Süddeutsche Zeitung

Freiham:Alle sind guten Willens

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Die Stadt nimmt den Bürgern in Freiham eine große Sorge: Statt der anfangs geplanten 680 Plätze für Asylsuchende hat das Sozialreferat die Zahl jetzt dauerhaft auf 480 festgelegt

Von Ellen Draxel, Freiham

"Dobro došli" steht auf der Leinwand. "Herzlich willkommen" auf Bosnisch und Kroatisch. Auch in vielen anderen Sprachen - Persisch, Kurdisch, Amharisch, Ungarisch, Französisch, Serbisch - leuchtet der Willkommensgruß den Besuchern entgegen. Es ist eine Signal und eine Bitte: Zollt den Menschen, die zu uns kommen, Respekt. Integriert sie, helft ihnen, toleriert sie als Nachbarn.

Die rund 450 Einwohner, die bislang in Freiham wohnen, hat die Stadt zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Sie will um Verständnis werben, dass Freiham in einigen Wochen genauso viele Flüchtlinge wie Einheimische haben wird. Die 50 Anwohner, die gekommen sind, erfahren gleich zu Beginn, dass die Stadt die Ängste und Sorgen ihrer Bürger sehr wohl ernst nimmt: Statt der anfangs geplanten 680 Plätze für Asylsuchende in Freiham-Süd habe das Sozialreferat die Zahl jetzt dauerhaft auf 480 "runtergeswitcht", sagt Sozialreferentin Brigitte Meier. Auf Bitten des Stadtrates. Die Standortentscheidung an sich aber, stellt CSU-Stadtratsmitglied Johann Sauerer, ein Aubinger, klar, habe das politische Gremium im Rathaus gefällt, nicht das oft gescholtene Sozialreferat: "Und wir Stadträte stehen hinter den Beschlüssen." Jeder Quadratmeter in dieser Stadt, erklärt Meier, sei umkämpft. Woche für Woche werde es schwieriger, Flächen zu finden, um den Bedarf an 12 300 Flüchtlingsplätzen für 2015 zu decken. 7200 Plätze gebe es bereits, bis Jahresende sollen weitere 4500 hinzukommen. "Bleibt ein Defizit von 600 Plätzen, an dem wir intensiv arbeiten", so Johann Sauerer.

Für Freiham heißt das: 480 Flüchtlinge werden im Oktober an der Centa-Hafenbrädl-Straße eine vorübergehende Bleibe finden. Einige Monate später, Mitte 2016, soll dann eine weitere Gemeinschaftsunterkunft mit Platz für 200 asylsuchende Menschen schräg gegenüber in Betrieb genommen werden. Dafür errichtet die Stadt einen Neubau nach Art eines Fertighauses.

Sobald dieser zweite Standort belegt wird, soll aber einer der Container aus Unterkunft eins wieder abgebaut werden - damit insgesamt nie mehr als 480 Asylsuchende gleichzeitig in Freiham untergebracht sind. "Und das wird auch so bleiben, das können wir für diesen Standort mit Fug und Recht behaupten", versichert Sozialreferentin Brigitte Meier.

Wer kommen wird, ob Familien oder Alleinstehende, und welcher Nationalität sie angehören, ist noch offen. Klar ist hingegen der Betreuungsschlüssel: Ein Verwalter kümmert sich rein rechnerisch um 75 Flüchtlinge, ergänzend dazu gibt es die Asylsozialarbeit. Flüchtlingskinder, die Kindertagesstätten besuchen, bekommen zusätzliches Personal zugeschaltet. Und Schüler, die kein oder kaum Deutsch sprechen, werden in kleinen Übergangsklassen unterrichtet. Im 22. Stadtbezirk gab es diese sogenannten Ü-Klassen bisher an den Schulen am Ravensburger Ring und der Limesstraße - wo sie künftig beheimatet sein werden, hat das Schulreferat noch nicht entschieden.

Optimistisch ist auch die Polizei. Drei Gemeinschaftsunterkünfte hat die Inspektion 45 derzeit mit zu betreuen, eine in Pasing und zwei im Stadtbezirk Aubing-Lochhausen-Langwied. "Unsere Erfahrungen dort sind durchweg positiv, wir haben in keinster Weise Störungen oder einen Anstieg der Kriminalität zu verzeichnen", sagt Rudolf Neumann. Soziale Spannungen gebe es vor allem, wenn Menschen auf engstem Raum zusammenkämen: "Aber damit ist in Freiham nicht zu rechnen, das Gelände ist sehr weitläufig."

Die Flüchtlingsareale werden eingezäunt, gleichzeitig sollen auf Anregung des örtlichen Bezirksausschusses noch in diesem Jahr kommunikative Spielflächen im Kiefernhain für alle Bewohner Freihams entstehen. Ein Allwetter-Fußballplatz, ein Streetballkorb, großzügige Sitzmöglichkeiten. Und natürlich ein Spielplatz für kleinere Kinder, zu finden nahe der S-Bahn-Unterführung.

Dem Sozialreferat "ganz wichtig" ist ehrenamtliches Engagement - Sprachkurse, Patenschaften, die Zusammenarbeit mit Sportvereinen. Mit dem ESV Neuaubing ist die Behörde schon in Kontakt, ebenso mit den Kirchen. Einige Anwohner haben sich nach der Infoveranstaltung bereits in eine Helferliste eingetragen.

Ein Drittel der Flüchtlinge, hatte Jürgen Soyer vom Verein Refugio zuvor erzählt, seien Kinder und Jugendliche. Nahezu alle Ankommenden seien traumatisiert, sagt er, hätten Gewalt erlebt, auch Vergewaltigung. Man sehe ihnen ihre Qualen nicht an, sie wüssten sie äußerlich gut zu verbergen: "Aber die Kinder spielen in der Therapie, dass das Böse gewinnt. Sie haben die Zuversicht zum Leben verloren." Was ihnen helfe, sei Normalität: Schule, Arbeit, Freunde. Und das Gefühl, als künftige Mitbürger willkommen zu sein.

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SZ vom 17.07.2015
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