Süddeutsche Zeitung

Corona im Landkreis Freising:Die Welle rollt wieder an

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Nach dem Volksfest steigen die Corona-Fallzahlen auch im Landkreis Freising deutlich. Ärztesprecher Georg Miedl beobachtet aktuell einen "Übergang, wo auf Dauer Durchseuchung stattfindet". Er plädiert dafür, die Belegung der Krankenhäuser als Maßstab für die Corona-Lage zu verwenden.

Von Marius Oberberger, Freising

Am Mittwoch weisen die fünf Stadt- und Landkreise mit der höchsten deutschlandweiten Inzidenz alle ein Gemeinsamkeit auf. Dort fand kürzlich ein Volksfest statt: In Kelheim, Worms, Rosenheim Stadt und Land sowie in Erding. Das Freisinger Volksfest ist am Sonntag zu Ende gegangen und es sieht so aus, als ob die Freisinger Inzidenz bald zu den benachbarten Landkreisen Kelheim und Erding aufschließen wird.

Zu Beginn und während des Volksfests schwankte die 7-Tage Inzidenz pro 100.000 Einwohner im Freisinger Landkreis um 200, und sprang bis Mittwoch auf 349. Im benachbarten Landkreis Erding lag zu Beginn des Volksfests die Inzidenz ebenfalls etwa bei 200, stieg in der Woche nach dem Ende auf 300 und bis Mittwoch bereits auf 593 an: Mit etwa einer Woche Verzögerung nimmt das Volksfest dort großen Einfluss auf die Zahlen, ein Ende des Anstiegs ist noch nicht ersichtlich.

Volksfeste als Beitrag zur Durchseuchung - welches Risiko ist vertretbar?

Der Freisinger Ärztesprecher Georg Miedl erwartet einen Anstieg bakterieller Infektionen in den kommenden Tagen und Wochen, da sich gerade in Bierzelten viele Menschen anstecken können. Volksfeste stattfinden zu lassen bezeichnet er als "mutig und risikobehaftet", findet den Weg aber richtig. Er beobachtet aktuell einen "Übergang, wo auf Dauer Durchseuchung stattfindet, damit man mit Corona wie mit einer anderen Erkrankung leben kann". Würde heute noch die Delta-Variante wie im vergangenen Sommer vorherrschen, hielte er Volksfeste für unvertretbar - aber die aktuell dominante Omikron-Variante BA.5 sei wesentlich weniger pathogen, verursache also weniger schwere und tödliche Verläufe, auch wenn sie hochinfektiös sei. Allerdings könne auch wieder eine pathogenere Variante auftreten, die dann andere Maßnahmen erfordere.

Miedl plädiert dafür, die Belegung der Krankenhäuser als Maßstab für die Corona-Lage zu verwenden. Aber nicht allein die schweren Verläufe, auch der Krankenstand infolge von Corona-Infektionen stelle Betriebe und vor allem medizinische Einrichtungen vor große Herausforderungen: Manche Praxen und Kliniken hätten in der Vergangenheit Personalausfälle von bis zu 50 Prozent gehabt oder temporär schließen müssen. Kliniken, Praxen und Pflegende hätten im Landkreis bislang sehr gut zusammen gearbeitet und kollegial Aufgaben übernommen, was aber eine enorme Mehrbelastung bedeutet habe.

Personalengpässe belasten Kliniken und Praxen

Miedl hält die Inzidenzen allein für wenig aussagekräftig: Die PCR-Test, die zur Aufnahme in die offiziellen Fallzahlen notwendig sind, seien weniger verfügbar und möglicherweise würden sich auch mehr Menschen nach dem Volksfest testen, was den Vergleich von vorher und nachher erschwere. Auch Sascha Alexander vom Klinikum Freising ordnet die Aussagekraft der Inzidenzen ein: Die Testbereitschaft sei allgemein gesunken, es gebe weniger Testmöglichkeiten und positiv Getestete kurierten sich zuhause aus, ohne dass sie Eingang in die offiziellen Statistiken fänden.

Offizielle Zahlen zu verfügbaren Intensivbetten bilden laut Alexander auch nicht zwingend die Realität ab: So verfügt das Klinikum Freising über 14 Intensivbetten, kann aber nicht immer alle betreiben, etwa wegen Personalmangel. Aktuell sind sechs Personen mit Corona-Erkrankung im Klinikum, darunter eine in Intensivbehandlung. Sie werden auf den unterschiedlichen Stationen behandelt und jeweils von den anderen Patientinnen und Patienten isoliert.

Erwartet wird ein deutlicher Anstieg

Die Versorgung im Klinikum ist aktuell gewährleistet, aber wenn sich infolge des Volksfests Mitarbeitende anstecken und damit ausfallen, könnte es zu Engpässen kommen. Alexander erwartet infolge des Volksfest einen zeitversetzten deutlichen Anstieg des Infektionsgeschehens, in welchem Ausmaß sei schwer abzusehen. Die aktuelle Corona-Politik verlagere die Verantwortung und Belastung auf Kliniken und Arztpraxen, so Alexander. Das Klinikum Freising habe in den vergangenen beiden Jahren viele Abläufe verbessert und ein routiniertes Umgehen mit Corona entwickelt. Die größte Sorge bleibe weiterhin der strukturelle Personalmangel, der durch Corona-Infektionen verschärft werden könne.

Robert Stangl vom Landratsamt Freising geht davon aus, dass das Volksfest "bestimmt einen Einfluss auf das Infektionsgeschehen" haben werde, aber auch der Schulanfang und Urlaubsrückkehrende könnten Faktoren sein. Dies werde sich in den nächsten Wochen zeigen. Er sieht den Landkreis "gut vorbereitet", da sowohl auf Festangestellte als auch auf Ehrenamtliche, etwa im Rettungsdienst, Verlass sei.

Sascha Alexander weist darauf hin, dass sich die Lage im Herbst verändert: Zu den Volksfesten, gipfelnd im Münchner Oktoberfest, kommen niedrigere Temperaturen und das herbstliche Wetter, weshalb sich mehr Menschen drinnen aufhalten und anstecken. Zudem lasse bei vielen der Impfschutz nach und es sei schwer absehbar, wie sehr der Verzicht auf die meisten Schutzmaßnahmen das Infektionsgeschehen treiben werde. Corona könne somit zu einer angespannten Situation im Herbst beitragen, so Alexander, auch wenn Corona die Situation nicht mehr im gleichen Maße wie noch 2020 und 2021 präge. Er erinnert daran, die eigene Corona-Impfung wenn nötig auffrischen zu lassen und auch eine Grippe-Impfung in Betracht zu ziehen.

Georg Miedl hebt hervor, dass erst der Einsatz des pflegenden und medizinischen Personals in allen Einrichtungen, ob Arztpraxen, Kliniken oder Pflegeeinrichtungen, die aktuellen Freiheiten ermögliche, etwa Volksfeste zu feiern. Allerdings stehe das Gesundheitssystem aufgrund der Belastungen der vergangenen Jahre insgesamt schlechter da als zu Beginn der Pandemie.

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