Süddeutsche Zeitung

Halloween in Erding:Das Grauen aus dem Koffer

Lesezeit: 3 min

Der Maskenbildner Sascha Kolmikow verwandelt Laiendarsteller in wahre Ungetüme und das Alte Kino an Halloween in eine Geisterbahn.

Matthias Vogel

Koffer auf. Sascha Kolmikow muss eine Gruppe Laien in grauenvolle Zombies verwandeln. Das Alte Kino in Erding soll - pünktlich zu Halloween - am kommenden Freitag und Samstag zur Geisterbahn mutieren. Nicht zu einer gewöhnlichen wie auf einem Rummel, aus der man eher feixend als bewegt herauskommt. "Die größten Machos sollen sagen: Das war heftig."

Realistische Effekte sind gefragt, klaffende Wunden oder aus der Bauchdecke heraushängende Gedärme. In seinem Koffer hat Kolmikow unter anderem Gips und Silikon. Mit dem Gips macht er Abdrücke von der zu verunstaltenden Körperpartie. Die Form spritzt er mit Silikon aus. "Ich arbeite wahnsinnig gerne damit, weil sich das menschliche Gewebe bestens darstellen lässt", sagt er. Nach dem Backen bringt er auf die Silikonschicht die Wunden auf, per Airbrush-Pistole verleiht er seinem Werk den authentischen Anstrich, macht es "blutig" und "eitrig". Koffer zu.

Sascha Kolmikow ist Maskenbildner und hat bereits für zahllose Fernseh- und Kinoproduktionen die Laien verschönert - oder eben das absolute Gegenteil bewirkt. Er gilt auch als absoluter Fachmann für "SFX-Effekte". Während dieser Woche sitzt Kolmikow im Alten Kino mitten in Erding und verscherbelt Halloween-Artikel. "Das ist wie Urlaub für mich", sagt er und erklärt, was SFX-Effekte sind: "Veränderungen, die nicht mit Make-up zu erzielen sind." Etwa, wenn er einen 20-jährigen Darsteller um 60 Jahre altern lassen muss. Oder aber eben, wenn er aus gesunden, ansehnlichen Menschen, Schwerverletzte, Geister, Elfen oder Zombies formt.

Koffer auf. Vor einer Woche noch richtete Kolmikow während der Dreharbeiten zum neuen bayerischen "Tatort" den Toten übel zu. So wie das Opfer mit dem Kopf gegen eine Kante geknallt ist, müsse der Knochen zu sehen sein, habe der Regisseur gesagt. Kolmikow hatte das Drehbuch gelesen und ergänzt: "Am besten gesplittert."

Nicht nur die Geschichte eines Films ist ihm hilfreich, er holt sich auch Rat bei Ärzten und Pathologen, damit seine Effekte möglichst echt wirken. Vor der Tatort-Produktion schminkte er Katja Flint während des Drehs zum Film "Schandmal". Die Auftragsbücher des Maskenbildners sind gut gefüllt. Koffer zu.

Schon mit 15 Jahren, als er ein Praktikum am Theater absolvierte, entdeckte Kolmikow seine Leidenschaft für die Maske. "Da bin ich richtig hängen geblieben", erinnert sich der heute 37-Jährige, der in Erding seine Werkstatt "Endeffekt" eingerichtet hat. Sechs Jahre lang dauerte die Ausbildung zum Maskenbildner. "Drei Jahre Friseurlehre in Ulm, ein Jahr Maskenbildnerschule in Mainz und dann zwei Jahre als Volontär an der Oper in Leipzig."

Nach der Prüfung in Köln blieb Kolmikow gleich dort, weil er zum Film wollte. Klinkenputzen war angesagt, mit der Bewerbungsmappe unter dem Arm. "Schwierige Zeit", sagt er heute, "ich hatte kein Geld für eine Wohnung". Vier Nächte musste er mit einem Trick überbrücken.

Horrorfilme mag Kolmikow nicht

Dabei kam ihm seine Ausbildung gerade recht. Vermietern gaukelte er vor, er müsse ob seiner Tapetenkleister-Allergie vor der Unterzeichnung des Mietvertrages eine "Testnacht" verbringen. Stimmte der Vermieter zu, quartierte er sich mit Schlafsack und Schminkköfferchen ein und pinselte sich vor der Ankunft des Vermieters am nächsten Morgen täuschend echte Pusteln ins Gesicht. "Noch ein bisschen Husten, und mein Leiden war glaubhaft dargestellt", sagt Kolmikow.

Schließlich nahm ihn die Produktionsfirma "Action Concept" unter Vertrag, dort durfte er gleich an der Krimiserie "Der Clown" mitwirken. "Und dann ging's los", so Kolmikow. Den Ritterschlag des Genres erhielt er allerdings später, als er für den amerikanischen Grusel-Schocker "Blood Rain" engagiert wurde. "Du darfst dir bei den Amerikanern keinen Fehler erlauben, sonst bist du weg vom Fenster. Als ich das überstanden hatte, wusste ich, dass ich was kann."

Koffer auf. Der Maskenbildner muss am Freitag aus Laien zunächst Schlottergeister und andere, eher lustige Zeitgenossen aus dem Reich der Toten machen. "Von 14 bis 19 Uhr läuft die Geisterbahn für die Kleinen. Die sollen sich schief lachen."

Dann aber wird es ernst. Für die Version für Erwachsene - sie müssen unterschreiben, dass sie sich bester Gesundheit erfreuen -, die am Freitag von 19 bis 22.30 Uhr und am Samstag von 10 bis 22 Uhr besucht werden kann, wird er seine Darsteller in wahre Ungetüme verwandeln. Auf dem Weg durch den Saal lauern sie den Gruppen auf, die von einem mysteriösen Führer mit Zylinder geleitet werden.

Körperkontakt wird es keinen geben, Kolmikow will mit der Psyche und Phantasie der Besucher spielen. Schaurige Musik wird seine Intention unterstützen. "Ein Zombie hinter Gittern ist noch zu ertragen, aber wie sieht es aus, wenn zwei Schritte weiter das Gitter nicht mehr da ist?" Koffer zu.

Erstaunlich ist, dass Kolmikow keine Horror-Filme mag. "Die Verurteilten" oder Werke von Stephen King seien noch in Ordnung, alles andere eher "krank". Seinen Job hält er für gewöhnlich. Manche Kollegen habe er bitten müssen, doch auf dem Boden zu bleiben. Vor einer allein erziehenden Mutter dreier Kinder gelte es, den Hut zu ziehen, nicht vor der Arbeit beim Film. "Das was ich mache, macht ein Handwerker auch. Koffer auf, Koffer zu. Mehr ist das nicht."

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Quelle:
SZ vom 27.10.2010
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