Süddeutsche Zeitung

Luftbeobachtung:Über den Rauchwolken

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Bei Waldbrandgefahr kreist Karlheinz Ruhland seit 1987 über den Ebersberger Forst. Kommendes Jahr zieht sich der 70-Jährige aus der Leitung der Erdinger Luftrettungsstaffel zurück - aber nicht aus dem Cockpit

Von Korbinian Eisenberger

Es sind wieder diese Tage, an denen es jeden Moment soweit sein kann: Eine weggeworfene Glasflasche reicht, damit über dem Ebersberger Forst die Rauchschwaden aufsteigen. In solchen Momenten ist der Wald mit seinen Bewohnern auf ihn angewiesen: Pilot Karl Heinz Ruhland, der an diesem Mittwochnachmittag wie fast immer in diesen Wochen in der Zentrale der Erdinger Luftüberwachung bereit steht. Neben der Fliegerhalle in seinem Büro hat er einen Bildschirm stehen, der den Index für die Waldbrandgefahr in Bayern für mehrere Tage wie auf einer Heatmap anzeigt. Demnach muss sich der Großraum München am Wochenende auf Stufe drei von fünf einstellen. Und kommende Woche? Ruhland sagt: "Ich gehe davon aus, dass wir am Dienstag wieder fliegen."

Er sagt fliegen, nicht fliegen müssen. Er müsste auch nicht das senfgelbe Hemd der Luftrettungsstaffel Bayern (LRS) tragen. Doch er trägt es wie eine Pilotenuniform. Karlheinz Ruhland ist seit 31 Jahren Einsatzpilot und so etwas wie das Herzstück des Erdinger Stützpunkts der bayerischen Luftbeobachtung. 1250 Stunden hat der 70-Jährige in all den Jahren im Cockpit über Bayerns Wäldern verbracht. Also mehr als jeder andere hier, wie von seinem Pilotenkollegen Gerolf Schmidl zu erfahren ist - weil Ruhland das selbst nie zugeben würde. Schmidl, 56, übernahm die Stützpunktleitung 2017 von Ruhland, der zuvor knapp 20 Jahre die Verantwortung hatte. "Nur weil sie einen gebraucht haben, der es macht", sagt er. Ruhland ist keiner, der sich gerne in den Mittelpunkt drängt, lieber unmerklich im Luftraum zwischen Wolken und Rauchwolken kreist. Es gibt wohl kaum jemanden, der die Region aus dieser Höhe besser kennt.

Über dem Erdinger Flugplatz ist keine Wolke zu sehen, die Tragflügel der Segelflieger blitzen in der Sonne. Von hier aus befliegen 21 Piloten vom Fliegerclub Erding die Landkreise Erding, Rosenheim und Traunstein. In der Maschine sitzen stets zwei Personen, der Pilot und ein Luftbeobachter vom Katastrophenschutz. Erding ist damit einer von insgesamt sieben Stützpunkten, die im Freistaat bei Waldbrandgefahr ausrücken. Aus den Zahlen der LRS lässt sich herauslesen, dass es in Bayerns Wäldern zwischen 2008 und 2017 durchschnittlich 30 mal pro Jahr gebrannt hat, mit einer Schwankung zwischen sieben und 70 Fällen. Vergangenes Jahr entdeckten die Fliegerstaffeln bayernweit 529 Stellen, an denen sich Rauch entwickelte, 80 davon entpuppten sich als Wald- und Flächenbrände - so viel wie lange nicht.

Ruhland hat die Hand auf den Tragflügel gelegt, eine Propellermaschine vom Typ Piper 28, mit der er derzeit unterwegs ist. In seinem Gebiet haben sie in diesem Sommer bisher einen Brand festgestellt, auf einem Weizenfeld in der Nähe von Wartenberg im Kreis Erding. "Da hat eine Ballenpresse gebrannt", sagt er. Hier ist es bisher vergleichsweise glimpflich verlaufen, anderswo in Bayern sind diesen Sommer bereits hektarweise Wälder niedergebrannt. "Und der August kommt erst noch", sagt Ruhland.

Es geht hinein in die Schaltzentrale der Erdinger, ein kleiner Raum mit Computern und Ordnern. Hier bereiten die Piloten ihre Einsätze vor, erkunden Hindernisse und berechnen den Kurs. In Ruhlands Anfangsjahren begannen die Flugeinsätze frühestens im Juli, erzählt er. "Mittlerweile fliegen wir schon im März oder April zum ersten mal raus." Ein Vorteil zu früher: Lange gab es Flugkarten nur auf Papier, was den Effekt hatte, das etwa eine neu verlegte Überlandleitung nicht darin erfasst war. Bei Flugeinlagen in hundert Metern Höhe kann das gefährlich werden. Mittlerweile benutzt Ruhland eine digitale Karte, die stets aktualisiert wird.

Ruhland ist seit 40 Jahren Pilot und seit 1987 über Südostbayern unterwegs. In all den Jahren hat er eine exklusive Langzeitperspektive auf Südostbayern bekommen. Ruhland erzählt, wie sich die Vegetation im Ebersberger Forst und in den anderen großen Wäldern der Region verändert hat. Er erinnert sich an Sommer, wo es unter ihm grün leuchtete, weil die Bäume vor Blättern nur so strotzten. "Mit der Vegetation sinkt die Waldbrandgefahr", sagt er. Doch seit der Jahrtausendwende sind die Wälder brauner geworden und die Baumkronen röter. Die Trockenheit, Stürme und der Borkenkäfer. Ruhland sagt: "Wer oben ist, sieht mehr."

Es geht zurück vor die Fliegerhalle, wo seine Piper 28 bereit steht. Warum macht er das Ganze? Noch dazu, wo die Piloten der Überwachungsflüge in Bayern ehrenamtlich arbeiten, und nicht wie in anderen Bundesländern dafür bezahlt werden - abgesehen von einer Aufwandsentschädigung? Um ihn und seine Pilotenkollegen zu verstehen, hilft ein Besuch im Cockpit. Dutzende Zeiger und Zahlen hinter Rundgläsern, die alle irgendwas bedeuten. Ein Variometer für die Steigung, ein Geschwindigkeitsmesser in Knoten - und ein Whiskey-Kompass, der so mit Alkohol gefüllt ist und weder gefriert noch riecht. Umso mehr riecht dafür der Sprit, dagegen ist jede Tankstelle ein Duftbaum. Ruhland schnauft tief durch und sagt: "Genau so muss es in einem Flieger riechen."

Mehr als sein halbes Leben hat er diesen Duft in der Nase gehabt. Mittlerweile zieht er einen Fuß nach, "die Hüfte", sagt er, neben dem Alter ein Grund, warum er vor zwei Jahren die Leitung abgab. Kommendes Jahr will er auch den Stellvertreter-Posten abtreten. Das Ende seiner Piloten-Laufbahn? Er sagt: "Wahrscheinlich flieg ich schon noch ein bisserl mit." Dann klettert er in seine Piper 28 und schließt die Tür zum Cockpit.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019
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