Süddeutsche Zeitung

Als Japanerin in Eching:Musik leben

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In ihrer Heimat hat die japanische Geigerin Yuki Kuwano die Liebe zu ihrem Instrument entdeckt und sich mit viel Disziplin auf das Studium in Tokio und München vorbereitet. Seit 2010 unterrichtet sie in Eching

Von Julia Kitzmann, Eching

"Der Klang einer Geige ist der Spiegel einer Seele", sagt Yuki Kuwano. "Wenn man glücklich ist, gibt das die Geige wieder." Ihre Augen leuchten, ein Lächeln umspielt die Lippen. Wer ihr zuhört, merkt: Die Japanerin ist glücklich mit dem, was sie macht. Sie lebt für die Musik. Seit 2010 ist sie Lehrerin an der Musikschule Eching und gibt nebenbei Konzerte in Deutschland, der Schweiz und Japan.

Die Faszination der Musik - Yuki Kuwano spürt sie seit Kindertagen. Mit fünf Jahren begann sie, Klavier zu spielen. In Italien war das. "Mein Vater hat als Ingenieur dort Anfang der 1980er Jahre gearbeitet", erzählt sie in fließendem Deutsch. "Obwohl ich noch klein war, hat mich damals schon das europäische Leben beeinflusst. Ich habe zum Beispiel einen italienischen Kindergarten besucht." Doch ihre Freizeit verbrachte sie vor allem im Haus: "Wir haben im Süden gelebt. Die Kriminalität war hoch, wir konnten nicht einfach auf der Straße spielen." Also mussten Alternativen her. "Meine Mutter war Pianistin. Das Klavier war also da." Und so nahm sie die ersten Musikstunden bei ihr. Später hat es ihr bei der Zulassung zum Musikstudium geholfen. Zurück in Japan aber "habe ich selbst gesagt: Ich möchte Geige spielen."

Mit zwölf Jahren bekam sie ihre erste "Vollgeige" - Kinder spielen zunächst auf kleineren Schülergeigen. Ab da stand für sie fest, Musik studieren zu wollen: "Als ich den vollen Klang gehört habe, hat sich für mich eine neue Welt eröffnet." Spürte sie besonderen Druck? Schließlich gibt es immer wieder Berichte über den extremen Drill, mit dem Kinder in Asien zu Höchstleistungen getrieben werden. "Etwas lernen - das bedeutet oder bedeutete zumindest in Japan Disziplin", sagt sie und fügt an: "Aber ohne diese Disziplin wäre ich nicht hier." Die Musikerin erläutert: "Wenn man in dem Land lebt, ist es normal. Ich empfand die Erziehung und Ausbildung nie als besonders streng." Erst als sie in Deutschland Unterricht gab, sei ihr die Leistungsorientierung in der Heimat bewusst geworden. "In Japan war es wenigstens zu meiner Schulzeit selbstverständlich, dass man dem Lehrer vorbereitet gegenübertrat", sagt sie. Lachend berichtet sie: "Hier ist es total anders. Die Kinder kommen zu mir und sagen ,Ich habe gar nicht geübt' - ohne jede Scheu". Sie selbst habe als Kind täglich eine Stunde musiziert - mit 15 oder 16 in den Ferien auch mal sieben oder acht Stunden. Aus eigenem Antrieb - wie sie augenzwinkernd betont. "Ich empfehle das nicht. Aber ich fand es damals richtig."

Gab es gerade als Jugendliche eine Zeit, in der sie keine Lust mehr auf die Geige hatte? Yuki Kuwano schaut irritiert. "Nein, nie." Vielmehr habe sie einmal vom vielen Üben eine Sehnenscheidenentzündung gehabt. Sie grinst: "Ich bin sehr klein, das Instrument ist fast größer als ich. Deswegen habe ich mir nach der Verletzung eine neue Methode beigebracht, um keine Schmerzen zu bekommen." Nach dem Schulabschluss studierte sie an der Staatlichen Universität für Bildende Künste und Musik in Tokio. Mit Anfang 20 ging sie mit dem "Asian Youth Orchester" auf Europatournee. "Da war ich das erste Mal in Deutschland", berichtet sie. Nach dem Studium besuchte sie einen Kurs an einer Privatuniversität bei Kurt Guntner, der sonst an der Hochschule für Musik und Theater in München lehrte. "Eine richtungsweisende Begegnung", meint Kuwano. Der Unterricht bei ihm habe ihr so gut gefallen, dass sie unbedingt weiter von ihm lernen wollte. "Ich schrieb ihm einen Brief. Er hat mich dann zu verschiedenen Kursen eingeladen. So war ich immer mal wieder in Deutschland", erläutert sie.

