Süddeutsche Zeitung

Vaterstetten:Ortszentrum statt Ortsumgehung

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Die Bürgerinitiative "Verkehr auf kurzen Wegen" kämpft seit Jahren gegen die von der Gemeinde Vaterstetten geplante Umfahrung des Ortsteils Parsdorf. Die Wortführer der Initiative schlagen Alternativen vor

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Warum für etwas zahlen, was man auch umsonst bekommt? So lautet im Kern die Kritik von Günter Glier an der von der Gemeinde Vaterstetten geplanten Umgehungsstraße. Sein Ansatz ist, dass die Umfahrung in der geplanten Form durch den anstehenden Umbau des Autobahnkreuzes unnötig würde, das frei werdende Geld könnte die Gemeinde dann in andere Projekte investieren.

Dass Vaterstetten auf die Umfahrung Weißenfeld-Parsdorf verzichten sollte, ist keine ganz neue Forderung Gliers, es ist eher sein "ceterum censeo". Zwar sind auch die Grünen, deren Ortsvorstand Glier angehört, gegen den Bau der Straße (siehe Kasten), er hat darüber hinaus auch eine Bürgeriniative initiiert. Der Name ist Programm: "Verkehr auf kurzen Wegen" heißt die Initiative, der neben Glier auch seine Mit-Vorständin bei den Grünen, Monika Kalberlah angehört. Bei einem Pressegespräch, wenige Tage nach dem die Regierung von Oberbayern im Planfeststellungsverfahren die Trasse genehmigt hat, stellten sie nun vor, wie es weitergehen könnte.

Klagen könne er gegen die Planfestestellung nicht, so Glier, er sei schließlich nicht direkt betroffen. Er schließt aber auch nicht aus, dass einige der Landwirte im Vaterstettener Norden diesen Weg gehen werden, denen die Besitzeinweisung droht. Diese ist zwar keine Enteignung - das Wort war in der Vergangenheit in Zusammenhang mit der Umfahrung oft gefallen - sondern eine Art Zwangsverkauf, an dem laut Glier die jetzigen Eigentümer der Grundstücke aber kein Interesse haben. Glier hält es durchaus für möglich, dass der Bau der Straße an solchen Klagen scheitern könnte - oder diese in ein teures Stückwerk verwandelt.

Hintergrund ist eine vor gut zehn Jahren mit dem Investor des Gewerbegebietes Parsdorf II abgeschlossene Vereinbarung. Dieser beteiligt sich an der Umfahrung mit einem Betrag von 4,5 Millionen Euro, allerdings nur, wenn die Straße bis Ende 2023 fertig ist. Genauer: Der Abschnitt rund um Parsdorf. Diesen will die Gemeinde nun zuerst fertigstellen lassen. Ob danach der Abschnitt für Weißenfeld gebaut wird, bezweifeln inzwischen nicht mehr nur Glier und seine Bürgerinitiative oder die Grünen. Auch unter den Befürwortern der Umfahrung wird eine Pause zwischen den beiden Bauabschnitten nicht mehr ausgeschlossen, allerdings stets verbunden mit dem Hinweis, irgendwann werde das Projekt schon komplettiert.

Woran Glier seine Zweifel hat, die Bürgerinitiative warnt schon seit Jahren vor einem Worst-Case-Szenario: Die Gemeinde beginnt mit dem Abschnitt Parsdorf, um rechtzeitig bis 2023 damit fertig zu werden, um den Zuschuss zu kassieren. "Mit allen Klagen und Einsprüchen wird es aber nichts bis 2023", sagt Glier, auch die trotz Corona sehr vollen Auftragsbücher der Baubranche könnten zu Verzögerungen führen. Falls aber der Zuschuss ausfällt, müsste trotzdem die begonnene Straße fertiggestellt werden, dann um einen für die Gemeinde um 4,5 Millionen Euro erhöhten Anteil. Der sich weiter erhöhen könnte durch nachträgliche Entschädigungszahlungen an die Landwirte.

Der zweite Abschnitt rund um Weißenfeld würde dann nicht mehr gebaut, ist sich Glier sicher - genau wie viele andere Vorhaben in der Gemeinde. Er schlägt daher vor, mit der Umfahrung gar nicht erst zu beginnen: "Die Gemeinde hätte mehr Geld, wenn sie nicht unsinnige Straßen baut". Statt selber zu bauen, solle man bauen lassen. Er bezieht sich dabei auf Pläne der Autobahndirektion für das Kreuz München Ost. Dabei wird auch über eine Verlegung der Kreisstraße EBE 4 nachgedacht. Eine Variante wäre, die Straße südlich von Weißenfeld unter der A99 zu führen und bei Feldkirchen auf die B 471 münden zu lassen. Dies wäre ziemlich genau die Weißenfelder Südumfahrung mit der Mitte der 1980er die Umgehungsplanungen für die nördlichen Ortschaften begonnen haben.

Das Geld könnte man stattdessen in eine neue Bücherei investieren, schlägt Kalberlah vor und zwar eine, die in der Nähe einer Schule ist - jene an der Wendelsteinstraße. Der Plan, die Bücherei in der Nähe des aktuellen Standortes - dem ehemaligen Schulgelände an der Gluckstraße - neu zu bauen, sei nicht sinnvoll, sagt auch Glier. Er hat darum eine kritische Stellungnahme zum Bebauungsplan Gluckstraße eingereicht. Zum einen liege die Bücherei zu weit von der neuen Schule entfernt, zum anderen sei dies - ähnlich wie die Umfahrung - Geldverschwendung. Schließlich ist rundrum ein dichtes Wohngebiet geplant, würde die Bücherei nach Vaterstetten verlegt, könnte man für das Schulgrundstück viel mehr Geld erzielen.

Das man in einen Neubau neben dem Rathaus investieren solle, fordern Glier und Kalberlah. Wo die ehemaligen Feuerwehrgaragen stehen, könnte man eine Rathaus-Erweiterung mit dem seit Jahren gewünschten Veranstaltungssaal und einer neuen, größeren Bücherei bauen. Wie wahrscheinlich es ist, dass seine Ideen Gehör finden? Glier übt sich in Optimismus, es sei doch alles eine Frage des gesunden Menschenverstandes.

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SZ vom 31.07.2020
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