Süddeutsche Zeitung

Ehrenamtliche Helferin für Flüchtlinge:"Das darf eine Stadt wertschätzen"

Lesezeit: 3 min

Wie kommt das Danke-Konzert bei den Helfern an? Marina Lessig arbeitet seit Wochen im 24-Stunden-Betrieb. Sie berichtet von der Situation am Münchner Hauptbahnhof.

Interview von Inga Rahmsdorf

SZ: Frau Lessig, wie ist aktuell die Lage am Hauptbahnhof? Werden überhaupt noch Helfer gebraucht?

Marina Lessig: Ja. Jetzt ist es für uns sehr ruhig. Diese Woche sind etwa 2000 bis 2500 Geflüchtete angekommen. Uns wurde gesagt, dass bis zum 20. Oktober nicht mit einem Anstieg der Zahlen zu rechnen sei. Deshalb fahren wir aktuell einen sehr sparsamen Betrieb mit wenigen Helfern. Nichtsdestotrotz telefonieren wir die Helfer immer wieder durch. Wer sich online für eine Schicht eingetragen hat, muss auch wirklich kommen.

Arbeiten Sie immer noch im 24-Stunden-Betrieb?

Am Hauptbahnhof haben wir immer einen 24-Stunden-Betrieb. In der Notunterkunft in der Denisstraße ist vor allem nachts was los. Deswegen haben wir dort jede Nacht eine Bereitschaft vor Ort. Wir versuchen vorher auszuloten, ob und wie wir aktuell gebraucht werden. Wenn es ruhiger ist, ist es dann eher ein Bereitschaftsdienst von zu Hause. Auch die Richelstraße ist im Stand-by-Betrieb, dort haben Helfer die letzten Tage unser Lager aufgebaut. Aber wir gehen davon aus, dass die Situation vom 20. Oktober an wieder anders sein wird.

Das Konzert soll ja auch ein Dank an die Helfer sein. Kommt es so bei Ihnen an?

Es ist gut, auch mal gemeinsam zu feiern und zusammen was zu erleben, was über das Engagement hinausgeht und die Gruppe stärkt. Wir haben ein Kontingent von etwa 3500 Karten erhalten, die wir ausgegeben haben und die gingen auch definitiv nur an Helfende. Ein kleines Kontingent haben wir auch an die Polizeistellen in der Nähe der Einrichtungen gebracht. Sie haben auch großen Einsatz geleistet.

Es gab auch Kritik, dass die Stadt die 150 000 Euro besser anders für die Flüchtlingshilfe hätte investieren können.

Damit könnte man etwa zwei Vollzeitstellen von Fachkräften für ein Jahr finanzieren. Wir haben 5000 Einzelpersonen in einem Monat gemanaget, etwa 17 000 Münchner haben Sachspenden geleistet. Das darf eine Stadt wertschätzen. Das Konzert ist eine nachhaltige Investition.

Wird es nach so vielen Wochen langsam schwieriger, Helfer zu motivieren?

Nein, eher im Gegenteil. In der dritten Woche habe ich öfter mal von Leuten gehört, dass sie krank sind oder sich ausruhen müssen. Aber dadurch, dass es jetzt so ruhig war, konnten sich alle erholen. Das hat uns wieder Kraft gegeben. Und weil wir die Strukturen verbessert haben, können wir auch ressourcenschonender arbeiten.

Also sind Sie optimistisch, dass sich weiterhin genug Helfer finden werden?

Ja. Zwischendurch war es mal etwas schwierig, die Leute zu akquirieren. Nicht weil sie unmotiviert waren, sondern weil viele dachten, dass sie gar nicht mehr gebraucht werden. Aber es kommen ja trotzdem noch 400 Flüchtlinge am Tag an, die Hilfe brauchen. Wir haben die Pause auch genutzt, um uns neu zu strukturieren und zu professionalisieren. Dank der Supervision der Caritas konnten wir auch evaluieren, was gut und was schlecht gelaufen ist. Die Caritas hat uns auch kostenlos ein Büro zur Verfügung gestellt und einen Raum für Supervision. Und der Stadtrat hat ja für die nächsten drei Jahre je 100 000 Euro für Unterstützung und Erhalt der Initiativarbeit bereitgestellt. Davon wollen wir zwei Teilzeitkräfte für unser Büro und die Logistik einstellen. Und haben dann immer noch ein Budget, um die Basis unserer Arbeit zu finanzieren.

Wird aus der spontanen Initiative nun eine Organisation mit fester Struktur?

Eigentlich haben wir seit der zweiten Woche eine feste Struktur, die wir jetzt optimieren konnten. Wir haben nun ein Treffen der Schichtleiter organisiert. Da waren 50 Leute, die quasi Miniführungsposten übernommen und die anderen Helfer angeleitet haben. Da haben wir gesehen, dass wir definitiv das Engagement weiterfahren wollen.

Spüren Sie einen Stimmungsumschwung um Sie herum?

Ja, man merkt schon, dass die rechte Szene selbstbewusster und lauter wird. Deswegen ist der Helferbereich im Hauptbahnhof auch weiter in den abgesperrten Bereich reingerückt. Ich glaube nicht, dass sie mehr geworden sind. Aber die Wand aus Leuten, die da standen und applaudierten, die stehen da nicht mehr und dadurch trauen sie sich weiter nach vorne. Es gab aber noch keine Helfer, die sich bedroht gefühlt haben. Und wir haben auch ein gutes Verhältnis zur Polizei aufgebaut, man kennt sich und vertraut einander. Dennoch heißt es jetzt für die Münchner auch wieder: zusammenstehen gegen rechts, unter anderem auf Demos.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2687341
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.10.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.