Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Ein Glück für das regionale Handwerk

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Viele kleine und mittelständische Unternehmen suchen händeringend Lehrlinge. Gerne würden sie auch junge Flüchtlinge ausbilden, um ihnen eine Perspektive für ihr späteres Leben in Deutschland oder ihrer Heimat zu geben

Von Katharina Aurich, Freising

Ein Lichtblick für junge Flüchtlinge im Landkreis Freising ist die Bereitschaft kleiner und mittelständischer Betriebe, sie auszubilden und ihnen einen Lehrvertrag zu geben. "Uns fehlen überall Lehrlinge, die jungen Menschen sind als Auszubildende im Handwerk willkommen", erklärt Kreishandwerksmeister und Innungsmeister der Bauinnung, Martin Reiter. Eine Ausbildung ist für Flüchtlinge die große Chance, auch wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird, zunächst als "qualifizierter Geduldeter" bleiben zu können und nach fünf Jahren eine Aufenthaltsberechtigung zu erhalten, erläutert Stefan Frey, Regierungsdirektor im Bayerischen Innenministerium.

Innungsmeister Martin Reiter und seine Kollegen nehmen sich daher den jungen Flüchtlingen an, die kurz vor ihrem Schulabschluss stehen und fahren mit ihnen durch den Landkreis, um ihnen Handwerksbetriebe und Ausbildungsberufe vorzustellen. Die Jugendlichen erfahren, was zum Beruf des Stuckateurs und Trockenbauers gehört und aus welchen Teilen die Ausbildung besteht. Es spiele keine Rolle, ob die Jugendlichen vielleicht wieder in ihr Herkunftsland zurück müssten, findet Reiter. Von einer Ausbildung und den Erfahrungen hier in Deutschland werden sie immer profitieren, meint er überzeugt. Ein Schreiner sei ein Schreiner, egal in welchem Land.

Reiter will sich bei der Regierung von Oberbayern dafür einsetzen, dass Jugendliche, die eine Ausbildung beginnen, ein Visum für drei Jahre erhalten und diese Zeit sicher bleiben können. Damit hätten nicht nur sie selbst, sondern auch die Handwerksbetriebe Planungssicherheit, so der Innungsmeister. Voraussetzung, um eine Lehrstelle zu erhalten, seien natürlich Deutsch-Grundkenntnisse, aber niemand erwarte eine perfekte Ausdrucksweise. Besonders in kleineren Firmen würden die Flüchtlinge rasch besser Deutsch lernen, da sie den ganzen Tag im Betrieb integriert seien und mit den Kollegen sprechen, hat Reiter fest gestellt.

"Jeder, der bei uns eine Ausbildung machen möchte, erhält eine Chance", betont er. Natürlich werde von jedem Lehrling erwartet, dass er lernen wolle und sich anstrenge. Wer sich nicht sicher ist, welchen Beruf er erlernen möchte, könne ein Praktikum absolvieren, so dass sich der potenzielle Auszubildende und der Ausbilder erst einmal unverbindlich kennenlernen.

Reibungslos hat dieser Weg für Nadja Agaeva aus Haag funktioniert. Die heute 24-Jährige floh mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus Russland, wurde zunächst in der Sammelunterkunft in Zirndorf untergebracht und kam vor zwei Jahren nach Haag. Hier lebte die Familie mit anderen Flüchtlingen in ihrer kleinen Wohnung eines Mehrfamilienhauses. Die junge Frau schloss rasch Freundschaft mit den Nachbarn auf der anderen Straßenseite, der Familie Hans und Elisabeth Laschinger.

Die Gemeinde vermittelte ihr und ihrer Mutter einen Minijob im Kindergarten. Es sei ein Glück gewesen, endlich unter Leute zu kommen. Denn den ganzen Tag untätig zu sein schlage auf die Psyche, erinnert sich Agaeva. Ihr Bruder besucht inzwischen die Zollinger Mittelschule und habe gute Noten, sagt die junge Frau stolz. Der Kindergarten war die erste Station auf dem Weg zu einem richtigen Ausbildungsplatz, denn Maria Hack, die damalige Chefin vom Café Ampertal, nahm Mutter und Tochter unter ihre Fittiche. In der Küche arbeiteten sie mit und so lernte Nadja Agaeva auch Hans Hack und seine Metzgerei neben dem Café Ampertal kennen.

Während eines Praktikums war der jungen Frau schnell klar, dass sie hier bleiben wollte und als ihr der Chef einen Ausbildungsplatz anbot, sagte sie natürlich zu. Man sieht ihr an, dass ihr die Arbeit hinter dem Tresen Freude macht, auch in der Berufsschule kommt sie gut mit. Inzwischen ist die kleine Familie als Flüchtlinge anerkannt und sie hat eine Aufenthaltsbewilligung für zunächst drei Jahre erhalten. Diese werde aber danach unbefristet ausgestellt, sagt Nadja Agaeva erleichtert. Die Zeit der Ungewissheit sei vorbei.

Nach der Anerkennung wollten sie natürlich aus der Flüchtlingsunterkunft ausziehen, da traf es sich gut, dass im Haager Ortszentrum eine der raren Mietwohnungen frei wurde, die Bürgermeister Anton Geier den Dreien vermittelte. Auch Metzgermeister Hans Hack ist froh, einen Lehrling als Metzgereifachverkäuferin gefunden zu haben. Bereits in Spanien hat die Innung nach Nachwuchs gesucht, aber das habe nicht gut funktioniert. Ein Handicap sei natürlich die Sprache, aber auch, dass es in Haag keine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gäbe. Daher könne er nur Lehrlinge beschäftigen, die hier wohnten oder regelmäßig gefahren werden, bedauert Hack. Die jungen Flüchtlinge, die nun hier bleiben und einen Ausbildungsplatz suchten, seien ein Glück für das regionale Handwerk, findet Hack.

Kreishandwerksmeister Martin Reiter ist für weitere Informationen unter 01 71/7 71 40 99 erreichbar.

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SZ vom 02.01.2015
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