Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Erding:Geschlossenes psychiatrisches Wohnheim statt Schuldspruch

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Ein Gutachter bescheinigt dem Angeklagtem eine fehlende Steuerungsfähigkeit bei den Taten aufgrund seiner jahrelangen schizophrenen Psychose. Der 50-jährige Mann hatte ein Hausverbot am Flughafen ignoriert und in einer Drogerie halblaut "Heil Hitler" gerufen. Die Verhandlung endet mit einem Freispruch.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Ein 50-jähriger Mann ist, obwohl er mehrmals ein Hausverbot am Flughafen missachtet und sich aus einem Laden am Airport mit "Heil Hitler" verschiedet hatte, in allen Anklagepunkten freigesprochen worden. Ein psychiatrisches Gutachten bestätigte dem Angeklagten, der seit ein paar Monaten in einer geschlossenen Abteilung im Klinikum Wasserburg untergebracht ist, eine jahrzehntelange schizophrene Psychose. Zu den Tatzeitpunkten sei seine Steuerungsfähigkeit nicht vorhanden und seine Einsichtsfähigkeit stark vermindert gewesen, sagte ein Gutachter. Er sprach von einem "traurigen Zustandsbericht". Vor Gericht war der Mann in einem Nachthemd erschienen. "Er wollte das so", sagte einer der Polizisten, der den Angeklagten zum Amtsgericht Erding gefahren hatte.

Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Amtsrichter waren sich einig

Dass sich Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Amtsrichter in allem einig sind, kommt eher selten vor. Nach den Zeugenaussagen in diesem Verfahren stand für alle fest, dass der 50-Jährige im April mehrmals von Polizeibeamten erwischt worden war, als er sich am Flughafen München aufgehalten hatte, obwohl ein Hausverbot gegen ihn besteht. Auch, dass er beim Herausgehen aus einer Drogerie am Flughafen einer Angestellten und deren Chefin "Heil Hitler" zwar nicht lautstark, aber für beiden hörbar zugerufen hatte, war nicht strittig. Kunden waren zu dem Zeitpunkt nicht im Laden.

Hausfriedensbruch wird nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu einem Jahr Freiheits- oder Geldstrafe bestraft. Das gilt auch dann, wenn sich einer ohne Befugnis an einem Ort verweilt und diesen nach einer klaren Aufforderung nicht verlässt. Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen - wie der "Heil Hitler"-Ruf - wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Alle Zeugen, ein Mitarbeiter des Flughafen-Sicherheitsdienst sowie mehrere Polizeibeamte bescheinigtem dem Angeklagten, dass er sich, wenn er mal wieder am Airport angetroffen wurde, relativ normal verhalten habe. Er habe nie viel geredet, höchstens mal wegen Schmerzen in den Beinen gejammert. Er habe schon immer ein wenig verwahrlost gewirkt. Fluggäste habe er jedoch nie belästigt. Aber, so sagte es der Sicherheitsdienst-Mitarbeiter, er sei halt kein Fluggast gewesen und am Flughafen deshalb "nicht erwünscht". Man habe den Angeklagten darüber belehrt, die Anzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt und ihn dann zum S-Bahnhof gebracht, damit der den Flughafen verließ.

Auch der Vorfall in der Drogerie lief nach Aussage der Angestellten ruhig ab. Sie habe ihn sofort erkannt, als er in den Laden gekommen sei. Da er am Flughafen Hausverbot hatte, habe sie ihn gebeten, die Drogerie zu verlassen. Doch davon habe er zunächst nichts wissen wollen. Er habe gesagt, das Hausverbot gelte für seinen Bruder, nicht ihm. Worauf sie erwiderte, er soll sie "nicht verarschen" und sie werde jetzt die Polizei rufen. Beim Hinausgehen habe er den Hitler-Ruf gesagt. Vor der Tür habe schon die Polizei auf ihn gewartet.

Für den Gutachter ist die Situation des Angeklagten "sehr bedauerlich"

Für Gutachter Franz Xaver Obermaier, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Rosenheim, ist die Situation des Angeklagten "sehr bedauerlich". Einiges in seiner langjährigen Krankheitsgeschichte liegen im Dunkeln, weil der 50-Jährige wegen seiner schizophrenen Psychose kaum jemanden vertraue und deshalb wenig erzähle. Die Psychose sei bei ihm bereits 1991 in einer seiner vielen, aber oft nur kurzen Klinikaufenthalte diagnostiziert worden. Er fühle sich verfolgt und bedrängt, vor allem von der Staatsmacht, Polizei und Staatsschutz. Er glaube, man habe ihm einen Chip in den Kopf gesetzt, um ihn wach zu halten und zu quälen. Deshalb ziehe er seit Jahren quer durch Bayern, um sich der Verfolgung zu entziehen. Orte wie der Flughafen seien für ihn Rückzugsorte, um der Nachstellung der Behörden zu entgehen. Da er kein Geld habe, und er gegen alle misstrauisch sei, verwahrlose er und lasse sogar sein Bein, das offene Wunde habe, die sogar mit Maden befallen gewesen seien, nicht behandeln. Denn er lehne Medikamente ab, da er befürchte, man wolle ihn damit nur ruhigstellen. Eine Zwangsmedikamentation sei regelmäßig gescheitert. Erst als er zu den Betreuern im Klinikum Wasserburg ein gewisses Vertrauen aufgebaut habe, hab sich der Zustand des Beins gebessert. Seine ganze Situation sei "sehr bedauerlich". Das Beste, was ihm passieren könnte, sei ein langfristiger Aufenthalt in einem geschlossenen psychiatrischen Wohnheim.

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