Süddeutsche Zeitung

Video aus Vaterstetten:Von Rinftln und Nebel

Lesezeit: 3 min

Schauspieler Thomas Maria Peters spürt mit einer Online-Lesung dem Heimatbegriff nach.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

Es gibt Fragen, die harmlos klingen und doch für Zündstoff sorgen. "Wo kommst du her?", ist eine davon - längst nicht nur im Dialog zwischen Eltern und Nachwuchs morgens um halb drei. Aber ist die Herkunft einer Person, die Gegend, mit deren Dialekt sie sozialisiert wurde, automatisch gleichbedeutend mit "Heimat"? Was macht diese aus? Damit beschäftigt sich Schauspieler Thomas Maria Peters in seinem Programm "Entschuldigung, wo geht's denn hier nach Hause?". Weil der Baldhamer seine literarische Spurensuche aktuell nicht vor und mit Publikum aufführen kann, hat er 57 Minuten davon auf seinen Youtube-Kanal gestellt - Premiere war am Samstag.

Das Ergebnis: ein echter Genuss! Zu verdanken ist dies neben der perfekten Kulisse - gedreht wurde in der menschenleeren Vaterstettener Gemeindebücherei - vor allem Peters' "Elan, Engagement und Freude" mit denen er, wie Büchereileiterin Patrizia Schukowski treffend bemerkt, an seine Veranstaltungen herangeht. Von Anfang an ist dem vielseitigen Mimen und Regisseur das Vergnügen anzumerken, mit dem er die Fundstücke seiner akribischen Beschäftigung mit der Materie präsentiert. Etwa die kuriosen Ergebnisse der ersten Schlagwortsuche. Oder die Verortung von "Heimat", die, glaubt man Theodor Storm, in Husum liegen müsse, während Hermann Hesse sie im Schwarzwald ansiedelt und Joseph von Eichendorff generell "hinter den Bergen".

Gut möglich, dass der von Jörg Maurer kreierte "Wurchterdinger Schorschl aus Zwickhartl-Kretzenwaging" das genauso sieht. Sein Auftritt bildet den gelungenen Einstieg in die Lesung aus "Bayern für die Hosentasche", ist aber längst nicht ihr Höhepunkt. Der nämlich spielt in einem Wirtshaus, wo ein Ortsfremder "Rinftln" bestellt. Nicht nur beim Gast, sondern auch bei den Zuhörern steigert sich minütlich die Spannung, woraus das Gericht wohl bestehen möge. Der Ausgang der Szene sei hier nicht verraten, nur so viel: Kaum zu glauben, dass ein anderer als Autor Maurer höchstselbst dessen köstlich-treffende Beobachtungen und vor allem den zwerchfellerschütternden Schlagabtausch mit der Kellnerin so plastisch vortragen kann. Dem gebürtigen Esslinger Peters jedoch gelingt das einwandfrei.

Später gibt es eine zweite Kostprobe seiner Begabung für Dialekte. Die Vorlage stammt aus "Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht" von Dieter Moor (heute "Max Moor"). Der Autor nimmt dabei die Heimatsuchenden mit nach "Amerika" - in Brandenburg. Im Mittelpunkt steht wieder das Gespräch mit einer Frau - diesmal einer strengen Kittelschürzenträgerin, in deren Laden der Ich-Erzähler Zutaten für sein Frühstück erwerben will. Auch hier: voller Körpereinsatz bei Peters. Und während die Dame mit dem "ham-wa-nicht-Gesicht" immer ungehaltener wird, steigt der Gute-Laune-Pegel der rund 70 Internet-Premierengäste deutlich.

Das lässt sich gut an den Chat-Kommentaren ablesen - "ich muss so laut lachen, die ganze Zeit". Die unmittelbare Rückmeldung ist eine der Stärken dieser Präsentationsform, genauso wie die stimmungsvollen Einspieler im Video. Ebenfalls super: informative Texttafeln. Auslöser ist der Gedanke, dass auch Sprache für "Heimat" eine wesentliche Rolle spielt, sowie die Aussage des Vertreters einer Partei, "die mir persönlich gedanklich jetzt nicht so nahesteht", wie Peters süffisant präzisiert. Darin geht es um Angst vor "Sprachpanscherei in Zeiten von Massenzuwanderung". Das allerdings führt der Schauspieler so gekonnt ad absurdum, dass man sich die Stelle wieder und wieder ansehen könnte.

Verblüffend, dazu ironisch und ein wenig melancholisch geht es auch bei Horst Evers' "Für Eile fehlt mir die Zeit" zu. Dort wird sehr deutlich, dass die Herbstnebel, die offenbar Teil der niedersächsischen DNA sind, auch etwas durchaus Beruhigendes haben können. Bevor er mit einem Gedicht von Bertolt Brecht schließt, lässt "Reiseführer" Peters noch John Green mit "Margos Spuren" zu Wort kommen. Dafür nimmt er das Auditorium mit in die "echten" USA, wo es eine höchst erstaunliche Entdeckung macht: Um Plagiate nachweisen zu können, hatten Kartografen einst ausgedachte Namen in ihren Plänen versteckt, etwa "Agloe, New York". Den Ort gab es erst gar nicht, dann aber doch - aufgrund der touristischen Nachfrage.

Nicht nur an diesem Beispiel sieht man, dass die Erde voller Angebote dessen ist, was "Heimat" sein könnte. Wenn wir es schaffen könnten, sie anzunehmen, wären wir einen großen Schritt weiter - so das Fazit einer höchst abwechslungsreichen Lesung samt klugen Betrachtungen von Thomas Maria Peters.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2020
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