Süddeutsche Zeitung

Tosender Applaus:Klanglicher Vollrausch

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Der "Bairisch Diatonische Jodelwahnsinn" zeigt im Anzinger Weinbeisser, wie zeitlos Volksmusik sein kann

Von Ulrich Pfaffenberger, Anzing

Bevor es einen Namen dafür gab, hat die Tradition des Musikkabaretts in der alpenländischen Musik schon ihren Anfang genommen. Überall, wo Gstanzl oder Jodler gesungen werden, haben ironische, spöttische, kritische oder gar hinterfotzige Töne einen beachtlichen Anteil am überlieferten Gut. Zu denen, die diese Tradition weitertragen und fortentwickeln, gehört seit geraumer der Zeit der Bairisch Diatonische Jodelwahnsinn, bei dem kein Konzert dem anderen gleicht - so, wie die Welt von heute eine andere ist als jene von gestern. Dass das Trio, angeführt von Sänger und Ziach-Meister Otto Göttler, zum Söderschen Kreuz genauso Worte und Melodie findet wie zum saudischen Waffen-Deal oder zur populistisch entflammten Verirrtheit mancher Zeitgenossen, ist Prinzip, aber kein Zwang. Die Freude am Musizieren und die Teilhabe des Publikums an dieser klangvollen Lebenslust gehört eben auch ins Gasthaus. Was zu einem wechselvollen, lebhaften und mitreißenden Konzert führt, etwa im Anzinger Weinbeisser.

Als natürlicher Verstärker für das unplugged auftretende Trio erweist sich die renovierte Kleinkunststube. Die Begradigung des Raums tut der Klangwirkung gut, bei großvolumigen Instrumenten wie der Harfe und dem Kontrabass multipliziert sich der Resonanzraum. Gleichzeitig klingen die Höhen, etwa bei Blockflöte und Trompete, reiner und schärfer. In der Summe führt das zu einem satten Sound, dem auch die menschlichen Schallschlucker eines vollbesetzten Saals nichts Dämpfendes mehr anhaben können. Für den Auftritt in Anzing bedeutete das ein sinnenfrohes Gute-Stube-Klangbild, gerade weich genug für die volksmusikalischen Elemente und mit ausreichend Reibungsflächen fürs Derblecken.

Dass es das Trio mit dem "bairisch" im eigenen Namen nicht puristisch nimmt, geschenkt. Es entspricht dem Selbstverständnis dieses Ensembles, auch musikalisch eine Integrationspolitik gutzuheißen, die zum Aufbrechen von Horizonten und zur Erweiterung der Wahrnehmung führt. Weshalb die gelegentlichen Ausflüge in die Türkei oder nach Irland, die italienischen Einsprengsel und die französischen Eskapaden ihrer Musik auch anstandslos als Zeugnis jener "liberalitas Bavariae" durchgehen, die engere Geister gern für sich beanspruchen, aber selten leben. Auf diatonischem Weg instrumental ins Bairische übersetzt, erweisen sich diese Melodien als weiß-blaue Weltmusik der lockersten Art - also uneingeschränkt wirtshaustauglich.

Den Charme und den Tiefgang der Musik macht aus, dass dieses Trio zwar unisono konzertiert, sich aber aus "aufgeladenen" Teilen zusammensetzt und so Spannungsfelder erzeugt, zwischen den klanglich kräftig die Funken fliegen. Sollte es zum Beispiel jemanden geben, der daran zweifelt, dass man rotzfrech Harfe spielen kann, dem sei eine Begegnung mit Geli Huber empfohlen. Wenn sie mit der Spielhand vom "Knie" der Harfe zur Säule durchzieht, dann erblasst mancher Boogie-Woogie-Pianist vor Ehrfurcht ob der Kraft und Fülle, die da von den Saiten springt. Es sind dies die Momente, in denen die versprochene Diatonik in einen klanglichen Vollrausch übergeht, dessen betörender Wirkung sich niemand entziehen kann. Dass Huber auch am Hackbrett und mit Blockflöte und Maultrommel "bella figura" macht, gibt dem Ensemble zusätzliche Bandbreite, genauso wie Göttlers gelegentlicher Griff zur Trompete. Bei Kontrabassist Toni Andrelang wiederum überzeugt seine elegante und versierte Spielweise, die mit zielsicherem Griff auch die hohen Lagen zum Klingen bringt. So wie er in klassischer Manier den Bogen einsetzt und Melodien interpretiert, liefert er formvollendeten Tiefsinn fürs Klangbild und schwebt zugleich immer wieder mal über den kräftigen Rhythmen von Harfe und Ziach.

Es macht den immensen Reiz des Trios aus, dass es in immer wieder neuen Kombinationen zusammenkommt, ohne dass jemand die Bühne verlassen hätte. Manchmal sind schon ein paar Takte vergangen, bis vom Ohr zum Gehirn die verwunderte Wahrnehmung vordringt, dass sich das auf einmal ganz anders als noch gerade eben anhört. Nur um dann zu erkennen, dass neue Instrumente im Spiel sind. Auch eine Kunst - die das Publikum genauso bewegt wie die kabarettistischen Texte und die Schnurren und Geschichten mitten aus dem Leben, die echte Volks-Musik ausmachen. Dafür tobender Applaus.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2019
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