Süddeutsche Zeitung

Technikgeschichte:Meilensteine im Verborgenen

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Im Wasserkraftwerk Eitting wurden Anfang der 1920er-Jahre die weltweit ersten sogenannten Francis-Turbinen eingebaut. Auch die dazugehörigen 110 kV-Bahnstromleitungen gehören zu den ersten in Deutschland

Von Gerhard Wilhelm, Eitting

Viele Denkmäler sind schon von weitem zu sehen. Oft sind sie sogar Wahrzeichen von Kommunen. Sei es durch ihren Baustil, ihren Prunk, ihre Tradition. Und meisten stehen mitten in Orten. Es gibt aber auch Denkmäler, die fast im Verborgenen sind, die man auf den ersten Blick gar nicht als so bedeutend ansieht. So eines ist das Wasserkraftwerk in Eitting und - noch unerwarteter - seine dazu gehörende Stromleitungen nach Norden.

Der Antrag, der den Gemeinden Eitting und Langenpreising jüngst zur Stellungnahme vor lag, war für die Gemeinderäte mehr nur eine Sache "zur Kenntnisnahme". Was sollte man schon groß dagegen haben, wenn die Bahn, genauer die DB Energie GmbH, die 110-Kilovolt (kV)-Bahnstromleitung von Eitting nach Pfrombach erneuer will, weil sie sich aufgrund ihres Alters in einem sanierungsbedürftigen Zustand befindet?

Doch die Leitung ist nicht irgendeine Leitung. Sie ist eine der ersten 110 kV-Bahnstromleitungen in Deutschland überhaupt. Entstanden ist sie in den 1920er Jahren im Zuge des sogenannten Elektrifizierungsprogrammes der Deutschen Reichsbahn, bei dem rund 800 Kilometer Bahnstrecke im Großraum München erstmals im großen Stil auf elektrischen Betrieb umgestellt wurden. Eine Bahnstromleitung ist eine Hochspannungsleitung zur Stromversorgung elektrifizierter Eisenbahnen. Sie versorgen die sogenannten Unterwerke, die ihrerseits über den Fahrdraht an der Bahnstrecke die Triebfahrzeuge mit Strom versorgen. Sie sind äußerlich daran zu erkennen, dass sie zwei oder vier, in seltenen Fällen auch acht stromführende Kabel tragen.

Damals machte man sich auch Gedanken, wie man den Strom für die Züge produzieren kann. Atom- oder Gasturbinenkraftwerke waren damals noch unbekannt. Deshalb wurden 1924 die Wasserkraftwerke Aufkirchen, Eitting, Pfrombach und Walchensee in Betrieb genommen und durch die neuen 110 kV-Hochspannungsleitungen mit den Unterwerken der Bahnstrecken verbunden. Die Leitungen gingen vom Walchenseekraftwerk nach Pasing und von Pasing weiter nach Augsburg und Landshut, zudem verlief eine Leitung von Aufkirchen über Eitting und Pfrombach nach Landshut und vom Walchenseekraftwerk über Holzkirchen, Rosenheim nach Traunstein. Österreich wurde durch die Fortsetzung der Bahnstromleitung von Traunstein nach Steindorf an das Leitungsnetz angeschlossen.

Während die Bahnstromleitung nicht unter Denkmalschutz steht, ist das Kraftwerk Eitting auf der Denkmalschutzliste. Es wurde zwischen 1921 und 1925 als vierte Stufe der Kraftwerkstreppe Mittlere Isar im Rahmen des ersten Bauabschnitts des Kanals errichtetet. Zum Bau wurde damals die Bahnstrecke Altenerding nach Pfrombach errichtet. Das Bayerische Denkmalschutzamt schreibt über das Wasserkraftwerk: "bestehend aus Wasserschloss, Druckrohren, Maschinenhaus mit Annexbauten, Pförtnerhaus, Leerschuss und Wehranlagen; architektonische Gestaltung durch Karl Söldner, München, in Formen eines reduzierten Klassizismus; Maschinenhaus, stattlicher, quer zum Betriebskanal liegender Walmdachbau mit rhythmisierter Fassade, über den halbkreisförmigen Fenstern Okuli".

