Süddeutsche Zeitung

Freising:Der Irrglaube von der autofreien Innenstadt

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Anwohner, Händler, Ärzte und Gastronomen äußern bei einer Infoveranstaltung der Aktiven City massive Bedenken gegen die von Teilen des Stadtrats gewünschte große Fußgängerzone. Die Topografie der Stadt mache zu viele Ausnahmen erforderlich.

Von Kerstin Vogel, Freising

Gut zehn Jahre ist es her, dass der damalige Stadtrat in einem beispiellosen Prozess die neue Freisinger Innenstadt konzipiert hat - unter Einbeziehung zahlreicher Experten und Beteiligung aller relevanten Akteure. Noch viel länger wird in Freising bereits um eine Fußgängerzone für die Altstadt und um deren Größe gestritten; und daran hat die vorläufige Fertigstellung der Bauarbeiten nichts geändert.

Kurz bevor die mit der Konzeption beschlossene "kleine" Variante einer Fußgängerzone zwischen Schiedereck und Amtsgerichtsgasse Ende 2023 umgesetzt wurde, empfahl der Planungsausschuss dem Stadtrat mit knapper Mehrheit, diese auf die gesamte Altstadt zwischen Karlwirtkreuzung sowie Heiliggeistgasse und General-von-Nagel-Straße auszuweiten. Die Freisinger Mitte wiederum beantragte ein Ratsbegehren, um die Bürgerinnen und Bürger noch einmal über die Fußgängerzone abstimmen zu lassen. Einzig mit den Betroffenen wurde über diese neuen Volten nicht gesprochen - ein Versäumnis, das die dem Stadtrat übel genommen haben, wie am Montagabend bei einer Informations- und Diskussionsveranstaltung des Werbevereins Aktive City (AC) im Parkcafé deutlich wurde.

Gut 60 Anwohnerinnen und Anwohner, vor allem aber auch Geschäftstreibende und Gastronomen waren der Einladung von AC-Chef Max Kirchmaier gefolgt, mehr als ein Dutzend Stadträtinnen und Stadträte war ebenfalls gekommen - und sie konnten neben einiger Kritik tatsächlich auch Lob mitnehmen, denn: Schön ist sie schon geworden, die neue Innenstadt, darin ist man sich mittlerweile nahezu einig in den Geschäften, Arztpraxen und Lokalen. Die Menschen halten sich wieder gerne in ihrer City auf, das aufregend neu gestaltete Diözesanmuseum auf dem Domberg tut ein übriges, um Gäste von außerhalb anzulocken. Und ja, viele dieser Touristen unternehmen nachher noch einen Ausflug in die Altstadt, besuchen dort die Lokale und auch manch ein Geschäftsinhaber berichtet von höherer Kundenfrequenz.

Soweit also alles positiv, die lange Leidensphase während der Umbaujahre hätte sich scheinbar gelohnt - wäre da nicht die leidige Sache mit dem Verkehr. Geeinigt hatte man sich bei der Erarbeitung der Innenstadtkonzeption vor mittlerweile gut zehn Jahren bekanntlich auf ein Konstrukt, das den Namen Begegnungszone trägt, das es so aber rein rechtlich gesehen in Deutschland gar nicht gibt. Die Idee: In dem höhengleich ausgebauten Verkehrsraum begegnen sich alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt, in Schrittgeschwindigkeit und mit gegenseitiger Rücksichtnahme.

Ärger machen vor allem die Fahrer von SUV - und Radler

Dass das nun auch nach dem vorläufigen Abschluss aller Bauarbeiten nicht wirklich gut funktioniert, liegt - so war es nicht nur im Planungsausschuss, sondern auch am Montag zu hören - zuvorderst an zwei Nutzergruppen. Das eine sind, um das hier oft zutreffende Klischee zu zitieren, die Fahrer hochmotorisierter SUV, die nach wie vor die Begegnungszone als Parkplatz nutzen und die zehn Euro Strafe als günstige Parkgebühr verbuchen. Und die anderen sind - auch das ist nicht schön - rücksichtslose Radfahrer, die sich "sehr oft als einzige nicht an die Beschränkung auf zehn Stundenkilometer halten", so ein Besucher am Montag.

