Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 26:165 Messerstiche auf eine Schwangere

Lesezeit: 4 min

2011 tötet ein 18-jähriger Erdinger wie im Blutrausch die 21-jährige Zorica H. in ihrer Wohnung - weil er in ihrem ungeborenen Kind eine Belastung sieht. Sein bester Freund hilft ihm bei dem grauenhaften Mord

Von Florian Tempel

Es ist ein trotziger, trostloser und abstoßender Satz, mit dem der Mörder seine Tat zu rechtfertigen versucht: "Keiner hat das Recht, mein Leben zu versauen." So steht es in einem Brief an seine Eltern, den der damals 18-jährige Erdinger Harun A. aus der Untersuchungshaft in der JVA Landshut heraus geschrieben hat. "Ich hatte bisher einen perfekten Ablauf in meinem Leben - Schule, Fußball, Ausbildung", heißt es weiter. Das Gericht müsse berücksichtigen, "dass ich nur einen Fehler in meinem Leben gemacht habe".

In der Nacht des 20. Februar 2011 hat Harun A. die von ihm schwangere Zorica H. in ihrer Wohnung in Taufkirchen grausam getötet, fünf Wochen vor ihrem errechneten Entbindungstermin. 165 Mal hatte er mit einem Messer auf ihren Oberkörper und gegen ihren Hals eingestochen. 165 Messerstiche sind erschütternd viele. Es ist eine Tat im Blutrausch, "ein Overkill, ein Übertöten", wie Staatsanwalt Ralph Reiter sagt.

Zorica H. war drei Jahre älter als Harun A. Sie ist in Taufkirchen an der Vils aufgewachsen und arbeitet als Verkäuferin. Die beiden waren im Sommer zuvor nach einem Discobesuch nur eine Nacht zusammen gewesen. Zorica H. war selbstbewusst und wollte ihr Kind alleine aufziehen. Von Harun A. fordert sie nur so viel: dass er sich zur Vaterschaft bekennen und Unterhalt zahlen soll.

In seiner Familie und in seiner Clique wissen eigentlich alle Bescheid. Sein Vater sagt vor Gericht, er habe seinem Sohn gesagt, er solle das nicht zu tragisch nehmen. Weder er noch die Mutter noch die Großeltern hätten ihm Vorwürfe gemacht, dass er ein uneheliches Kind bekommen sollte. "Für mich war das kein Problem", sagt der Vater, ein solcher "Ausrutscher, kann doch jedem Mann passieren". Er habe seinem Sohn ganz nüchtern geraten, "zahl' halt den Unterhalt" und ihm auch finanzielle Unterstützung versprochen.

"Er schämte sich vor seinen Eltern und jedem", berichtet jedoch einer seiner Freunde im Prozess. Drohungen gegen Zorica H. habe er zwar nie ausgestoßen. Sein "Hauptproblem" habe aber wohl darin gelegen, dass er sich nicht traute, seiner festen Freundin seinen Seitensprung zu beichten: "Das hat ihn zur Verzweiflung gebracht." Seine feste Freundin sagt als Zeugin, sie habe erst wenige Stunden vor dem Mord erstmals erfahren, dass eine andere Frau ein Kind von ihm erwarte. Ihre Mutter habe ihr von einem diesbezüglichen Gerücht erzählt. Sie habe es nicht geglaubt. Am Tag nach dem Mord habe sie Harun A. darauf angesprochen. Er habe ihr versichert, es sei nicht wahr.

In der Verhandlung am Landgericht Landshut erklärt der Psychiater Professor Norbert Nedopil, wie entscheidend dieser Umstand war. Harun A. habe ein völlig "unrealistisches, überhöhtes und überhebliches Anspruchsdenken". Er halte sich selbst für einen zielstrebigen Menschen, "in Wirklichkeit ist er aber unreif-passiv und sehr abhängig von anderen", erklärt Nedopil. Er sei ein "verwöhnter Prinz, der nie ernsthafte Konsequenzen für Fehlverhalten in Kauf nehmen musste", ein Fall von "Wohlstandsverwahrlosung". Als weitere Charaktereigenschaften nennt er eine geringe Frustrationstoleranz, erhöhte Aggressionsbereitschaft und die Grundhaltung, stets anderen die Schuld zu geben. Zorica H. habe ihm "zum ersten Mal in seinem Leben" klar gemacht, dass sein Selbstbild nicht mit der Realität übereinstimmte. Harun A. hatte Nedopil berichtet, dass er seinen finalen Mordentschluss fasste, als ihn Zorica H. wenige Tage vor der Tatnacht einen Feigling nannte, weil er sich nicht traute, seine bevorstehende Vaterschaft seiner festen Freundin zu beichten.

