Süddeutsche Zeitung

Ein Abgeordneter als Wandersmann:"Überwinden und einfach weitermachen"

Lesezeit: 4 min

Johannes Becher aus Moosburg hat den Landkreis Erding eine Woche lang zu Fuß erkundet. Er und kann durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Wandern und Politik erkennen.

Von Regina Bluhme, Erding

Gut 170 Kilometer Fußmarsch hat der Grünen-Landtagsabgeordnete Johannes Becher Anfang August im Landkreis Erding zurückgelegt. Zusammen mit Begleiter Bernhard Hrodek absolvierte der 32-Jährige auf seiner "Schmankerlwanderung" über 30 Stationen. Der Jurist wohnt in Moosburg, ist dort im Stadtrat, zudem Freisinger Kreisrat und seit 2018 als Landtagsabgeordneter für die Landkreise Freising, Pfaffenhofen und Erding zuständig. Ein Gespräch über das Erreichen von Zielen, beeindruckende Begegnungen und die Konfrontation mit mitunter auch schwer verdaulichen Themen.

SZ: Herr Becher, Sie haben einmal gesagt, dass Wandern und Politik einiges gemeinsam haben. Erzählen Sie.

Johannes Becher: Beim Wandern hat man ein Ziel am Horizont vor Augen und man geht Schritt für Schritt bewusst darauf zu. In der Politik ist es ähnlich. Da geht auch nichts von heute auf morgen. Man muss Schritt für Schritt machen und wenn man konsequent dran bleibt, kann man viel erreichen.

Wie kam denn die Wanderroute zustande?

Wir haben im Team gemeinsam die Orte ausgesucht, an denen ich vorbeischauen wollte. Manches lag auf der Hand, manches habe ich auch von Grünen vor Ort erfahren. Und dann ist es auch immer wieder zu Begegnungen gekommen, die man nicht planen kann. Das ist ja das Interessante.

Was hat Sie auf Ihrer Wanderung durch den Landkreis Erding besonders beeindruckt?

Dort, wo Menschen massiv betroffen sind von staatlichen Maßnahmen. Zum Beispiel vom Lärm der A 94. Oder in Berglern: Da mussten wir wirklich zum Reden aufhören, wenn ein Flugzeug vorbeigeflogen ist. Und jetzt haben wir Corona-Zeit, das war ja nur ein Vorgeschmack auf das, was dort normalerweise los ist! Beeindruckt und total begeistert haben mich aber auch die Menschen, die aus innerem Antrieb und Leidenschaft Dinge tun.

Können Sie ein Beispiel für eine solche Begegnung nennen?

Ja. Zum Beispiel die naturpädagogische Tagespflegestätte Semptwichtel von Susanne Hauptmann in Ottenhofen. Das Betreuungskonzept ist so toll umgesetzt dort, da möchte man am liebsten selber wieder ein Kind sein. Oder Manfred Kellner und seine Streuobstwiese mit uralten Sorten in Forstern. Er will was für die Artenvielfalt tun, hat sich ein riesiges Wissen angelesen und bei ihm gefällt mir die Leidenschaft für eine Sache in Kombination mit absoluter Bescheidenheit.

Sie haben die A 94 bereits angesprochen. In Lindum haben Sie unter der Autobahnbrücke Station gemacht.

Wir sind von Dorfen durch den Wald gewandert und als wir aus dem Wald herauskamen, da sahen wir noch keine Autobahn, aber wir hörten es schon dröhnen. Ich wohne in Moosburg, das liegt an der A 92, aber das hier ist wirklich krass. Die Menschen hier haben jahrelang gegen den Bau gekämpft, dann auf die Zusagen der Politik für den Lärmschutz vertraut und jetzt hat sich diese Hoffnung zerschlagen. Das ist sicherlich eine Aufgabe für mich als Oppositionspolitiker, bei der Staatsregierung den Finger in die Wunde zu legen und hinzuweisen: Ihr habt eine Verantwortung für die Menschen. Ein vernünftiger Lärmschutz ist das Mindeste. Da muss was passieren.

Lärm befürchten auch die Anwohner an der geplanten Walpertskirchner Spange, diesmal allerdings vom künftigen Zugverkehr.

Dort haben wir am Bahnhof Station gemacht und uns mit Lokalpolitikern und der Bürgerinitiative getroffen. Der Ausbau der Schiene ist notwendig, aber der Lärmschutz muss gewährleistet sein. Es wurde auch geklagt, über die schwierige Kommunikation mit Töchtern der Bahn. Ich kann das nachvollziehen. Es geht hier auch darum, einen besseren Kommunikationsfaden aufzubauen.