2002 ist sie endgültig nach München gekommen, um in seiner Meisterklasse zu studieren. Zwei Jahre hat sie sich darauf vorbereitet. Unterricht geben, um Geld zu verdienen, die Sprache lernen. "Audiodidaktisch", wie sie lachend hinzufügt. "Ich komme vom Land. In der Nähe gab es keine Sprachschule. Deswegen habe ich einen Radiosprachkurs gemacht." In München habe sie sich schnell eingelebt und Freunde gefunden. Die hätten ihr sogar Bayerisch beigebracht. Befremdlich habe sie die neue Kultur nicht empfunden: "Ich werte nicht und sage ,Das ist fremd', sondern nehme alles auf. Danach kann ich mich immer noch gegen etwas entscheiden." Bei der Frage, was sie aus Japan vermisse, muss Yuki Kuwano lange überlegen. Der Kontakt zu Familie und Freunden sei dank Internet eng, außerdem fliege sie einmal im Jahr zum Neujahrsfest in ihre Heimat. Wenn sie etwas vermisse, dann die japanischen Thermalbäder. Schließlich fällt ihr doch noch etwas ein, das so ganz anders in Deutschland ist: die Größe der Portionen in Restaurants; "in meiner Anfangszeit saß ich in einem Lokal und bekam einen Berg voll Champignons mit Soße - das war ein Schock", berichtet sie lachend. "In Japan legt man viel Wert auf die optische Schönheit eines Gerichts, es werden zum Beispiel verschiedene Farben kombiniert." Wie ist es nach über zehn Jahren in Deutschland um ihre kulinarischen Vorlieben bestellt? Sushi oder Weißwurst? "Das kommt darauf an: Hier esse ich gerne Weißwürste, auf gutes japanisches Sushi kann ich aber auch nicht verzichten", sagt sie diplomatisch.

Eine Rückkehr nach Japan schließt Kuwano nicht aus, ebenso wenig, in Deutschland zu bleiben: "Wo ich bin, ist nicht wichtig. Die Aufgabe, die ich dort habe, ist wichtig. Wenn sie mich ausfüllt, ist das für mich Heimat." Und die ist seit 2010 Eching. Sie habe sich bewusst für die Arbeit als Musiklehrerin entschieden. "Davor war ich drei Jahre als Orchestermusikerin engagiert, aber das wollte ich nicht bis zur Rente machen. Ich hatte das Gefühl, dass die Musik sonst für mich zur Routine wird." Ganz anders sei das in ihrem jetzigen Beruf: "Es gibt immer wieder Überraschungen. Was immer ich vorbereite, ich muss spontan sein." Genau darin liege für sie der Reiz. Außerdem lerne sie viel von ihren Schülern: "Das ist kein einseitiger Prozess. Unterricht ist für mich Austausch."

Vom Wert einer musikalischen Ausbildung ist sie überzeugt: "Musik ist eine Lebensbereicherung, bringt Freude und Spaß. Die Kinder lernen über den Instrumentalunterricht auch Dinge wie Disziplin oder Durchsetzungsvermögen." Ihr Ziel sei es, ohne Druck zu zeigen, "wie schön es ist, Musik zu leben". Gleichzeitig wolle sie "die Seele jedes Schülers erreichen". Sie betreut Kinder von der ersten Klasse bis hin zu 18-, 19-Jährigen. Wichtig sei ihr, "nicht gleich abzulehnen, sondern zuzuhören". Lachend berichtet sie von einer Begebenheit. Da sei ein junger Schüler gekommen und habe kundgetan, lieber Gitarre spielen zu wollen. "Dann haben wir ohne Bogen auf der Geige gezupft."

Neben der Arbeit als Lehrerin gibt sie auch immer noch Konzerte. Ihr persönliches Ziel sei es, jedes Jahr eines selbst auszurichten. Zu anderen Veranstaltungen werde sie eingeladen, erzählt Kuwano. Einmal im Jahr stehe sie auch in Japan auf der Bühne. "Zuletzt habe ich dort im Mai musiziert. Alle Freunde, Bekannte und meine ganze Familie sind gekommen", erklärt Kuwano stolz. Regelmäßig gastiert sie auch in der Schweiz, dann, wenn sie mit ihren Bergsteigerfreunden ein kleines Dorf im Wallis besucht. Da mehrere Musiker dabei sind, habe einer die Idee gehabt, ein Konzert auszurichten. "Jetzt treten wir dort jedes Jahr auf. Es wird immer bekannter und immer mehr Menschen kommen", freut sie sich.

In diesem Jahr leitet sie das erste Mal das Kammerorchester der Echinger Musikschule. Das Konzert ist im Juni. Auftritte seien für sie immer besondere Höhepunkte: "Wenn ich vor jemandem spiele, lerne ich mich kennen. Das ist wie ein Weg zu mir selbst." Lampenfieber habe sie nie. Doch sie gibt zu, dass es ihr leichter falle, in Deutschland auf der Bühne zu stehen. "Vielleicht mache ich mir in Japan unbewusst doch Druck", überlegt sie, "hier kann ich befreiter spielen." Spielen - das möchte Yuki Kuwano "bis ich eine alte Oma bin".

Ihr Instrument hat sie, seit sie 18 ist, "das war das größte Geschenk meiner Eltern". 1738 ist die Geige in Paris gebaut worden, zur Zeit des Barock. Irgendwann hat sie der Kollege einer Lehrerin Kuwanos nach Japan gebracht. "Sie ist mit mir nach Europa zurückgekommen", erzählt Kuwano. Eines Tages möchte sie der Geschichte ihres Instruments nachspüren. "Ich habe die Pariser Adresse. Dort will ich unbedingt hin".

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Quelle:
SZ vom 01.04.2017
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