Süddeutsche Zeitung

Viel Licht und freundliche Atmosphäre:Rutsch in die Kindheit

Lesezeit: 4 min

Das Haus der Familie Hagenmaier in Oberpframmern überzeugt mit viel Licht, schlichtem Holz und ausgefallenen Details

Von Franziska Spiecker, Oberpframmern

Ein Anfang 40-jähriger Mann stand vor einer Holzrutsche in einem alten Münchner Spielwarengeschäft, im Gepäck hatte er zwei Kinder als Alibi, in den Händen ein Maßband als Werkzeug. Kurz darauf kam der Sicherheitsdienst - zu ungewöhnlich war offenbar die Situation, auch wenn Heinz Hagenmaier gar nichts Verwerfliches im Sinn hatte: Der Vater, lange in der kirchlichen Jugendarbeit tätig, wollte sich auch nach seinem Jobwechsel ein bisschen das Kindsein bewahren. Er träumte von einer Rutsche in seinem neuen Haus - doch die Umsetzung der Idee war schwerer als gedacht.

Mittlerweile ist sein Traum wahrgeworden: Aus dem Dachgeschoss des Neubaus in der Steinseestraße 8d in Oberpframmern schlängelt sich eine etwa fünf bis sechs Meter lange Holzrutsche in das Erdgeschoss. Ein zentrales, wenngleich nicht das einzige Highlight auf dem 500 Quadratmeter großen Grundstück, das die vierköpfige Familie Hagenmaier seit einem guten halben Jahr bewohnt. Mit geschickt ausgerichteten Türen und Fenstern und zahlreichen schlichten Holzelementen bietet der Ziegelbau, entworfen von Peter Voith beziehungsweise gleichnamiger Architektur und Stadtplanung unter Mitarbeit von Quirin Stoiber, viel Licht und eine freundliche Atmosphäre. Kein Wunder also, dass das Einfamilienhaus Teil der diesjährigen Architektouren ist und am Sonntag, 30. Juni zwischen 10 und 17 Uhr für alle Interessierten seine Türen öffnet.

Und diese, genauer die Haustür, birgt auch gleich das erste besondere Detail, das dem Besucher auffällt, wenn er aus dem Norden über den schmalen Privatweg auf das Haus der Hagenmaiers zugeht: Aus der Wand, die eigentlich in Richtung Westen zeigt, ist an der Stelle des Eingangs ein kleines Eck weggeschnitten, sodass die Haustür und das darüberliegende Fenster nach Nordwesten in Richtung Auffahrt weisen und das Haus fünf statt vier Ecken besitzt. "Wir wollten, dass sich Tür und Fenster am Eingang dem Ankommenden zuwenden", erklärt Architekt Voith.

Tritt man durch die einladende Tür, fällt der Blick zuerst auf die Holzrutsche. Als sie mit dieser Idee an ihren Architekten herantraten, habe dieser die gleichen zwei Fragen gestellt wie nach ihm noch eine ganze Reihe an Leuten, berichtet Bauherrin Susanne Hagenmaier: "Eine Rutsche, aha, außen, oder?" Und: "Ach, für die Kinder, oder?" Entgegen der Erwartung lautete die Antwort in beiden Fällen: Nein. Innen sollte sie sein und auch für Erwachsene ausgerichtet, doch lange fanden sie keine geeignete Firma für den Bau einer solchen Holzrutsche, erzählt Susanne Hagenmaier - bis ihr Mann und Co-Bauherr sich auf besagte Recherche in drei ältere Münchner Geschäfte mit Rutsche begab und die Architekten über diese schließlich den Nachfolgebetrieb einer der damaligen Rutschenfirmen ausfindig machen konnten.

Susanne Hagenmaier steht direkt neben der Rutsche, die Wände um sie herum sind weiß, der Boden und die Treppe aus Holz, wie auch im anliegenden Wohn- und Essbereich. Dieser ist in gleich zweierlei Hinsicht sehr offen gestaltet: Einerseits sind Wohnzimmer, Esszimmer und Küche ohne Türen verbunden, einzig der Kamin trennt, verpackt in eine etwa 1,60 Meter hohe, in den Raum hineinragende Wand, den Wohn- ein wenig vom Essbereich ab. "Die offene Küche ist etwas, das wir sehr lieben", sagt Susanne Hagenmaier. "Wenn Gäste da sind und mein Mann kocht oder ich danach die Küche aufräume, ist es immer total schön, dass man sich nicht in einen anderen Raum verabschieden muss, sondern sich dabei unterhalten kann."

Zudem schaffen auch die Fenster eine offene Atmosphäre: Bodentief säumen sie fast die gesamte Ost- und Südseite des Wohn- und Esszimmers, erfüllen es mit Licht und geben den Blick in den Garten frei, wo eine Katze mit Maus im Mund vorbeiflitzt. Schiebeläden ermöglichen bei Bedarf Sichtschutz und sind wie so vieles in dem Haus aus Holz. "Uns war es wichtig, eine schlichte Gestaltung vorzugeben, die aufs Land passt, aber nicht alte historische Gebäude imitiert", sagt Architekt Voith.

Neben der Rutsche ist ihm zufolge auch das Lesefenster ein Highlight des Neubaus. Der mit Kissen und Fell ausgelegte Fenstererker befindet sich am Anfang des Dachgeschosses und ist laut Susanne Hagenmaier "einer dieser genialen Kniffe unserer Architekten". Die hätten die nach innen geklappte Ecke am Hauseingang in dem nach außen geklappten Lesefenster wieder aufgegriffen. Durch die Drehung würde man nicht nach Osten auf das Neubaugebiet, sondern nach Südosten über die Felder und Wälder in den Himmel schauen: "Man hat wirklich das Gefühl, da ist nichts, und das ist einfach ein Erholungseffekt, der ist nicht zu beschreiben."

Es ist hell im Flur, der sich vom Fenstererker über die Schlafzimmer bis zum Bad erstreckt. Verantwortlich dafür sind an der Nordseite angebrachte Dachflächenfenster, die nebenbei auch die nach Süden gerichteten Schlafräume beleuchten: "Hier kann man aufmachen", sagt die Bauherrin, während sie die Holzklappe über der Zimmertür ihres Sohnes öffnet. Zum Vorschein kommt ein Glasfenster, warme Sonnenstrahlen fallen von oben ins Zimmer.

Während Susanne Hagenmaier durch ihr Haus führt, ist ihr die Zufriedenheit deutlich anzusehen. "Überall im Haus stecken unsere Ideen, aber die waren ein vollkommen ungeordnetes Sammelsurium", erklärt sie. Die Architekten hätten daraus ein Haus gemacht, für richtig gute Ideen und deren Umsetzung gesorgt und die Bauleitung hervorragend gemeistert: "Man hört normalerweise immer nur, dass es länger wird und teurer, aber bei uns ist weder das eine noch das andere eingetreten." Der Bau sei innerhalb eines knappen Jahres fertig geworden, zwei Wochen früher als im ersten Bauzeitplan festgelegt, berichtet Susanne Hagenmaier.

Und auch die Rutsche bleibt hinter den Erwartungen nicht zurück, so die Bauherrin: "Dieses Gefühl, was sich mein Mann erhofft hat, dieses sich so ein bisschen Kindheit zurückholen, das tritt wirklich ein. Weil es ist an einer Stelle auch irgendwie steil, da hat man dann so ein Kribbeln wie beim Achterbahnfahren und du denkst: Oh, super!"

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SZ vom 28.06.2019
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