Süddeutsche Zeitung

Feuerwehren im Stress:Willkommen bei der Wasserwehr

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Stress auch ohne Brände: Der viele Regen beschäftigt die Freiwilligen Feuerwehren derzeit so stark wie selten - dass sie meist am Abend ausrücken müssen, nennen sie Glück.

Ronen Steinke

Zwischen der Jahrhundertdürre und der Regenwalze lag in diesem Jahr der Mai. Vom trockensten Frühjahr seit 50 Jahren war bis dahin die Rede gewesen. Weshalb die Feuerwehrleute sich vielerorts schon für Waldbrände wappneten: 17 Feuerwehren aus dem Landkreis Ebersberg zum Beispiel setzten eine dringliche gemeinsame Brandschutzübung im Ebersberger Forst an - und gruben sich am Tag der Übung aber mit den Reifen in feuchte Erde.

Anfang Juni hatte es zu regnen begonnen, und dies gewaltig. Im Juni warnte der Deutsche Wetterdienst in Bayern 365-mal vor Unwettern, für den laufenden Monat Juli liegt die Zahl bereits jetzt bei mehr als 300. "Am Ende wird es wahrscheinlich heißen: ein durchschnittlicher Sommer", kommentiert Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst trocken, bloß seien Niederschlag und Wärme in diesem Jahr in Bayern eben extrem ungleichmäßig verteilt.

Ein Sommer der Extreme ist das also nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung. Er bedeutet auch extreme Belastungen für die vielen ehrenamtlichen Feuerwehrleute, die am einen Abend zum Verkehrsunfall auf nasser Straße gerufen werden und am nächsten Tag den See auf der Ortskreuzung abpumpen müssen.

63.000 ehrenamtliche Feuerwehrleute engagieren sich in Oberbayern. Sie rücken aus, wenn Bäume im Sturm auf die Fahrbahn krachen, frieren auf der Autobahn, wenn nachts Unfallstellen zu sichern sind, und wachsen nicht selten schon früh damit auf, sich unentgeltlich einzusetzen. Der Dienstagabend zum Beispiel, als ein Unwetter von vielen sich über den Münchner Westen drückte: 50-mal rückten da die Feuerwehren allein im Landkreis Fürstenfeldbruck aus, 43-mal die Feuerwehren im Kreis Starnberg, 49-mal im Münchner Stadtgebiet und ungefähr ebenso oft im Landkreis München.

In Gröbenzell im Landkreis Fürstenfeldbruck musste die Feuerwehr jüngst sogar 140-mal in einer einzigen Nacht ran. Über dem Ort verdichtete sich am 30. Juni ein Unwetter, das auch den gesamten Münchner Westen eindeckte. Die Integrierte Leitstelle in Bruck, die die Feuerwehreinsätze in den vier westlichen Landkreisen Fürstenfeldbruck, Starnberg, Dachau und Landsberg koordiniert, dirigierte in wenigen Stunden insgesamt 250-mal einen Zug zum Einsatz. Es waren Keller abzupumpen, Kanaldeckel wieder aufzusetzen und noch dringendere Gefahren zu bannen: In Puchheim barst infolge eingedrungenen Wassers in einem Keller ein Tank mit 6000 Litern Heizöl. In Gröbenzell trat ein Schaden an einer Gasleitung auf.

Der Kreisbrandrat von Fürstenfeldbruck, Hubert Stefan, spricht von Belastungen, welche seine etwa 2300 aktiven Feuerwehrleute deutlich mehr forderten als in früheren Jahren. Sein Ebersberger Kollege Gerhard Bullinger, der die Einsätze in seinem Landkreis statistisch erfasst, zählt heute ein Fünftel mehr Einsätze als noch vor zehn Jahren - was zum einen gewiss am erhöhten Verkehrsaufkommen liege, zum anderen aber auch an schärferen Wetterumschwüngen. Darüber, dass die Unwetter der vergangenen Tage, von Osten her kommend, abdrehten, bevor sie den Münchner Westen erreichen konnten, war man in Penzberg, wo der Feuerwehrmann Stefan Kammel das Wettergeschehen am Radarschirm mitverfolgte, erleichtert.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Landeshauptstadt, im Landkreis Ebersberg, kam es am vorvergangenen Wochenende zu einem Sturm, der 230 Feuerwehrleute beschäftigte. Die Gewitterzelle lag direkt über Zorneding, wo am Samstagabend ein Bürgerfest mit Konzerten stattfand. Bäume stürzten um, Straßen wurden überflutet, Keller liefen voll, und auf dem Fest drohte ein Bierzelt einzustürzen, in das sich die Besucher zurückgezogen hatten. Die Arbeit der Feuerwehrleute zog sich noch bis in den Sonntagvormittag hinein und steckte vielen noch Tage später in den Knochen.

Allerdings: Bei allem Schweiß und allem Muskelkater in diesem Sommer berichten die Feuerwehrleute auch übereinstimmend von einer kuriosen Form des Glücks. Als halte sich das Wetter immerhin an Regeln der ritterlichen Fairness, brechen die Wolken meist nur abends auf. Also dann, wenn die Ehrenamtlichen schon im Feierabend, aber noch nicht im Bett sind. "Gottseidank", sagt der Fürstenfeldbrucker Brandrat Stefan, denn so müssten die Feuerwehrleute nur selten zur Unzeit von ihrer Arbeit fort eilen. Auch bleibe deshalb nach den meisten Überschwemmungseinsätzen noch Zeit, um ein paar Stunden zu schlafen, bevor die Ehrenamtlichen wieder an ihrem Arbeitsplatz erwartet werden.

Das von Stefan beobachtete Phänomen lässt sich freilich meteorologisch entschlüsseln: Gewitter brauen sich im Sommer meist zur heißesten Zeit des Tages zusammen, also am späten Nachmittag. Für die Beobachtung von Stefans Ebersberger Kollegen Bullinger gilt das schon weniger: Nicht nur die Sturmkatastrophe in Zorneding, sondern auch der Großteil der übrigen Unwetter im Landkreis ereigne sich nach seinem persönlichen, über drei Jahrzehnte gewonnenen Eindruck an Wochenenden.

Für die ehrenamtlichen Feuerwehrler bedeute das immerhin ein Glück im Unglück. So sei man am Montagmorgen im Büro eben ein bisschen müder als sonst, spüre gewiss noch die Anstrengungen des Vortags, könne den Arbeitskollegen vom Wochenende erzählen. So schlimm sei das aber nicht. Einen Grund für diese Häufung an Wochenenden kenne er aber nicht. "Da müssten Sie mal oben nachfragen", sagt Bullinger und zeigt mit dem Finger in den Himmel, aus dem es am Mittwochmittag bloß fein nieselt.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2011
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