und "mehr Vernunft" walten zu lassen. Das gilt auch bei mutmaßlichen Bränden. Es ist schon vorgekommen, dass ein Mann die Feuerwehr wegen eines Wohnungsbrandes im sechsten Stock alarmiert hatte. Die ganze Wache samt Nachbarfeuerwehren und Kreisbrandmeister rückte aus. Nach längerer Suche nach der Brandstelle war klar: Eine Frau hatte Kartoffeln gekocht und das Fenster gekippt. Der vermeintliche Rauch war Wasserdampf, der Anrufer unauffindbar. Zurück blieben 50 irritierte Einsatzkräfte, die sich fragten, warum der Mann nicht einmal erst mal selbst an der Tür der Nachbarwohnung geklingelt hatte. Auch während des jährlichen Johannisfeuers am Galgenbachweiher wird inzwischen regelmäßig die Feuerwehr alarmiert: "Kennen denn wirklich so viele Menschen den christlichen Brauch des Sonnwendfeuers nicht mehr?", fragt sich der Feuerwehrkommandant.

Die Feuerwehr ist bei Unglücksfällen und Notständen zuständig, nicht zu für gewerbliche Leistungen

Die meisten Fehl- und Falschalarmierungen betreffen den Bereich der Technischen Hilfeleistung. Zuständig ist die Feuerwehr laut Gesetz eigentlich nur bei echten Unglücksfällen und Notständen. Die liegen dann vor, wenn die Allgemeinheit bedroht ist, und die gemeindlichen Feuerwehren werden aktiv, wenn ein öffentliches Interesse besteht. Das sei nur dann anzunehmen, wenn Selbsthilfe einschließlich gewerblicher Leistungen wegen Gefahr im Verzug oder wegen nur bei der Feuerwehr vorhandener technischer Hilfsmittel oder Fachkenntnisse nicht möglich sei, zitiert Kratzl aus der entsprechenden Bekanntmachung des Innenministeriums. Das Abpumpen von fünf Zentimetern Wasser in einer Tiefgarage nach einem Unwetter gehöre zum Beispiel nicht dazu.

Für Kratzl geht es auch um die Einsatzmoral der 80 Ehrenamtlichen seiner Wehr: Irgendwann eile niemand mehr mitten in der Nacht zur Feuerwache, um ein angeblich brennendes Fahrzeug auf der Autobahn zu löschen "welchem jedoch nur ein Kühleschlauch geplatzt ist", fürchtet er. Und welche Arbeitgeber lassen ihre bei der Feuerwehr aktiven Mitarbeiter "regelmäßig von der Arbeit weglaufen", um einen Ast vor einer Garage zu entfernen? Wer die Feuerwehr alarmiert, sollte sich deshalb vorher überlegen, ob eine wirkliche Notlage vorliegt, bittet Kratzl. Wenn das der Fall sei, sollte man einen "präzisen Notruf" absetzen und die Rettungskräfte dann auch auf der Straße erwarten, "denn im Notfall zählt jede Sekunde." Die Feuerwehr werde "auch in Zukunft jedes Mal unverzüglich ausrücken, wenn Sie uns rufen", versichert der Kommandant, fügt aber an: "Bitte rufen Sie uns aber nur bei einer wirklichen Gefahr!"

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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