Süddeutsche Zeitung

Eine Künstlerbiografie:Der Unerkannte

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Nach kleineren Rollen als Filmschauspieler entschied sich Ernst Reinhold, der größte Maler der Welt zu werden. Dass die Pinakothek seinen Nachlass nicht will, bekümmert ihn nicht mehr

Von Sabine Reithmaier

Ernst Reinhold wohnt im achten Stock eines Wohnblocks in München-Forstenried. Über ein Atelier verfüge er im Augenblick nicht, sagt er zur Begrüßung. Sein letztes hat er vor kurzem wegen Abriss geräumt. Aber das kennt er schon. "Diese ewige Flucht und dann wieder die Suche" - das sei anstrengend. Doch so könne er seine Werke eben nicht wirklich zeigen. Die Wohnzimmerwände reichen nur für wenige Bilder. Der Platzmangel hält ihn nicht davon ab, an dem kleinen Arbeitstisch fast täglich zu aquarellieren. Im Nebenzimmer stapelt sich sein restliches Œuvre. Gerollte Leinwände, ungezählte Mappen mit Papierarbeiten, Malerei auf Holz - 6000 Arbeiten dürfte er geschaffen haben, schätzt er. "Eine Strafe, das alles so zu lagern." Erstaunlich, dass er noch etwas findet, wenn die Sammler kommen, von denen er eben erzählt.

Reinhold schenkt Tee ein. Er ist fast 86 Jahre alt, wirkt deutlich jünger und sehr agil. Aussehen sei eine Frage der Geisteshaltung, wehrt er ein Kompliment ab. Und überlegt sofort, ob er für einen Maler vielleicht zu gesund, zu unkünstlerisch, zu wenig verrückt aussehe. Schließlich muss es doch einen Grund geben, dass seine Kunst von der großen Öffentlichkeit nicht bemerkt wird trotz einiger Ausstellungen. "Ich lebe seit 60 Jahren mit diesem Wahrnehmungsproblem", sagt er. Genau genommen seit 1963, als er von einem dreijährigen Aufenthalt aus Schweden als "weltgrößter Maler" zurückkam. "Aber das wusste niemand außer mir." Daran hat sich immer noch nicht viel geändert. Weder existieren Kataloge noch Ausstellungsbesprechungen. Der Grund liegt für Reinhold auf der Hand: Die meisten Fachleute, also Kunsthistoriker und Galeristen, seien keine "Seher", würden die Arbeiten nicht "mit frischem Blick" sichten, sondern nur scheinbar Altbekanntes entdecken. Was Reinhold für falsch hält. Aber was soll's - er zuckt die Schultern. "Wenn meine Sachen in die Welt müssen, kommen sie in die Welt." Und wenn nicht? "Dann kann man sie immer noch verbrennen."

Einen Galeristen in München wollte er sich nie suchen. Lieber in New York. Da klapperte er 50 Galerien ab, keiner wollte einen Blick in seine Mappen werfen. Für sich Werbung zu machen, hält er für primitiv. Und Netzwerken? Pure Zeitvergeudung. Er geht zum Laptop und scrollt durch die inventarisierten Bilder. Landschaften, Blumen, aber in erster Linie malt er mit wenigen Pinselstrichen Menschen, respektive deren Gesichter, einzeln oder in Gruppen. Genau genommen halte er deren Schwingungen fest, sagt er. "Aber esoterisch bin ich nicht."

1973 gewann er mit seinem Team die Weltmeisterschaft im Segeln

An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. "Warum auch, ich weiß, was ich geleistet habe." Der beste wollte er auch in anderen Disziplinen sein. Im Regal ein Foto, das ihn 1972 während der olympischen Segelwettbewerbe in Kiel mit Prinz Juan Carlos zeigt, damals noch Prinz, jetzt ehemaliger spanischer König. Ein Segelfreund, sagt Reinhold. Er selbst hatte die Olympia-Qualifikation in der Bootsklasse Soling knapp verfehlt, gewann ein Jahr später mit seinem Team die Weltmeisterschaft.

Auf dem Schrank steht ein Miniaturmodell eines Unimogs. "Mein Wüstenschiff", sagt Reinhold und zählt die diversen Wüsten auf, die er mit dem Originalfahrzeug durchquert hat. Manchmal monatelang auch ganz allein. Die Nächte verbrachte er auf dem Autodach, starrte in den Sternenhimmel und fühlte sich geborgen.

Anders als in seiner Kindheit. 1935 wurde er in der nordböhmischen Stadt Asch geboren, die Mutter blutjung, einen Vater gab es nicht. Um den Buben kümmerte sich die Oma. Zäh war Ernst Reinhold schon als Zehnjähriger, sonst hätte er es kaum geschafft, von Reichenberg aus ins 300 Kilometer entfernte Asch zu laufen. Die Nazis hatten das Heim, in dem er untergebracht war, angesichts der anrückenden Russen 1945 aufgelöst und die Kinder mit ein paar Mark in der Tasche zu Fuß nach Hause geschickt. Wenige Monate später, im November '45, beschloss er, seine Mutter zu suchen. Er fand sie auch in Bamberg, sah sie erstarren, als er sie, versteckt unter einem Tisch, leicht ins Bein zwickte. "Den entsetzten Blick - ich habe ihn nie vergessen." Lebenslang habe sie mit ihm gehadert, sagt Reinhold, ihm vorgeworfen, ihr Leben zerstört zu haben. Damals steckte sie ihn "zum Glück" (Reinhold) in ein Klosterinternat in Herzogenaurach. Dort fiel auf, dass der Bub gut zeichnete und man empfahl ihm, Architekt zu werden. Doch Reinhold entschied nach einer Maurerlehre in München, sich an der Falckenberg-Schule zu bewerben.