Wie würden Sie denn die Unterschiede zwischen den Landkreisen Freising und Erding beschreiben?

Der Landkreis Freising ist sehr heterogen: Der Süden hat mit Hallbergmoos und Eching S-Bahn-Orte, ist also eher urban. In Richtung Holledau ist der Landkreis dann eher landwirtschaftlich geprägt. Der Landkreis Erding, finde ich, ist noch stärker landwirtschaftlich geprägt. Auch die Landschaft ist anders, das Holzland, das Isental, die Mooslandschaft. Was ich beim Wandern hier so faszinierend fand: Man ist nur 25 oder 30 Kilometer von München entfernt und steht doch mitten in einem landwirtschaftlich geprägten Bereich. Es gibt hier viele richtig schöne Plätzchen!

Unterschwillach hat Ihnen besonders gefallen.

Ja, das ist ein richtig schöner, kleiner Ort. Direkt neben der Kirche unter einem großen Baum hat die Dorfgemeinschaft einen schönen Holztisch mit mehreren Bänken aufgestellt und ich konnte mir richtig vorstellen, wie sich dort die Familien treffen. Wir haben dort jedenfalls eine kurze Pause genossen und da hätte ich gut noch länger sitzen bleiben können.

Mit dem Wetter hatten Sie ja einigermaßen Glück.

Wir hatten es heiß und wir hatten auch Regen. Gleich am zweiten Tag der Wanderung hat es auf dem Weg nach Lindum richtig heftig geregnet. Die Isen ist über die Ufer getreten. Da hieß es dann: Schuhe ausziehen und weiterstapfen.

Aber schon bedrohlich, wie schnell das Wasser dort steigt.

Und genauso schnell war es dann auch wieder weg. Als wir nach Lengdorf kamen, stand bei der Metzgerei noch das Schild, dass die Straße wegen Hochwasser unpassierbar ist, aber da war nichts mehr. Allerdings musste die Feuerwehr bei Embach eine Autofahrerin aus den Fluten lotsen. Das kommt wohl jedes Mal vor, dass ein Autofahrer meint, er schafft es noch, hat mir dann ein Feuerwehrler erzählt.

Ich habe gelesen, Sie haben unterwegs auch einen Haarschnitt verpasst bekommen?

Stimmt. Das war bei Friseurin Andreas Struck in Neufinsing. Ihr Vater ist begeisterter Ornithologe und Hobby-Fotograf, der mir beim Frühstück im Garten seine beeindruckenden Bilder gezeigt hat. An dem Tag war es sehr heiß und Andrea meinte spontan, dass ich ein paar Haare weniger vertragen könnte. Eins muss ich noch sagen: Wir haben hier so wahnsinnig viel Gastfreundschaft erlebt.

Dabei heißt es doch allgemein immer, die Deutschen seien nicht so gastfreundlich.

Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Im Gegenteil. Wir sind an Gartenzäunen vorbeigekommen und dann hieß es: "Buam, wollt ihr ein Bier?" Wir sind oft ins Gespräch gekommen.

Nur eins hat nicht geklappt: Die letzte Etappe von Gaden nach Moosburg wollten Sie im Schlauchboot zurücklegen. Das fiel ins Wasser.

Ja, das ging nicht wegen des Hochwassers. Es gab einige, die uns nach Moosburg fahren sollten. Aber das war mit unserem Stolz nicht vereinbar. Und so haben wir die letzten zwölf Kilometer noch zu Fuß zurückgelegt.

Eine letzte Frage noch, Herr Becher: Haben Sie sich auf Ihrer Wanderung eigentlich eine Blase gelaufen?

Keine einzige! Ich hatte für die Erdinger Wanderung extra in neue Wanderschuhe investiert und die vorher eingelaufen. Das hat sich rentiert. Bei meinen vorherigen Wanderungen durch die Landkreise Freising und Pfaffenhofen habe ich mir jedes Mal Blasen gelaufen, aber man lernt ja dazu mit der Zeit. Da sind wir wieder bei den Gemeinsamkeiten mit der Politik: Man wird immer wieder vor Herausforderungen gestellt, manchmal tut es weh, manchmal kommt es anders, als man denkt - aber man muss sich überwinden und einfach weitermachen.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2020
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