Süddeutsche Zeitung

Theaterfreunde Forstinning:Wohngemeinschaft der besonderen Art

Lesezeit: 3 min

Erfolgreiche Premiere von "Tote Frauen trinken nicht" im Rupert Mayer Haus

Von Michaela Pelz, Forstinning

Eine Wohnung zu suchen, ist die Pest, das weiß jeder, der das in letzter Zeit durchexerziert hat. Muss man aber den Umzug mit Hilfe der eigenen Familie machen, kommen Pest und Cholera zusammen - zumindest dann, wenn man, wie Sabine Pahlke (Sophia Reicheneder) aus "Tote Frauen trinken nicht", eine Mutter hat wie Ingrid Pahlke (Marlene Weiß).

Es ist schwer auszuhalten, wie die auf jugendlich getrimmte Erscheinung mit Lederleggins und bunter Schleife im Haar lautstark über ihre Tochter lästert - natürlich in deren Beisein - , ständig sekundiert von Nichte Heidi Pahlke (Amelie Köpferl), dem artigen Abziehbild der übergriffigen Tante. Sabine selbst begegnet den Tiraden der Mutter mit demütiger Verzweiflung, man ahnt, dass sie nicht zum ersten Mal hört, wie "merkwürdig" sie sei.

Dann allerdings erobert sie mit mächtigem Getöse die Bühne: Pia Freitag (Carina Seidl). Offenbar verkaterte Lederjackenträgerin, Typ gemäßigte Punklady, und schon rein optisch der absolute Gegenentwurf zur biederen, angepassten Sabine. Mit wachsender Irritation versucht sie dieser klarzumachen, wer hier die rechtmäßige Besitzerin der Wohnung und wer der Eindringling ist. Nun kann nur noch einer den Streit schlichten: Vermieter Heiko Sahlfeld (Markus Manz). Doch was der hochgewachsene Rautenpullunder-Träger mit geduldiger Therapeutenstimme dann von sich gibt, ist kaum zu glauben. So war die Zweizimmerwohnung in der Tat zwar einmal an eine junge Frau namens Pia vermietet, die jedoch ist kurz zuvor tödlich verunglückt. Sabine schließt messerscharf, dass demzufolge die Person, die offenbar nur sie selbst hören und sehen kann, ein Geist sein muss. Das ist für alle Beteiligten kein kleiner Schock und führt zunächst zu diversen Slapstick "Hui Buh"-Momenten, welche beim Publikum für große Heiterkeit sorgen - vor allem bei den zahlreich vertretenen Kindern im fast bis zum letzten Platz gefüllten Rupert Mayer Haus.

Vor allem Putzfrau Dunja Paslowski hat es ihnen angetan. Denn was Sabine Fröschl als osteuropäische Frohnatur abliefert, ist Entertainment vom Allerfeinsten. Eigentlich soll sie zusammen mit einer Kollegin nur die Wohnung reinigen, doch dank medialer Fähigkeiten spürt Dunja die Anwesenheit eines Geistes, mit ungeahnten Folgen für alle Beteiligten. Ihre unglaubliche Bühnenpräsenz paart Fröschl dabei mit sichtlicher Freude an dem, was sie da in diesem Wohnzimmer mit dem roten Dreisitzer tut. Weil das auch für die anderen Mitglieder des Ensembles zutrifft, erobern sie alle im Nu die Zuschauerherzen.

Lässig-gehässig meistert etwa Marlene Weiß souverän eine Rolle, in der sie alles andere als eine Sympathieträgerin ist, während Amelie Köpferl die Zerrissenheit ihrer Figur gut in Szene setzt. Sophia Reicheneder hingegen verkörpert glaubhaft die im Umgang mit der eigenen Mutter immer wieder durchsetzungsschwache Tochter trotz Abteilungsleiterinnenposten und Kompetenzknoten. Carina Seidl schließlich überzeugt als im einen Moment vor Selbstbewusstsein strotzendes Wesen, das jeden Schabernack aus vollem Herzen genießt, bevor im nächsten Augenblick Unsicherheit und Verletzlichkeit durch die Fassade blitzen.

Und während sich Pia und Sabine im Laufe der Zeit nicht nur annähern, sondern sogar Freundschaft schließen, geht auch mit den anderen Figuren eine Wandlung vor, was dem Stück von Claudia Kumpfe eine sehr erfreuliche, zweite Ebene verleiht. Dieser, ohne vom Komödiencharakter abzulenken, Gesicht und Stimme zu geben, ist die wahre Leistung sämtlicher Mitwirkenden.

Allen voran von Regisseurin Alexandra Tschernik. Für jeden Part hat sie die perfekte Darstellerin gefunden. Neben den bereits erwähnten sind dies Dagmar Kitzing-Kleber, die sich als gestrenge Charlotte Freitag mit Merkelraute Gehör verschafft sowie Julia Thalmair in ihrer Doppelrolle als erfrischend geerdete Putzfrau und Rastafari-Geisterjägerin, während ihrem Kollegen (nochmals Markus Manz) die diebische Freude beim Hantieren mit der originellen Ausrüstung anzumerken ist.

Der tosende Applaus nach 80 ausgesprochen kurzweiligen Minuten zeigt, dass das Publikum den Einblick in diese besondere WG sehr genossen hat und vor allem vom überraschenden Ende verblüfft war. Manch einer mag sogar zum Schluss kommen, dass so eine Geister-Mitbewohnerin nicht die schlechteste Alternative im aktuellen Mietmarkt wäre.

Weitere Aufführungen am 11., 12., 18. und 19. Oktober, 20 Uhr, Rupert Mayer Haus, Forstinning.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2019
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