Süddeutsche Zeitung

Fotografen:Auf der Jagd nach dem verlassenen Ort

Lesezeit: 3 min

Je abgelegener, umso besser: "Urbexer" stellen Fotos von einsamen Plätzen ins Netz, verraten die genaue Lage jedoch nicht. Trotzdem kommen sie sich manchmal in die Quere.

Von Sarah Mahlberg und Lea Zurborg

Ein paar Menschen, die durch den Morast stapfen. Auf der Suche nach einem verlassenen Haus, das doch irgendwo dort sein müsste. Ein ausgehängtes Tor, ein eingeschlagenes Fenster, auf den Fußleisten zentimeterdicker Staub. Und dann klickende Kameras.

So in etwa kann man sich als Laie "Urban Exploration", also Stadterkundung, vorstellen - ein Hobby, das unter Fotografiebegeisterten gerade im Trend liegt. Und das Internet verstärkt den Hype. Die Anhänger der Bewegung, auch "Urbexer" genannt, nutzen soziale Netzwerke wie Facebook, um ihre Fotos auszutauschen. Wer sich in die Gruppe " Lost Places in München und Bayern" hineinklickt, bekommt stillgelegte Fabrikgebäude, verlassene Bauernhöfe oder eine knallrote britische Telefonzelle mitten im Wald zu sehen. Diese sogenannten "Lost Places", verlorene Orte, waren einst belebt und sind inzwischen sich selbst überlassen. Oft erkämpft sich die Natur ihr Revier zurück.

"Östlich von München", steht unter dem Foto eines verfallenen Bauernhauses in der Facebook-Gruppe. Ein Mitglied will sich nicht mit der groben Ortsangabe zufrieden geben, fragt, wo dieses zu finden sei und wird sofort in die Schranken gewiesen. "Fragen nach der Adresse werden nicht beantwortet. Ist wie bei Pilzen. Die besten Plätze muss man selber finden", kommentiert der Fotograf. Mehr als 10 000 Mitglieder haben die Administratoren schon zu der geschlossenen Gruppe zugelassen. Die große Zahl steht der Geheimniskrämerei entgegen, die Urbexer betreiben. Man muss suchen, um zu finden. Manchmal auch stundenlang.

Das steht auch in den Gruppenregeln. Die Administratoren löschen jede zu konkrete Ortsangabe. Flutet jemand die Seite mit zu vielen Bildern von außerhalb Bayerns, handeln sie ebenso. Das kommt vor, denn häufig unternehmen die Suchenden Reisen quer durch Deutschland und Europa. In München selbst noch Orte zu finden, die tatsächlich fast vergessen sind, ist ziemlich anspruchsvoll.

Der Geisterbahnhof aus Olympia-Zeiten ist zwar verlassen, gilt aber schon lang nicht mehr als Lost Place. Wenn ihn trotzdem mal wieder jemand postet, dann gleich mit einer Entschuldigung: "Ich weiß, der Lost Place ist schon ausgelutscht." Für neue Motive muss man die Stadt häufig verlassen. Google Earth hilft, vor jeder Tour die grobe Lage ausfindig zu machen. Das war früher viel schwieriger.

Die Urbexer handeln oft illegal

Am Ziel gilt: Nichts umräumen, nichts anfassen, nichts mitnehmen. Doch wie streng das ausgelegt wird - daran scheiden sich die Geister. Manche setzen einen Raum extra in Szene für ein gutes Bild, dekorieren ihn regelrecht, indem sie zum Beispiel den wackligen Tisch decken. "Stand das da wirklich so? Oder ist das nur fürs Foto so gemacht worden?", kommentiert eine Nutzerin ein akkurat arrangiertes Bild. "Einem Teil der Szene geht es nur um spektakuläre Fotos, die medialen Ruhm und Anerkennung bringen", sagt ein sehr aktiver Münchner Urbexer, der anonym bleiben möchte.

Ihn ärgert das: "Für mich steht der verfallene Ort mit seiner Geschichte im Vordergrund." Er macht sich viele Gedanken darüber, wie man durch ein Haus gehen kann, ohne Spuren zu hinterlassen: "Schon das Zurechtrücken eines Stuhls für ein besseres Foto ist ja eine Veränderung. Aber dabei muss man bedenken, wie schnell altes, morsches Holz kaputt geht."

Die Urbexer handeln ohnehin oft illegal, weil verlassene Grundstücke häufig in privatem Besitz sind. Wer sie betritt, kann wegen Hausfriedensbruchs belangt werden. Trotzdem scheuen die meisten den Aufwand, den Besitzer vorher um Erlaubnis zu bitten. Sie nutzen lieber das Fenster im Erdgeschoss. Dass die Bewegung wächst, bringt neue Probleme mit sich. Ein Lost Place ist nicht mehr verloren, wenn fünf Fotografen dort herumklettern. "Ich glaube, die Szene zerstört sich langsam selbst", sagt der Urbexer, der trotz aller Kritik selbst Mitglied der Facebook-Gruppe ist. "Sobald ein neuer Ort auf der Seite erscheint, rennen alle sofort dort hin." Eine Woche lang bekomme man täglich dieselben Bilder zu sehen, dann sei das Interesse vorbei und der Ort nicht mehr der gleiche.

Das Internet ist eine perfekte Plattform

Manche Urbexer veröffentlichen nur ausgewählte Bilder, andere posten gute Fotos so oft wie möglich und pflegen sogar Künstlernamen. Selbstdarstellung benötigt immer eine Plattform, das Internet ist dafür perfekt. Das zeigen auch die Kommentare zu den Bildern: "Liegen die ganzen toten Tauben noch drin?" oder "Habt ihr euch in den Rest nicht getraut?". Indirekt heißt das: Ich war schon vorher da.

Den Widerspruch zwischen Geheimnis und Austausch kann die Szene nicht auflösen, ihre Facebook-Gruppe boomt weiter. Während über Koordinaten geschwiegen wird, verraten die Mitglieder einander überraschend offen, wie man in ein Gebäude hineinkommt. "Wie sieht es mit dem Zutritt aus?", postet einer unter dem Foto einer Autofabrik. "Das Gebäude ist offen und der Zaun hat Löcher", lautet die Antwort. Nur ein Bruchteil der Interessierten postet selbst Bilder. "Viele schauen sich das nur an und machen sich gar nicht selbst auf den Weg nach draußen", erklärt der anonyme Urbexer. Für solche Leute sei die Gruppe gut - auch als Anstoß, um darüber nachzudenken, was die Gesellschaft alles verfallen lässt. "Aber es lockt eben gleichzeitig auch Idioten an, die mit den Orten unvorsichtig umgehen."

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit der Journalistenschule ifp (Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses), die Autoren sind Stipendiaten des Studienjahrgangs 2017.

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Quelle:
SZ vom 12.04.2017
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