Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Kurzes Durchschnaufen in München

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Anlauf, München

"Salzburg Hbf" steht auf der Digitalanzeige des blauen Meridianzuges, der langsam auf Gleis elf in den Münchner Hauptbahnhof rollt. Auf der Tafel daneben heißt es dagegen "aus Freilassing". Fünf Bundespolizisten und zwei Beamte der Münchner Polizei stehen breitbeinig am Bahnsteig, halten Ausschau nach Flüchtlingen. Einige Fahrgäste müssen sich ausweisen. Acht junge Männer und ein Mädchen mit weißem Kopftuch halten die Beamten etwas länger fest, dann können sechs von ihnen gehen. Anschließend finden die Polizisten doch noch, wonach sie suchen: zwei Flüchtlinge. Die jungen Männer sind zu Fuß über die Grenze gegangen und dann in Freilassing in den Zug gestiegen. Viel mehr Flüchtlinge als die beiden kamen am gesamten Montag nicht an - nach einem Wochenende, an dem 20 000 Asylsuchende in der Landeshauptstadt gelandet waren.

Am Sonntag erreichten insgesamt 7100 Flüchtlinge München, die meisten davon vor dem Abend, als die Bahn gegen 17 Uhr den Zugverkehr zwischen Österreich und Deutschland einstellte. Zwischen 20 Uhr und Mitternacht waren es noch 700 Menschen, die nach Angaben der Regierung von Oberbayern "offenbar bereits auf der Strecke waren".

Nach dem großen Flüchtlingsandrang am Wochenende bot sich am Montagvormittag ein ganz anderes Bild am Bahnhof. Wo noch am Vorabend Dutzende Polizisten des Sondereinsatzkommandos die Absperrgitter am Starnberger Flügelbahnhof und den Vorplatz sicherten, war am Tag danach kaum ein Mensch zu sehen. Vereinzelt gingen Münchner Polizisten und Beamte der Bundespolizei im Bahnhof Streife oder kontrollierten einige Fahrgäste, darunter einen jungen dunkelhäutigen Mann im Sakko und mit einer Sonnenbrille im Haar. Vor allem nach Menschen mit dunklerer Hautfarbe hielten die Beamten Ausschau. Doch bis zum Nachmittag stiegen nicht mehr aus als an anderen Tagen, bevor die Flüchtlinge vor zwei Wochen fast täglich zu Tausenden aus Ungarn in München ankamen.

Nicht immer war der Andrang am Starnberger Flügelbahnhof so groß wie am vergangenen Wochenende. So wurden am 2. September lediglich 320 Flüchtlinge gezählt, am 3. waren es 361 und am 4. September insgesamt 430. Am vergangenen Samstag sowie am Sonntag zuvor erreichten jeweils 13 000 Asylsuchende die Landeshauptstadt.

Der plötzliche Einbruch bei den Flüchtlingszahlen erklärt sich nicht nur durch den vorübergehenden Stopp der Züge von Österreich nach München. Auch die neu eingeführten Grenzkontrollen führten dazu, dass am Montag nur wenige Asylsuchende ankamen. Wie sich die Lage weiter entwickelt, ist derzeit unklar. "Wir können noch nicht genau absehen, wie sich die neuen Grenzkontrollen und der zeitweise eingestellte Zugverkehr nach München tatsächlich auf Ankünfte von Asylsuchenden in München auswirken", sagte Regierungspräsident Christoph Hillenbrand am Montag. Es herrsche "angespannte Ruhe".

Derzeit gibt es Überlegungen in der Regierung von Oberbayern, die Notunterkunft in Dornach im Landkreis München deutlich aufzustocken, momentan können dort bis zu 2500 Menschen übernachten. Eine größere Kapazität dort wird möglicherweise bis zum Ende dieser Woche nötig, weil dann die Messehallen in Riem als Flüchtlingsunterkünfte geschlossen werden - wegen der Fachmesse Expo Real Anfang Oktober.

Nach Angaben von Sozialreferentin Brigitte Meier konnten im Lauf des Montags die meisten Flüchtlinge die Unterkünfte in der Messe und in der Karlstraße wieder verlassen. "Die Einrichtungen sind eigentlich leer", sagte Meier der Süddeutschen Zeitung. Bereits am Sonntag wurden von den 7100 Ankommenden 6300 Asylsuchende per Bus und Bahn weitergeleitet. Auch Regierungssprecherin Simone Hilgers bestätigte am Montag, dass sich in den Notquartieren derzeit keine Flüchtlinge aufhalten. In den vergangenen zwei Tagen seien die in München angekommenen Asylsuchenden "mit Hochdruck" in andere Regierungsbezirke Bayerns und auch in andere Bundesländer gebracht worden. "Im Moment mag man kurz durchschnaufen, was den zahllosen Beteiligten und Helfern sicher gut tut", sagte Regierungspräsident Hillenbrand.

Die professionelle Unterstützung für die vielen freiwilligen Helfer wird unterdessen weiter ausgebaut. Derzeit diskutieren Mitarbeiter des Kreisjugendrings mit den Ehrenamtlichen, wo und wie Hauptamtliche die Arbeit der Helfer weiter unterstützen könnten. Allerdings betont Sozialreferentin Meier: "Tausende helfende Hände wird man nie hauptamtlich ersetzen können." Das sei auch die besondere Qualität der Flüchtlingshilfe in München, es sei ein "Miteinander" von Helfern, Kreisjugendring und Sozialreferat. Aber "wir tun alles, was notwendig ist, was dieser tollen Ehrenamtsstruktur hilft".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2647266
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.09.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.