Süddeutsche Zeitung

Auf den Spuren verlorener Identitäten:Mehr als eine bloße Nummer

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Eine Ausstellung des Vereins "Stalag Moosburg" will Kriegsgefangenen ein Gesicht geben und zeigt Einzelschicksale wie das eines jungen Russen auf, der im Lager mit nur 16 Jahren an Fleckfieber starb

Von Till Kronsfoth, Moosburg

"Einzelschicksale" heißt eine neue Ausstellung des Vereins "Stalag Moosburg" in der Aula der Volkshochschule. Sie ist Teil der Themenreihe "Auf den Spuren verlorener Identitäten: Sowjetische Kriegsgefangene im Stalag VII A" und hat zum Ziel, den Toten ein Gesicht und ihre Geschichte zurückzugeben. Erreicht wird dies durch die Rekonstruktion von Lebenswegen einzelner Gefangener anhand persönlicher Dokumente, Fotografien und Kunstwerke. So werden beispielsweise Bilder des französischen Künstlers Alfred Gaspart gezeigt, der Porträts seiner Leidensgenossen angefertigt hatte. Darüber hinaus finden Vorträge statt.

Kurt Bauer wertet für den Verein Zeitzeugenberichte aus. "Die Interviews sind zwischen fünf und 14 Jahre alt. Leider sind viele der Interviewten in der Zwischenzeit bereits verstorben", sagt Bauer. Die Datenfülle sei enorm und die Transkription der Gespräche nehme viel Zeit in Anspruch. "Auch, weil viele der Interviewten einen starken bayerischen Dialekt haben. Aber die Auswertung ist sehr interessant, da ich einige der Personen persönlich kannte", sagt der gebürtige Freisinger.

Elke Abstiens ist seit Anfang des Jahres beim Verein und hat für die Ausstellung in russischen Datenbanken recherchiert. Unterstützung erhielt sie durch das Stadtarchiv. So konnte Abstiens die Friedhofslisten des Lagers einsehen, auf denen die Nummern der verstorbenen sowjetischen Gefangenen verzeichnet waren. Über diese "konnte man in den russischen Datenbanken etwas über die Namen der Gefangenen in Erfahrung bringen." Aber nicht nur das. Auch ganze Schicksale können so sichtbar gemacht werden. So konnte Abstiens den Weg eines Jugendlichen von seiner Gefangennahme in Russland bis zu seinem Tod im Moosburger Lager rekonstruieren, wo er im Alter von nur 16 Jahren an Fleckfieber starb.

"Wir wollten mit der Ausstellung den Einzelnen in den Vordergrund rücken", erklärt Kunsthistorikerin Christine Fößmeier. "Auch wenn wir die Namen nicht kannten, wollten wir die Kriegsgefangenen individuell präsent machen. Bis dahin waren sie bloße Nummern in einer Kartei." Die Ausstellung zeichnet auch den langen Weg, den die Gefangenen bis Moosburg zurückgelegt haben, nach. Wenn sowjetische Soldaten nach ihrer Festnahme nicht erschossen wurden, schickte man sie zunächst in Frontlager. Viele wurden anschließend zur Zwangsarbeit ins Reichsgebiet verschleppt. "Dies erfolgte anfangs selbst im Winter mit offenen Viehwaggons. Erst als man feststellte, dass viele Gefangene erfroren, benutzte man geschlossene Waggons. In Moosburg mussten die Kriegsgefangenen eine Entlausungsanlage passieren und wurden schließlich in die Baracken einquartiert, getrennt von den Kriegsgefangenen anderer Herkunft", schildert Fößmeier. Osteuropäische Gefangene, insbesondere jene aus der Sowjetunion, waren aus Sicht der NS-Ideologie "slawische und bolschewistische Untermenschen". Sie wurden häufig bei Arbeitseinsätzen erschossen oder erhielten eine sehr viel schlechtere Versorgung als westeuropäische Gefangene, sie starben daher oft an den Folgen von Misshandlungen, Unterernährung und Krankheiten.

Der Verein Stalag Moosburg gründete sich 2013, um die Erinnerung wach zu halten "Nur wenige wissen, dass der Moosburger Stadtteil Neustadt um das ehemalige Kriegsgefangenenlager errichtet wurde", sagt der Historiker Karl Rausch. Hier wurden nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere tausend Vertriebene angesiedelt. "Dies hat maßgeblich zur Stadtentwicklung Moosburgs beigetragen." Aktuell beschäftigt sich der Verein mit dem Streit um den Umgang mit der letzten verbliebenen Lagerbaracke, die sich im Zerfall befindet.

"Unsere Intention ist aber nicht nur die Erinnerung und Dokumentation für die Nachwelt", sagt Günther Strehle. Mit unserer Arbeit wollen wir auch zur Völkerverständigung und zum kulturellen Austausch beitragen. Im Lager waren Menschen aus 70 Nationen inhaftiert. Deren Enkelkinder sind es, die heutzutage nach Moosburg kommen, um herauszufinden, was damals mit ihren Großvätern passiert ist." Die Ergebnisse der Ausstellung und der Veranstaltungsreihe werden im März in dem Buch "Auf den Spuren verlorener Identitäten" erscheinen.

Die Ausstellung "Einzelschicksale" kann noch bis zum 1. Oktober in der Volkshochschule Moosburg besucht werden.

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SZ vom 25.09.2017
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