Das Besonder daran ist aber nicht sein Äußeres, sondern die Technik. Erstmals in der Welt wurden damals im Kraftwerk Eitting und im technisch ähnlichen Kraftwerk Aufkirchen sogenannte Francis-Turbinen eingebaut. Und zwar senkrecht. Die Francis-Turbine ist heute der am meisten verbreitete Turbinentyp bei Wasserkraftwerken. Sie kommt bei mittleren Fallhöhen des Wassers und mittleren Durchflussmengen zum Einsatz. Das Kraftwerk Eitting hat ein Gefälle von 25,3 Metern. Vom Einlaufbauwerk wird das Wasser in vier großen Druckrohren mit einem Durchmesser von fünf Metern und einer Länge von rund 30 Metern zu den vier Francis-Turbinen in der quer zum Kanal stehenden Maschinenhalle geleitet. Die elektrische Leistung des Kraftwerks beträgt 26 Megawatt. Erzeugt wird Bahnstrom mit 16 2/3 Hertz und Drehstrom mit 50 Hertz.

Die ursprünglich von der Firma Neumeyer in München gelieferten Francis-Turbinen hatten eine Drehzahl von 166,66 in der Minute, einen maximalen Durchsatz von 42 Kubikmeter in der Sekunde und leisten 9559 Kilowatt. Die Firma ging während des Baus des Kraftwerks Aufkirchen in Konkurs, so dass der Auftrag von der Firma Voith fertiggestellt wurde, die die vierte installierte. Mitte 1925 wurde in Eitting, zeitgleich mit Aufkirchen, der Probebetrieb aufgenommen.

Gebaut wurde es von der Mittleren Isar AG. Diese Gesellschaft wurde später vom Bayernwerk übernommen, das 2000 in der Eon aufging, der Muttergesellschaft des früheren Betreibers Eon Wasserkraft GmbH, von der sie durch Umwandlungen zur Uniper Kraftwerke GmbH gelangte. Das Kraftwerk hatte bis vor ein paar Jahren noch eine eigene Steuerzentrale, musste aber als Teil der Kraftwerkstreppe schon immer im Einklang mit den anderen Kraftwerken gesteuert werden. Dazu erhielt es die Vorgaben aus dem Kraftwerk Neufinsing, in dem alle relevanten Daten koordiniert wurden. Später wurde das Kraftwerk Eitting, wie alle Kraftwerke der Eon Wasserkraft entlang des Mittlere-Isar-Kanals, zentral vom Kraftwerk Neufinsing überwacht und gesteuert. Im Kraftwerk Eitting wird Personal deshalb nur noch für die notwendigen Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten benötigt. Seit dem 1. Mai 2011 werden alle Kraftwerke der Eon Wasserkraft an der Isar, am Lech und an der Donau von deren Hauptsitz in Landshut aus gesteuert.

Das Wasserkraftwerk wird erhalten bleiben, die Strommasten aus der Zeit der 1920er Jahre werden aber in ihrer derzeitigen Form verschwinden. Die DB Energie plant zur Verbesserung der Energieübertragung Leitungen, die 80 Grad warm werden können. Dazu sind wegen der derzeitigen Mastabstände höhere Masten notwendig. Wegen der "Stahlversprödung" der alten sollen alle 58 Masten auf der 12,8 Kilometer langen Trasse ausgetauscht werden. Die neuen werden teilweise um fünf Meter höher und bis zu zwei Quadratmeter am Sockel breiter sein. Die betroffenen Gemeinden, und die Grundstückseigentümer haben keine Einwände dagegen eingebracht. Ein Stück Geschichte wird damit bald der Vergangenheit angehören.

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Quelle:
SZ vom 03.06.2017
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