Um dieser Gemengelage irgendwie Herr zu werden, wäre die Einrichtung einer durchgängigen Fußgängerzone tatsächlich hilfreich, weil man Verkehrssünder rechtssicher und vor allem mit sehr viel empfindlicheren Strafen zur Kasse bitten könnte, weshalb sich auch die Polizei dafür ausgesprochen hat. Das würde allerdings voraussetzen, dass Verstöße auch wirklich geahndet würden und dafür fehlt der Polizei und offenbar auch dem städtischen Ordnungsamt wohl schlicht das Personal. Vor allem an Letzterem ließ manch ein Besucher kein gutes Haar. Man bekomme dort keine Antworten, hieß es, teilweise sei das Amt wochenlang überhaupt nicht erreichbar. Immer, wenn Kontrollen notwendig wären, habe dafür offenbar niemand Zeit. Dafür würden teilweise Anwohner und Handwerker grundlos schikaniert.

Neben diesem Ärger plagen die verschiedenen Akteure in der Innenstadt allerdings auch ganz handfeste Sorgen, die sich vor allem auf die Zeiten beziehen, zu denen bei einer großen Fußgängerzone überhaupt noch in die Innenstadt gefahren werden dürfte. Die vorgesehenen Lieferzeiten morgens und abends sind für viele Geschäfte einfach zu knapp bemessen, manch einer fürchtet massive Umsatzverluste, wenn Kunden ihre Waren nicht mehr mit dem Auto abholen könnten. Apotheken könnten ihren gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung jederzeit mit Medikamenten zu versorgen, nicht mehr nachkommen, beklagte eine Betroffene.

Handwerker könnten etwa bei einem Wasserrohrbruch schlicht nicht darauf warten, dass sich das Zeitfenster der Lieferzeiten öffne, sagte ein anderer Besucher - und auch die Ärzte haben mit den beschränkten "Lieferzeiten" große Probleme. 135 medizinische Praxen gibt es in der Innenstadt, das hat die Aktive City ermittelt. Zu deren Patienten zählen naturgemäß ältere Menschen oder solche mit einer körperlichen Einschränkung - und sie alle müssen zu den Praxen gefahren werden können. Da an bestimmte Zeiten gebunden zu sein, bezeichneten die anwesenden Ärzte als nicht umsetzbar.

Und die "normalen" Bewohner der Innenstadt? Auch sie werden, wenn die große Lösung beschlossen werden sollte, zur Anfahrt ihrer Parkplätze künftig eine Ausnahmegenehmigung brauchen - und auch das sind nicht wenige. Die Zählungen der Aktiven City haben ergeben, dass es in der gesamten Innenstadt 1057 Parkplätze gibt, von denen 697 privat sind. 177 davon könnten bei der großen Lösung nur über die Fußgängerzone angefahren werden. Eine Stadt wie Freising, in der es von der Topografie her keine Möglichkeit gebe, die Geschäfte oder Wohnhäuser von hinten her anzufahren, sei "auch mit einer Fußgängerzone nicht autofrei zu bekommen", folgerte Kirchmaier, "das ist ein Irrglaube".

FSM-Stadträtin deutet Verzicht auf das Ratsbegehren an

Die Akteure in der Innenstadt jedenfalls würden sich wünschen - das kann als Fazit der Diskussion festgehalten werden - dass nach all den schwierigen Jahren mit Corona, explodierenden Energiepreisen und den Einschränkungen durch die Baustellen der jetzigen Situation erst einmal eine Chance gegeben wird. Man habe derzeit eine "wunderschöne, belebte Stadt", die Leute seien begeistert, "so eine Stadt muss man erst einmal finden", lobten die Besucher, da müsse jetzt keine Fußgängerzone "übers Knie gebrochen werden". Wie die für Mitte März im Stadtrat erwartete Entscheidung ausfällt, ist unterdessen völlig offen. Die SPD-Fraktion hat bereits den Antrag gestellt, das Thema ohne Beschluss in den Planungsausschuss zurückzuverweisen - und FSM-Stadträtin Maria Lintl deutete am Montagabend an, dass das Ratsbegehren der FSM "bei diesem komplexen Thema vielleicht doch nicht das richtige ist".

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