Statt der geforderten drei hatte er nur zwei Rollen vorbereitet, improvisierte als drittes ein Gespräch mit seinem Vater über die Aufnahmeprüfung. "Der Applaus war frenetisch." Drei Monate später zerstörte ein Brief sein Hochgefühl. Man könne nicht garantieren, dass seine berufliche Laufbahn von Erfolg gekrönt sei, hieß es darin. "Aber da hatten sie natürlich den falschen rausgeschmissen." Er beschloss, beim Film Karriere zu machen, kletterte, nachdem ihm der Pförtner den Zutritt verweigert hatte, kurzerhand über den Zaun der Bavaria-Filmstudios und wurde als Komparse in "Sauerbruch" (1954) verpflichtet. Für 15 Mark saß er als Student im Hörsaal. Nach zähen Anfängen - in der "Geierwally" spielte er den Hüterbuben Bartl, im "Jäger von Fall" einen der Wilderer - folgten größere Rollen. Es lief nicht schlecht, auch wenn er in dieser Sparte seinen eigenen Anspruch, der Beste zu sein, nie erfüllte. Immerhin spielte er 1958 den Klassensprecher im Film "Der Pauker" mit Heinz Rühmann. Und im Spionagefilm "Rommel ruft Kairo" erschoss er sich als Funker Sandy am Schluss, um nicht den Briten in die Hände zu fallen.

Noch war er kein Maler. Das änderte sich erst, als er 1960 nach Schweden fuhr. Was als Urlaub geplant war, wandelte sich in einen dreijährigen Aufenthalt. Er lernte Bill Coleman kennen, einen amerikanischen Maler. Der animierte ihn, selbst mit dem Malen zu beginnen. Drei Jahre später kam Reinhold zurück, ein Maler zwar, aber völlig pleite. Keine Frage, dass er Geld verdienen musste. Wieder arbeitete er sich hoch, absolvierte ein Volontariat in einem Kopierwerk, arbeitete mit Kameras, lernte Filmfotografie und machte Kamera- und Regieassistenz, beispielsweise für Harry Buckwitz, damals Generalintendant der Städtischen Bühnen Frankfurt. Fotografierte Kunstkataloge für Auktionshäuser, dokumentierte filmend Vernissagen. Reiste unentwegt, veröffentlichte seine Fotos in Zeitschriften. Und malte und malte und dachte sich Projekte aus.

Alle 200 Kilometer wollte er in der Wüste ein Bild malen und einen Spiegel aufstellen

Seine Vision einer Wüsten-Galerie versuchte er zweimal zu verwirklichen. Der Plan: alle 200 Kilometer zwischen den Sanddünen ein Bild zu malen, einen himmelwärts gerichteten Spiegel dazu zu stellen und das weitere Wind und Sand zu überlassen. Der erste Versuch 1996 in der Wüste Mauretaniens scheiterte am falsch berechneten Treibstoff. Er musste umkehren. Für den zweiten Versuch suchte er 2003 nach einem Sponsor, fand den auch. Doch die Pinakothek der Moderne, um ein Gutachten gebeten, fand den Grundgedanken zwar faszinierend, nicht aber die "Besetzung der Wüste durch Spiegel".

Überhaupt die Pinakothek. Will seinen Nachlass nicht und wagte es 2004 auch, die Installation "Im Schöpfungsstrom" abzulehnen, die Reinhold gern in der Großen Rotunde aufgebaut hätte. Stahlseile sollten von der Kuppel aus wie Strahlen in die Tiefe führen. Zwar war der Absagebrief ausnehmend liebenswürdig, aber Reinhold verlor die Lust, sich mit den "Kunstbeamten mit Kaktus am Fenster" herumzuärgern. "Da habe ich jetzt genug Handstände gemacht." Dass ihn diese in all ihren Briefen ganz vorsichtig darauf aufmerksam machen, dass andere Künstler lang vor ihm ähnliche Projekte verwirklichten, erreicht ihn nicht. Die Frage, ob er mit den Staatsgemäldesammlungen vielleicht einige Etagen zu hoch angesetzt hat, verneint er jedenfalls. "Ich will der beste Maler sein. Also gehöre ich da auch hin."

Auch als Bildhauer hat er sich versucht. Aber da gebe es keinen Markt, sagt Reinhold und philosophiert darüber, dass jeder Künstler ein Stern sei, es gebe eben große und kleine. Vielleicht sei er mit seinen Gedanken der Menschheit eben zu weit voraus. "Dann wird man nicht erkannt." Entscheiden darüber werde die Zeit, sagt er und klappt sein Laptop zu. Und falls das nicht mehr zu seinen Lebzeiten passiert? "Ist es auch in Ordnung."

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SZ vom 27.02.2021
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