Nach dem Mord war die Leiche von Zorica H. nachträglich geknebelt und mit Klebeband umwickelt im Schlafzimmer unters Bett geschoben worden. Dort findet sie ihre Mutter, als diese zwei Tage später nach ihrer Tochter schauen will. Da sie keinen Schlüssel zu dem Appartement hat, lässt sich die besorgte Frau von den Vermietern, die im gleichen Haus wohnen, einen Wohnungsschlüssel geben. Als sie eintritt, sieht sie überall Blut. Die Tür zum Schlafzimmer ist verschlossen. Der Vermieter gibt ihr auch für diese Tür einen passenden Schlüssel.

Nach der schockierenden Entdeckung des Mordes fügen sich bei den Nachbarn Wahrnehmungen und Eindrücke zusammen, die sie zunächst ganz falsch gedeutet hatten. Ein Wagen stand eine Stunde lang mit laufendem Motor in der Einfahrt. Manche haben Schreie und Türschlagen gehört. Die Anwohner dachten, da hätten wohl die Wehen eingesetzt und Zorica H. sei in die Geburtsklinik gefahren worden.

Noch am gleichen Tag nimmt die Kripo Erding Harun A. fest. Das Auto, das mit laufendem Motor vor dem Tatort stand, gab der Polizei den entscheidenden Ansatzpunkt. Über Marke, Typ und Farbe wurde schnell die Mutter von Harun A. als Halterin eines solchen Wagens ermittelt. Der dringend tatverdächtige 18-Jährige legt nach seiner Verhaftung sofort ein Geständnis ab. Der Fall scheint gelöst zu sein.

Doch drei Wochen später, bei einer Routinenachvernehmung im Landshuter Gefängnis, kommt es zu einer großen Überraschung. Harun A. offenbart den Ermittlern, dass er einen Mittäter hatte: Er habe den Mord zusammen mit seinem besten Freund, dem 20-jährigen Vedat S. begangen. Am Tattag holt er ihn gegen 22.30 Uhr ab, um mit ihm nach Taufkirchen zu fahren. Dort spricht Harun A. zunächst alleine mit Zorica H., während sein Freund draußen im Auto wartet. Nach einiger Zeit kommt er wieder nach draußen ans Auto und fragt ihn, "bist du bereit?". Dann instruiert er ihn, ihm mit dem mitgebrachten Messer durch die offen gelassene Wohnungstür heimlich zu folgen. Als Vedat S. das Appartement betritt, hält dieser die überraschte Zorica H. sofort fest und hindert sie am Schreien, während er, Harun A., seinem Freund das Messer aus der Hosentasche zieht und zuzustechen beginnt.

Vedat S. gibt vor Gericht den Ahnungslosen. Er sei zwar dabei gewesen, habe aber nichts getan, als regungslos seinem Freund beim Mord zuzusehen. Das Gericht nimmt ihm das nicht ab. Es gebe keinen vernünftigen Grund, warum ihn Harun A. zu Unrecht belasten sollte. Psychiater Nedopil erklärt, Vedat S. habe eine "geradezu infantile" Vorstellung davon, was Freundschaft bedeute. Harun A. habe ihn zwar aufgefordert, sich an dem Mord zu beteiligen. Doch er habe insgeheim gehofft, er würde nicht in die Wohnung kommen. Erst als - und weil - sein Freund doch kam, habe es für ihn kein Zurück mehr gegeben.

Ende Oktober 2011 werden Harun A. und Vedat S. wegen gemeinschaftlichen Mordes und Schwangerschaftsabbruchs zu je zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt.

"Das ist doch wohl nicht euer Ernst" - das waren, wie Harun A. dem Gericht berichtet hat, die letzten Worte von Zorica H. Ein kurzer Satz, der die Monstrosität des Verbrechens zum Ausdruck bringt: Dass eine Schwangere ihr Leben lassen musste, weil ein selbstsüchtiger junger Mann in ihrem ungeborenen Kind eine Belastung für sein eigenes Leben sah. Und dass sein Freund, was nicht weniger unfassbar bleibt, in einem infantilen Freundschaftsverständnis bei dem Mord mitmachte.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2019
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