Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof:Kläger fordern neue Gutachten

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Am 37. Verhandlungstag stellen die Anwälte der Startbahngegner am Verwaltungsgerichtshof mehr als 100 Beweisanträge - viele Fragen sind ihrer Einschätzung nach noch nicht ausreichend geklärt

Von Johann Kirchberger

Mehr als 100 Beweisanträge haben die Anwälte der Kläger am 37. Verhandlungstag im Startbahnprozess vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellt. Fast zu allen strittigen Themen, die bisher behandelt wurden, verlangten die Anwälte vom 8. Senat, neue gerichtliche Sachverständigengutachten einzuholen. Sollte Vorsitzender Erwin Allesch den Forderungen auch nur in einem Punkt nachkommen, würde es bis zu einer Entscheidung zu monatelangen Verzögerungen kommen. Überdies verlangte Rechtsanwalt Ulrich Kaltenegger vom Bund Naturschutz, das Verfahren so lange auszusetzen, bis der Europäische Gerichtshof über einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zu Wasserrechtsfragen entschieden habe. "Wir werden alles erwägen", sagte Allesch, und "behalten uns Planergänzungsansprüche vor". Um der Gegenseite die Möglichkeit zur Erwiderung zu geben, wird am morgigen Donnerstag ein weiterer Verhandlungstag eingeschoben.

Am Dienstag war es im Verhandlungssaal an der Infanteriestraße recht voll. Alle Anwälte, fast alle Kläger und gut 70 Zuhörer waren gekommen, als die Beweisanträge gestellt wurden, die - laienhaft ausgedrückt - so etwas wie eine Zusammenfassung der verhandelten Themen darstellen, die gegen den Bau einer dritten Startbahn sprechen. Rechtsanwalt Joachim Krauß, der unter anderem die Stadt Freising vertritt, setzte sich zunächst mit den Prognosen im Planfeststellungsbeschluss auseinander, die den Bedarf für eine 3. Startbahn rechtfertigen sollen. Falsch berechnet worden sei der Treibstoffanteil an den Flugverkehrskosten, sagte er, statt 18 müssten hier 32 Prozent angesetzt werden. Die Feinstaubbelastung gefährde die Gesundheit der Menschen weit mehr als eingeräumt und durch den Fluglärm seien Entwicklungsverzögerungen bei den Kindern an den Schulen und Kindergärten in Pulling und Attaching zu erwarten, sagte er.

Auch Rechtsanwalt Eike Schönefelder, der eine Reihe Privatkläger vertritt, und später auch Rechtsanwältin Ulrike Philipp-Gerlach (Bund Naturschutz) zweifelten den Bedarf für eine dritte Bahn an. Die Kapazität des Zwei-Bahnen-Systems sei ausreichend für 98 bis 110 Flugzeuge in der Stunde und nicht wie behauptet nur für 93 bis 98, sagte Schönefelder. Er sprach auch die rückläufigen Flugbewegungen an, die 2013 auf das Niveau von 2004 zurückgegangen seien. Als völlig falsch habe sich die Aussage im Planfeststellungsbeschluss herausgestellt, dass 2011 "der Wachstumspfad" wieder erreicht werde. Diese Hoffnung sei schon deshalb nicht eingetreten, weil "die Schulden-, Finanz- und Währungskrise" nicht vorhersehbar gewesen sei. Alle Prognosen, so Schönefelder, seien deshalb nicht mehr tragfähig, auch nicht die später nach unten korrigierten, weshalb neue Sachverständigengutachten erforderlich seien.

Auch zur Absturzgefahr stellte Schönefelder umfangreiche Beweisanträge. Das Thema Sicherheit der Menschen in Attaching sei nicht annähernd ausreichend berücksichtigt worden, da gebe es große Defizite, monierte er. Das gesamte Risikospektrum in der Umgebung des Flughafens sei nur unzureichend erfasst worden. Direkte Anflüge in niedriger Höhe seien den Attachingern nicht zuzumuten. Durch Lärm (Herzerkrankungen) und Schadstoffe, die beim Verbrennen von Kerosin entstünden, sei die Gesundheit der Menschen durch den Bau einer dritten Startbahn hochgradig gefährdet. Gleiches gelte für Wirbelschleppen, von denen die Menschen plötzlich und unerwartet erfasst würden. Neue Gutachten forderte Schönefelder außerdem für die Immobilien-Wertverluste seiner Attachinger Kläger, die er auf 50 bis 80 Prozent bezifferte.

Neue Gutachten zum Vogelschutzgebiet Nördliches Erdinger Moos beantragte BN-Anwalt Ulrich Kaltenegger. Er nannte eine ganze Reihe von Vögeln, die durch die dritte Startbahn Flächen verlören, die sie "zu Überwinterungs-, Rast- und Nahrungszwecke" benötigten. Beweisanträge stellte er auch zu den "total unterschätzten" Stickstoffeinträgen im Vogelschutzgebiet und zu den Kohärenz- oder Ausgleichsmaßnahmen. Auch die Gefährdung der Fledermäuse und der Nester zahlreicher Vogelarten wollte er neu begutachtet wissen. Die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden vogelkundlichen Bestandserfassungen, so rügte er, genügten nicht "dem best verfügbaren fachlichen Standard".

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SZ vom 20.11.2013
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